Wirecard-Prozess „Ich habe ihn gefragt, ob er den Verstand verloren hat“

Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun steht vor Beginn der Fortsetzung im Wirecard-Prozess auf seinem Platz im Gerichtssaal, rechts hinter ihm steht der Mitangeklagte Oliver Bellenhaus. Quelle: dpa

Markus Braun spricht bei seinem Auftritt im Wirecard-Prozess über seine Gefühle und seinen langjährigen Vertrauten Jan Marsalek. Die Vorwürfe gegen ihn weist er zurück – und inszeniert sich als Aufklärer.

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„Hört man mich gut?“, fragt Markus Braun, er nestelt an seinem Mikrofon herum. „Man muss sich immer an die Umgebung erst mal gewöhnen“, sagt er. Markus Braun hat sich in den vergangenen drei Jahren an viele neue Umgebungen gewöhnen müssen: Bei Wirecard wurde er als Vorstandschef eines Dax-Konzerns aus seinem Büro geworfen, später er wurde verhaftet, musste vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages aussagen. Jetzt die Aussage im Hochsicherheitsgerichtssaal der JVA München, die sein aktueller Wohnsitz ist.

Seit Anfang Dezember läuft hier der Prozess gegen Braun, gegen den ehemaligen Dubai-Statthalter von Wirecard, Oliver Bellenhaus, und gegen den ehemaligen Chefbuchhalter Stephan von Erffa. Die drei sind angeklagt wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetruges, Untreue, Marktmanipulation und unrichtiger Darstellung.

Markus Braun war der Superstar im Dax. Seit Juni 2020 aber steht fest: Es war alles eine große Illusion. Rund zwei Milliarden Euro angeblicher Gewinn aus Geschäften mit Drittpartnern im Ausland waren einfach nicht da. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt: Das Drittpartnergeschäft gab es nicht – die Ermittler sehen Braun als Chef der Wirecard-Bande, die das Unternehmen erfolgreich erscheinen ließ, um Geld bei Investoren einzusammeln und aus der Firma zu schleusen.

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Während von Erffa bislang kriminelle Handlungen bestritten hat, hat Bellenhaus an den ersten Sitzungstagen ausgepackt: Er hat gestanden, Umsätze des Geschäfts mit Drittpartnern im Ausland gefälscht zu haben – zusammen mit von Erffa. Und er hat Markus Braun als Chef der Wirecard-Bande beschrieben, der die Vorgaben für die unrealistischen Zahlen gab -und auch selbst Manipulationen in Auftrag gegeben hat.

Wochenlang hat sich Braun das von seinem Platz im Gericht angehört. Jetzt präsentiert er der Öffentlichkeit zum ersten Mal seine Wirecard-Story. Wie immer trägt er einen dunklen Anzug, darunter einen Rolli. Er wirkt viel magerer als zu seinen Zeiten als Wirecard-Chef.

Braun hat ein Manuskript ausgearbeitet und ein Coaching für diesen Auftritt gemacht. Er spricht frei. Und er hat im Vorfeld signalisiert, dass alle Verfahrensparteien ihn gerne mit Fragen unterbrechen können. Ein Seitenhieb auf Bellenhaus, der keine Fragen der anderen Anwälte beantworten wollte.

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Braun präsentiert sich als höflicher und aufmerksamer Vortragsredner. Er wird über seine Kindheit sprechen, über seine Gefühle. Und er wird über seinen langjährigen Vertrauten sprechen, der immer noch auf der Flucht ist: Jan Marsalek.

Braun beginnt mit seinen Gefühlen, als er über den 18. Juni 2020 spricht – jenen Tag, als die Wirtschaftsprüfer von EY ankündigten, dass sie Wirecard wegen der nicht auffindbaren Drittpartner-Milliarden kein Testat für den Jahresabschluss 2019 erteilen werden. „Der 18. Juni ist auch heute noch ein Tag des tiefsten Bedauerns. Ich würde sogar sagen ein Tag des Schmerzes“, sagt Braun. Er empfinde tiefstes Bedauern für die Aktionäre – „und vor allem auch für die Mitarbeiter“. „Es war ein echtes Schock-Erlebnis.“ Sich mit den Akten seines Falls zu beschäftigen sei „jeden Tag eine schmerzvolle Überwindung“. Um Entschuldigung für das, was in seiner Firma passiert ist, bittet er nicht.

Wenige Tage nach dem 18. Juni 2020 war Wirecard pleite – Braun kam in Untersuchungshaft. Zu Unrecht, wie er findet: „Ich möchte ganz klar sagen, dass ich alle Anklagepunkte zurückweise.“ Er habe keine Kenntnis von Fälschungen, habe sich nicht mit anderen zu einer Bande zusammengeschlossen. Nicht mit Bellenhaus, nicht mit Marsalek. Weder 2015, noch davor, noch danach. Er sei von „existenten Geldern auf den Treuhandkonten ausgegangen“.

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Mit Fünf lernte er Geige

Dann fängt Braun ganz vorne an, bei seiner Kindheit. Er sei behütet aufgewachsen, habe „eine sehr glückliche Kindheit“ gehabt. Im Alter von fünf Jahren habe er Geige-Stunden genommen. Nach der Matura und dem Wirtschaftsinformatik-Studium wurde er Unternehmensberater, landete schließlich bei einer Vorgängergesellschaft der späteren Wirecard, wo er zum Chef aufstieg.

Das „sehr enge Verhältns zu Marsalek“ sei Anfang der Nullerjahre entstanden, sagt Braun. Marsalek sei damals 20 gewesen. Braun lobt dessen „überragende kognitive Fähigkeiten“. Im technischen Bereich sei er „überragend“ gewesen. Er und Marsalek hätten oft rund um die Uhr gearbeitet, seien freitags zusammen weggegangen - und hätten am Samstag weitergearbeitet. „Es gab kein Leben außerhalb der Firma.“

Auf Brauns Vorschlag hin wurde Marsalek 2010 Vorstand. Allerdings hätten sie in dieser Zeit weniger privat miteinander zu tun gehabt. „Aber es war immer eine sehr tiefe Vertrauensbasis da.“

„Glücksgriff“ Marsalek

Marsalek hätte sich mit großem Elan in die Arbeit gestürzt. „Gefühlt war Marsalek damals ein Glücksgriff.“ Heute höre sich das natürlich anders an, das wisse er, sagt Braun.

Er will dem Eindruck entgegentreten, den Bellenhaus hier erweckt hat: Dass er ein „absolutistischer CEO" gewesen sei. „Ich habe sicher eine mediative Rolle gehabt“, sagt Braun. Wenn es zu Konflikten gekommen sei, habe er sich in bilateralen Gesprächen an einen Kompromiss herangetastet. Wenn dieser Kompromiss nicht zustande kam, gab es auch keine Entscheidungen. So Braun. Er habe stets alles mit seinem Vorstand und Aufsichtsrat abgestimmt.

Auch auf Bellenhaus geht er ein – und redet dessen Rolle klein. Dieser sei „ein reiner Partner-Manager gewesen. Ohne jede Umsatz- und Ertragsverantwortung“. Er hätte wenig mit ihm zu tun gehabt. Bei einem Treffen im Oktober 2019 sei es jedoch nicht sinngemäß um die Fälschung von Drittpartner-Umsätzen gegangen, sondern darum, dass sich Marsalek über den Aufwand im Rahmen einer Sonderuntersuchung von KPMG beschwert hätte, die seit Herbst 2019 lief. Bellenhaus sei bei dem Treffen dabei gewesen, hätte aber kaum etwas gesagt. Das Treffen sei überflüssig gewesen, weil die Prüfung schon lief. „Ich habe gar nicht verstanden, was die von mir wollten“, sagt Braun.

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Die Sonderuntersuchung von KPMG war es schließlich, die den Milliardenbetrug auffliegen ließ. Er selbst, sagt Braun, hätte die Idee für die Prüfung gehabt. Um reinen Tisch zu machen und die Vorwürfe auszuräumen. Marsalek sei dagegen gewesen. Sie hätten viel diskutiert. Argumente gingen hin und her. „Man kann es sich ein bisschen so vorstellen wie ein Schachspiel.“ Marsalek habe schließlich mitgemacht.

Doch dann, im Frühjahr 2020, kam heraus, dass die Prüfung stockte, dass die KPMG-Prüfer Zahlen nicht bekamen. Die Gewinne aus dem Drittpartnergeschäft bunkerte Wirecard angeblich bei einem Treuhänder in Singapur.  Marsalek habe ihm im Februar 2020 plötzlich eröffnet, dass er den Treuhänder schon vor Monaten gewechselt habe. Nicht in Singapur, sondern auf den Philippinen befände sich das Geld mittlerweile. „Ich habe ihn gefragt, ob er den Verstand verloren hat“, sagt Braun. Es sei Marsalek aber gelungen, ihn wieder „einzufangen“.

Danach sei in ihm der Entschluss gereift, dass Marsalek Kompetenzen abgeben muss. Dafür habe es schon Pläne gegeben. Auch für den Rauswurf von Bellenhaus, über dessen Arbeit sich Marsalek beschwert habe. Braun beschreibt das Verhältnis zu seinem einstigen Freund Jan in den kritischen Monaten als distanziert.

Er sei nie in Marsaleks Villa in der Münchner Prinzregentenstraße gewesen, betont er. Auch von Marsaleks Partyleben sei er überrascht, er habe ihn immer als „eher zurückhaltend“ wahrgenommen. Und dann legt Braun noch Wert auf folgende Feststellung: „Ich persönlich habe keinen Kontakt zu Geheimdiensten.“

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Am Ende flog der Schwindel auch deshalb auf, weil Wirecard für die Prüfer von EY keine Testüberweisung von 440 Millionen aus den Treuhandkonten machen konnte. Die Idee für die Testüberweisung will Braun höchstselbst gehabt haben. Weil er nach eigener Darstellung glaubte, dass Wirecard jederzeit an das Geld rankomme. Seine Botschaft: Wenn er der Chef der Wirecard-Bande war – würde er sich dann mit der Idee der Testüberweisung selbst ans Messer liefern?
Die Millionen waren nicht da, die Testüberweisung scheiterte. Bis Juni 2020 habe er an die Existenz der Drittpartner-Milliarden geglaubt, sagt Braun. „Am 18. Juni ist dann die Welt untergegangen. Und ich darf dazusagen: Es war schon auch meine Welt.“

Wie glaubwürdig ist diese Wirecard-Story? Der Vorsitzende Richter Markus Födisch lässt Zweifel anklingen. Warum hat Braun so lange an Marsalek festgehalten, wenn es doch so früh schon Zweifel an dessen Aufklärungswillen gab? Es sei „unverantwortlich gewesen, in die laufende Prüfung hinein“, Marsalek auszuwechseln, sagt Braun. Auch sei es nicht sein Job gewesen, Marsalek aus der Prüfung rauszunehmen. Das wäre rein formal die Aufgabe des Aufsichtsrats als Auftraggeber der Sonderuntersuchung gewesen. Braun leitet aus den Handlungen von damals einen „Konsens“ zu seinem eigenen Vorgehen ab.

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Richter Markus Födisch scheint nicht überzeugt zu sein: „Sie überlassen dem Herrn Marsalek letztendlich die Prüfung über sich selber“, sagt er. Am kommenden Donnerstag will er mit seiner Befragung von Braun beginnen. Und dessen Version der Wirecard-Story hinterfragen.

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