Wolt-Gründer Miki Kuusi „Wir sind die effizienteste Firma in der Lieferindustrie “

Wolt-Gründer Miki Kuusi Quelle: PR

Miki Kuusi aus Helsinki will mit seinem Essenslieferdienst Wolt die Branchengrößen Lieferando und Delivery Hero ärgern. Ist er naiv? Und was macht er anders, gar besser als die Etablierten?

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Miki Kuusi ist Gründer und Chef des finnischen Essens-Lieferdienstes Wolt. Seit Mitte August ist der Lieferservice auch in Deutschland verfügbar, zunächst beschränkt auf Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg. Kuusi studierte an der Business-Schule der Aalto Universität in Helsinki. Während des Studiums arbeitete er beim finnischen Spieleentwickler Supercell, 2011 übernahm er die Führung der internationalen Tech-Konferenz „Slush“. 2014 gründete er Wolt.

Das Jungunternehmen beschäftigt 1200 Mitarbeiter, insgesamt sind in 23 Ländern rund 40.000 Kurierfahrer für Wolt unterwegs; vorzugsweise im Norden und Osten Europas. In mehreren Investorenrunden sammelte Wolt 258 Millionen Euro ein, zu den Investoren zählen Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, Goldman Sachs und EQT. Kuusi lebt in Helsinki und hat zwei kleine Kinder. Normalerweise, sagt er, würde er „im Flugzeug leben“, zurzeit allerdings lebe er „auf Zoom“.

Herr Kuusi, seit rund zwei Wochen sind Sie mit Ihrem Essens-Lieferservice Wolt auch in Deutschland vertreten. Ihr wesentlich größerer Wettbewerber Delivery Hero aus Berlin hat sein Deutschlandgeschäft Ende 2018 nach hartem Kampf mit Lieferando verkauft. Ist Ihr Versuch nun nicht ein hoffnungsloses Unterfangen?
Wir haben uns den deutschen Markt schon ein paar Jahre lang angesehen, zum ersten Mal 2015. Damals entschieden wir uns, vorerst nicht hier einzusteigen, denn es ist einer der am härtesten umkämpften Märkte in Europa, wenn nicht sogar weltweit.

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Und ist das heute etwa anders?
Heute gibt es auf dem deutschen Markt mit Lieferando eigentlich nur ein Unternehmen, und das bietet beide Formen unserer Industrie an, Plattform für Restaurants sowie eigene Lieferungen, wobei der Schwerpunkt von Lieferando auf der Plattform liegt. Die meisten Märkte, in denen wir in den vergangenen Jahren mit Wolt eingestiegen sind, sahen aus wie der deutsche Markt heute aussieht: Stets gab es einen bekannten Namen, den die Hälfte des Landes benutzte, das fast jedes Restaurant auf der Plattform hatte, das Essen selbst ausliefert, und das massiv in Marketing investierte.

Und dann?
Wir haben gelernt: Wir fokussieren uns nur auf Restaurants, die keine eigene Lieferung machen, und auf Lieferungen unter 30 Minuten, und das bestmögliche Kundenerlebnis – dann sind wir erfolgreich. Und zwar bislang in jedem Markt, in dem wir eingestiegen sind. Und wir wären nicht eher nach Deutschland gekommen, wenn wir das alles nicht genau durchgespielt hätten. Und ja, hier gibt es mit Lieferando einen sehr starken Wettbewerber. Aber auch in Deutschland essen die Leute im Schnitt dreimal am Tag eine Mahlzeit.

Keine Angst vor dem gefräßigen Lieferando?
Sie können nicht in der Essens-Lieferung tätig sein, wenn Sie Angst haben vor dem Wettbewerb. In diesem Business muss man sich schnell daran gewöhnen, dass es Konkurrenten mit enormer finanzieller Kraft gibt.

Was sind Ihre erfolgreichsten Länder?
Wir äußern uns nicht länderspezifisch. Wir sind in Nordeuropa gestartet, sind jetzt in allen skandinavischen und baltischen Staaten mit für uns sehr erfolgreichem Wachstum. Danach kamen einige ost- und südeuropäische Länder hinzu. Und seit ein paar Monaten sind wir auch in Japan vertreten.

Wie definieren sie denn Erfolg in den 22 Ländern?
Profitables Business.

Sie erwirtschaften tatsächlich Gewinne?
Wir sind profitabel in all unseren Kernmärkten.

Das dürfte der größte Unterschied sein zu Ihren großen Wettbewerbern Just Eat Takeaway und Delivery Hero.
Jeder in dieser Branche versucht zunächst, sehr schnell zu wachsen. Denn es ist ein massives Potenzial vorhanden, und das Business ist noch recht jung. Es ist doch logisch, dass viele Investoren die Märkte mit Geld fluten. Aber der Kern ist doch die Effizienz des eingesetzten Geldes. Wir sind eine der effizientesten, wenn nicht die effizienteste Firma in dieser Industrie. Viele unserer Wettbewerber trimmen ihre Unternehmen auf Wachstum, nehmen dafür hohe Verluste in Kauf. Aber wir rationalisieren diese Industrie, mit klarem Fokus auf Rentabilität. Auch die Restaurants beginnen nun, vermehrt darauf zu achten. Und sie fragen sich: Warum sind wir auf dieser Plattform, die uns mehr und mehr Geld kostet? Und Kunden merken es auch: Die Preise steigen, dafür aber sinkt die Qualität von Lieferung und Abwicklung. Wir haben uns gefragt: Gibt es auf dem deutschen Markt einen Lieferservice auf dem Level, von dem wir annehmen, dass er für die deutschen Kunden zufriedenstellend ist? Wenn nicht: Dann gibt es eine Chance.

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Was machen Sie denn anders oder womöglich besser als die Konkurrenz?
Aus Kundensicht mag das Business ja simpel anmuten: Man hat man eine Liste von Restaurants, man bestellt etwas und jemand bringt es etwas später vorbei. Das ist alles. Aber in Wirklichkeit ist das eine sehr große technologische und logistische Herausforderung – es ist wirklich schwierig. Und es ist besonders schwierig in Märkten mit hohen Lohnkosten, und wo die Dichte an Menschen und Restaurants nicht die allerhöchste ist, und wo die Leute sehr preissensitiv sind. Die meisten nordeuropäischen Länder sind genauso, Deutschland auch. Wir waren anfangs also gezwungen herauszufinden, wie man mittels Technologie und einem sehr hohen Maß an Effizienz ein großartiges Kundenerlebnis schaffen kann.

Was genau meinen Sie damit?
Konkret geht es darum, wie wir in der Lage sind, sowohl technisch als auch operativ effizient zu sein. Zum Beispiel beinhaltet unsere Plattform etwas, das wir Bündelung nennen. Anstatt dass ein Kurier von einem Restaurant zu einem Kunden fährt, kann der Kurier zum Beispiel Bestellungen von zwei nahe gelegenen Restaurants abholen und sie zu zwei Kunden im gleichen Gebäude oder in der gleichen Straße bringen. Auf diese Weise ist die Lieferung sowohl aus der Sicht des Algorithmus als auch aus der Sicht des Betriebs effizient. Und dieses hohe Maß an Effizienz halten wir bei. Bei Lieferando ist die eigene Lieferung nur ein Teil des Geschäftsmodells; der größere Teil ist ihre Plattform mit Restaurants, die ihr Essen selbst ausliefern – die Komplexität der Auslieferung überlassen sie dabei also den Restaurants. Wir machen das nicht. Wir erlauben Restaurants nicht, in unserem Namen selbst auszuliefern. Denn: Wie könnte ein einzelnes Restaurant ein besseres Kundenerlebnis mit schnelleren Lieferzeiten und einem günstigeren Preis anbieten als wir? Restaurants haben meist nur wenige einzelne Kuriere und keine Technologie. Wir sind ein Technologieunternehmen, das Zehntausende von Restaurants, Kuriere und Bestellungen in Echtzeit optimiert. Wir glauben, dass in Zukunft immer weniger Restaurants die Lieferung selbst übernehmen und sich stattdessen auf das Handwerk des guten Essens konzentrieren. Das macht einfach mehr Sinn.

Und das soll das Merkmal sein, das den Unterschied ausmacht? Ist es den Kunden nicht relativ egal, wer ihnen ihr Essen bringt?
22 Länder vor unserem Markteintritt in Deutschland sagen: Ja, das macht den Unterschied. Wir werden sehen, ob Deutschland als unser Land Nummer 23 komplett anders ist. Ich glaube nicht.

Mit welchen Restaurants Wolt zusammenarbeitet - und inwiefern Mark Zuckerberg hilft

Sie sind gestartet in Teilen von Berlin. Wann und wo werden Sie in Deutschland expandieren?
Aus Wettbewerbsgründen kann ich darüber leider noch nicht sprechen.

Arbeiten sie auch mit denselben Restaurants zusammen, die bereits mit Lieferando kooperieren – oder dürfen Wolt-Restaurants ausschließlich mit Ihnen zusammenarbeiten?
Wir fokussieren uns auf sogenannte local heros: also Restaurants, in denen die Leute einfach gerne essen gehen.

Das wird Lieferando auch von sich behaupten.
Mag sein. Uns ist es jedenfalls relativ egal, ob ein Restaurant bereits auf einer Wettbewerbs-Plattform gelistet ist oder nicht. Wir finden es ja gut, wenn ein Restaurant mehr Umsatz macht: Das ist gut für das Restaurant, und damit auch gut für uns. Was wir bisher in Berlin feststellen: Die meisten Restaurants, die wir uns ausgesucht haben, sind bisher auf keiner Plattform. Viele von ihnen haben früher mal mit Foodora oder Deliveroo zusammengearbeitet, dann aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht den Schritt zu Lieferando gemacht. Man darf auch nicht vergessen: Es gibt viele sehr gute Restaurants, die gar nicht auf Lieferdienste angewiesen sind. Die sind profitabel, haben ihre Stammkunden. Die brauchen uns nicht, um erfolgreich zu sein.

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Wie stehen Sie zu den sogenannten Ghost kitchens, also jenen Restaurants, in denen man nicht essen kann, sondern wo das Essen ausschließlich für Lieferdienste zubereitet wird?
Wir stellen uns eine Welt vor, in der die Kunden sowohl das „Dine-in“-Erlebnis als auch das „Order-in“-Erlebnis genießen. Besonders in Feinschmeckerrestaurants geht es nicht nur um das großartige Essen, sondern auch um das gesamte Erlebnis von großartigem Service, Ambiente und so weiter. Was uns die Corona-Pandemie jedoch gezeigt hat, ist, dass die Menschen sehr wohl dazu bereit sind, sich hochwertiges Essen auch liefern zu lassen. Die Pandemie hat also die Entwicklung von Nur-Liefer-Küchen weltweit beschleunigt.

Müssen Sie mehr Marketinggeld ausgeben für neue Kunden oder für neue Restaurants? Denn der Name „Wolt“ dürfte in Deutschland auf beiden Seiten noch relativ unbekannt sein.
99 Prozent unserer Marketingausgaben gehen in Richtung Konsumenten. In Restaurants verlassen wir uns auf den persönlichen Kontakt, ein Tür-zu-Tür-Marketing: Viele unserer Mitarbeiter haben in Restaurants gearbeitet. Wir wollen eine ehrliche Partnerschaft.

Unter Ihren Financiers ist auch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg mit seiner Investmentfirma Iconiq Capital. Inwiefern hilft Ihnen das?
Wir haben insgesamt 258 Millionen Euro eingesammelt, was aber in unserer Industrie kein besonders signifikanter Betrag ist. Bei unserer Series-C-Finanzierung im vergangenen Jahr haben wir etwa 110 Millionen Euro erhalten, da war unter anderem Iconiq Capital dabei. Das freut uns sehr, denn die Personen dahinter sind natürlich sehr etabliert im Silicon Valley, und für uns war wichtig: Sie haben eine Reihe sogenannter later-stage-Unternehmen im Portfolio, von denen wir sehr viel lernen können. Und die wenigsten davon sind in Europa – und wir sind auch noch nicht in den USA.

Wann planen Sie, mit Wolt in die USA zu gehen? Dort gibt es mit Uber Eats einen womöglich noch gefräßigeren Konkurrenten.
Noch sind wir nicht dort. Aber auch darüber kann ich noch nicht sprechen. Eins nach dem anderen. Wir haben Mitte 2015 mit zehn Restaurants in Helsinki angefangen. Damals war Delivery Hero in Helsinki weit verbreitet. Jeder hat deren App benutzt, über Foodora. In jedem Markt, in den wir eingestiegen sind, gab es entweder Lieferando oder Delivery Hero.

Und welchen Marktanteil hat Wolt heute in Helsinki?
Heute sind wir Marktführer in Helsinki und in insgesamt 20 Städten in Finnland. Aber es hat lange gedauert. Wir bemerken grundsätzlich eine Verhaltensänderung in allen Industrieländern: Leute wechseln zunehmend von Supermärkten in die Restaurants. Auf die Restaurantindustrie entfällt mittlerweile schon etwas mehr als die Hälfte aller Konsumausgaben für Essen. Und es wächst. Denn es ist natürlich bequemer, Essen zu gehen als selbst zu kochen. Und die zweite große Bewegung hierbei ist der wachsende Markt für Essenslieferungen. Lieferung gibt es ja schon wesentlich länger als die heutigen Plattformen. Und wir versuchen die Menschen nun öfter für die Nutzung eines Dienstes wie den unseren zu gewinnen, als sie früher die klassischen Telefon-Zustelldienste genutzt haben. Und unser größter Wettbewerber ist dabei nicht Lieferando oder Delivery Hero – sondern wir konkurrieren um die vielen Millionen Deutschen, die noch nie einen Service wie unseren in Anspruch genommen haben.


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Was macht Sie so sicher, dass die vielen Millionen Deutsche, die noch nie Essen online bestellt haben, es nun mit Wolt probieren werden?
Die Leute entscheiden jeden Tag aufs Neue, was sie wie und wo essen. Und das gilt auch für Technologie. Der deutsche Markt für Essenslieferungen ist wesentlich weniger entwickelt als etwa der in Großbritannien oder in den Niederlanden oder den Nordischen Staaten. Und diese wiederum sind noch wesentlich weniger entwickelt als die Märkte in Südkorea oder in Teilen von China. Aus unserer Perspektive entwickeln sich alle Länder in dieselbe Richtung. Deutschland steht in dieser Entwicklung noch ganz am Anfang. Und wir möchten bei dieser Entwicklung dabei sein.

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