Der Tag neigt sich zum Abend. Aufrecht, wie gewohnt im dunklen Anzug, farbigen Hemd mit weißem Kragen und feinem Binder, tritt Wolfgang Grupp vor sein Grab.
„Ich will wissen, wo mein Platz ist“, sagt der 73-Jährige und blickt auf eine braune Metalltafel. Die hat er an der Friedhofsmauer anbringen lassen, dort, wo er einmal seine letzte Ruhestätte zu finden gedenkt. „Wolfgang Grupp, geb. 4.4.1942“ hat er auf die Platte schreiben lassen, nur sein Sterbedatum fehlt noch. Daneben hängen fünf weitere Tafeln für seine Angehörigen, noch ohne Inschrift.
Eigentlich hätte er auch schon gern „Elisabeth Grupp, geb. 25.6.66“ auf einer der Platten vermerkt, den Namen seiner Gattin. Aber die habe es abgelehnt, im Alter von 48 Jahren auf ihr Ableben aufmerksam zu machen. Frauen hätten damit Probleme. „Ich war der Einzige“ sagt er, „der das spontan wollte.“
Generationenwechsel bei Trigema
Deutschlands berühmtester Mittelständler, der mit dem Schimpansen vor der Tagesschau für sich wirbt, in Talkshows auf Teufel komm raus polarisiert und erfolglose Top-Manager als verantwortungslose Absahner geißelt, der Eigentümer des T-Shirt-Herstellers Trigema im schwäbischen Burladingen ist und der jeden Morgen in seiner Privatkapelle betet, dieser draufgängerische wie demutbereite Sonderling der deutschen Wirtschaft, er ist in eine neue Lebensphase eingetreten.
Dafür ist das Freilicht-Mausoleum nur ein äußerliches Zeichen. Sein eigentliches Projekt hat Grupp im Stillen in Angriff genommen. Und das werden Hunderttausende von Familienunternehmern in Deutschland verfolgen: die Überleitung von Trigema an seine Tochter Bonita, 25, oder seinen Sohn Wolfgang, 23, die eigentlich noch zu jung und zu unerfahren sind.
Für viele Familienunternehmen ist die Nachfolge das Problem schlechthin, wie unlängst das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn feststellte. Für Grupp mit seinen rund 1200 Mitarbeitern und fast 90 Millionen Euro Jahresumsatz hat die Zäsur aber ganz besondere Dimensionen.
Denn seine Firma Trigema ist über weite Strecken eine Ein-Mann-Show, deren Erfolg auf einem Eigensinn und Charisma beruht, von dem die auserkorenen Nachfolger weit entfernt sind. Anfang bis Mitte 20, das Studium gerade abgeschlossen, haben seine Lieben nicht nur über die Hälfte ihres Lebens fernab des Unternehmens und des Elternhauses verbracht. Sie haben dabei auch noch in englischsprachiger Umgebung den Duft der großen weiten Welt geatmet statt die Fabrik- und Landluft der schwäbischen Provinz.
Ausgerechnet zwei solche sollen nun im 13.000-Einwohner-Dorf Burladingen, ein bis zwei Autostunden von den nächsten Großstädten Stuttgart und München entfernt, ohne Freunde und Bekannte, ohne jemals längere Zeit ein anderes Unternehmen kennengelernt zu haben und unter einem Vater wie dem ihren die Probe aufs Exempel machen: Kann rigorose Aufzucht, flankiert von grenzenlosem Familiensinn, Elternliebe und materieller Großzügigkeit, den Nachwuchs über Jahre hinweg so emotional aufladen, dass dieser – trotz anderer Verlockungen – zum Einstieg in ein patriarchalisch geführtes Unternehmen bereit ist?
Reichen solche Voraussetzungen, um ein Unternehmen, das im Rhythmus einer fast übermächtigen Persönlichkeit an der Spitze tickt, fortzuführen? Oder verhindert jahrzehntelange Autokratie, dass der Nachwuchs jemals die Kraft haben wird, wenn erforderlich ganz andere Wege einzuschlagen, um das Unternehmen neu auszurichten? Das Experiment ist gerade angelaufen.