Wow-Air-Betriebsstopp Pleitewelle: Warum es jetzt so viele Fluglinien erwischt

Germania, Flybmi, heute Wow Air und bald vielleicht Condor – warum im Moment immer mehr bekannte Fluglinien verschwinden. Quelle: imago images

Germania, Flybmi und nun Wow Air – immer mehr bekannte Fluglinien verschwinden im Moment. Auch wenn sich die Gründe bei jeder Insolvenz unterscheiden, es gibt mindestens fünf Gemeinsamkeiten.

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Wenn sich der Chef einer Fluglinie ein wirtschaftliches Umfeld wünschen dürfte, dann wäre es wahrscheinlich etwa so wie das, was wir jetzt haben. Eine recht solide Konjunktur, relativ günstige Spritpreise und niedrige Zinsen zur Finanzierung neuer Flugzeuge.

Doch so gut diese Bedingungen auf den ersten Blick auch sind – gerade sie sorgen zu einem großen Teil dafür, dass derzeit relativ viele Fluglinien verschwinden. Nachdem vor knapp anderthalb Jahren Air Berlin insolvent ging, erwischte es allein in Deutschland mehr ein halbes Dutzend Linien wie Small Planet, Azur Air oder jüngst Germania. Dazu stellten in Großbritannien Monarch und Flybmi den Betrieb ein, in Dänemark war es der auch in Deutschland aktive Langstrecken-Billigflieger Primera Air und in der Schweiz Skyworks. Seit Donnerstag sind die Maschinen des isländischen Billigfliegers Wow Air am Boden. 

Wow Air sind wahrscheinlich nicht die Letzten. Denn auch ein skandinavischer Billigflieger steckt in höchster Not und selbst die wirtschaftlich kerngesunde Condor könnte bald ihre Selbstständigkeit verlieren, wenn die Muttergesellschaft Thomas Cook sie verkauft. Bei Alitalia ist kein echtes Rettungskonzept in Sicht, nachdem Easyjet seine Investitionszusage zurückgezogen hat.

Natürlich sind die Gründe bei jeder Linie ein wenig anders. Air Berlin hat nie Geld verdient und konnte sich auch wegen der teuren Wünsche ihres Hauptaktionärs Etihad aus Abu Dhabi auch nie in die richtige Richtung verändern. Azur Air hatte am Ende nicht die richtige Flotte und bei Wow Air sprang ein sicher geglaubter Investor ab.

Doch am Ende sind es fünf Gründe, die alle treffen.

1. Das giftige Erbe von Air Berlin

Airline-Pleiten gab es schon immer. Doch richtig Fahrt aufgenommen hat die Bewegung im Herbst 2017 nach dem Ende von Air Berlin. Zunächst ist es für die Flugunternehmen natürlich erst mal positiv, wenn ein Wettbewerber verschwindet. Denn das bedeutet weniger Konkurrenz – und damit höhere Preise, weil die verbliebenen Kunden nun weniger Alternativen haben.

Doch leider sorgte das Verschwinden der zweitgrößten deutschen Linie auch für massive Probleme. Zum einen stürzten sich viele Anbieter auf die lukrativsten der frei gewordenen Strecken - und fast keiner auf die Nebenstrecken. Darum herrschte im vergangenen Sommer vor allem auf Routen von Deutschland und Österreich ans Mittelmeer ein Überangebot. Damit blieben viele Sitze leer. Und was die Airlines los wurden, mussten sie zu Preisen von teilweise unter zehn Euro pro Flug losschlagen. Die Folge waren hohe Verluste in der Hauptreisezeit.

Das trifft die Linien, denn in der Regel müssen sie im Sommer für die nachfrageschwache Zeit im Winter mitverdienen. Doch das fiel nun bei vielen aus und ohne das Polster aus der Hochsaison wird nun bei einer wachsenden Zahl von Unternehmen das Geld knapp.

Flugzeuge und Sprit-Jojo

2. Erst zu wenig, dann zu viele Flugzeuge

Beim Schließen der Air-Berlin-Lücken überschätzten die Anbieter nicht nur die Nachfrage, sondern auch ihre Fähigkeiten. Für die zusätzlichen Verbindungen holten sich alle neue Flugzeuge. Zum einen wechselten so viele Maschinen die Fluglinie, dass die Meldebehörden wie das deutsche Luftfahrtbundesamt nicht mit der Bearbeitung nachkamen. Darum kamen die Jets später und die Linien mussten Flüge absagen. Waren die Maschine dann da, dauerte das Einflotten länger als gedacht. Gerade Air-Berlin-Maschinen von den Leasingfirmen kamen später als geplant und waren nicht im Top-Zustand. Also mussten sie erst auf Vordermann gebracht werden und litten auch öfter unter technischen Problemen als geplant.

Dazu hatten die Fluglinien zu wenig Maschinen eingeplant. Das lag nicht nur daran, dass sie ihren Bedarf unterschätzt hatten. Neben den gebrauchten kamen auch viele der neu bestellten und fest eingeplanten Maschinen später als erwartet. Denn bei den neuen Modellen sowohl von Airbus als auch von Boeing funktionierten die Triebwerke nicht richtig. Und Ersatzjets gab es kaum, weil die Nachfrage zu hoch war und sich viele Linien wie Easyjet zur Sicherheit bereits einen großen Teil gesichert hatten. Das sorgte nicht nur für höhere Mietpreise. Weil mehr Flüge ausfielen, entgingen den Fluglinien nicht nur Einnahmen. Sie mussten auch den gestrandeten Passagieren mehr Übernachtungen und Entschädigungen zahlen als gedacht. Das belastete die ohnehin angespannten Finanzen weiter.

Auch wenn im Sommer lange Zeit Jets fehlten. im Rest des Jahres gab es dann zu viele. Dafür sorgen auch die extrem günstigen Bedingungen im Flugzeugmarkt. In der Hoffnung auf langes Wachstum und als Mittel gegen steigende Spritpreise, haben alle Fluglinien reichlich neues Gerät bestellt. Und aus Angst am Ende doch nicht genug zu haben und weil die Zinsen gerade so niedrig sind, nahmen sie lieber ein paar Jets mehr als nötig. Das führte dazu, dass viele Linien im nachfrageschwachen Spätherbst und Winter nun zu viele Maschinen hatten und nun auf den laufenden Kosten sitzen blieben.

3. Der Sprit-Jojo

Derzeit sind die Benzinpreise mit heute rund 67 Dollar für die rund 159 Liter große Standardeinheit Barrel relativ niedrig und weit unter dem Allzeithoch von fast 150 Dollar. Dass der Ölpreis trotzdem zu einer gefährlichen Last für die Fliegerei wurde, rührt nicht aus der Höhe, sondern aus den starken Schwankungen. So wechselte der Preis in den vergangen zwölf Monaten zwischen 53 und 85 Dollar. „Da sind wir als Fluglinien verdammt, wenn wir absichern – und auch wenn wir es nicht tun“, so Kenny Jones, Marketingvorstand des Billigfliegers Ryanair.

Das trifft die Airlines zum einen dadurch, dass sie ihre Preise nicht richtig kalkulieren können. Weil sie immerhin bis zu 40 Prozent ihrer Kosten beim Tankwart lassen, bedeute jede Veränderung des Ölpreises um zehn Dollar eine Kostenänderung von zwei, drei Euro für ein Ticket ans Mittelmeer. Das hat dann bei vielen Flügen die angesichts des scharfen Wettbewerbs ohnehin knappen Gewinnmargen aufgefressen.

Dabei ist es keine große Hilfe, dass viele Linien ihre Preise gegen Schwankungen absichern. Wegen der Schwankungen sind auch die Sicherungsgeschäfte nicht nur recht teuer, sondern oft auch aus anderen Gründen eine Belastung. Denn Sinn machen sie als Schutz vor hohen Preisen. Fallen die Preise jedoch und die Linien haben sich den Bezug zu einem höheren Preis gesichert, zahlen sie mehr als wenn sie nicht gesichert hätten. Dazu droht ihnen eine teure Wertberichtigung in ihrer Bilanz.

„Systempartner“, Konsolidierung und Marktmacht

4. Probleme der „Systempartner“

Fehlendes Personal war lange Jahre kein Problem für die Fluglinien. Doch im vorigen Jahr traf der Mangel an Fachkräften die Airlines gleich an drei Stellen. Zum einen spürten die Airlines, dass sie sich selbst mehr als früher um ihr eigenes Personal bemühen müssen. Nachdem sie jahrelang ihre Personalkosten durch niedrigere Gehälter senken konnten, wehrten sich nun die Mitarbeiter immer öfter. Das führte zu mehr Streiks sowohl bei etablierten Linien wie auch bei Billigfliegern. Das sorgte für höhere Personalkosten und auch für höhere Löhne bei kleineren Gesellschaften.

Dazu traf die Fluglinien auch der Personalmangel bei zwei wichtigen, meist staatlichen Geschäftspartnern. Weil etwa die für die Sicherheitskontrollen an den deutschen Flughäfen zuständige Bundespolizei das Wachstum unterschätzt hatte, fehlten nun Leute an den Prüfstellen. Zudem akzeptierten die Behörden im Ausland erprobte schnellere Kontrollstellen nur zögerlich. Also gab es lange Wartezeiten und viele Passagiere verpassten ihre Maschinen. Das bescherte den Airlines Umsatzausfälle, auch weil viele Kunden ihre Reisepläne verschoben.

Noch stärker traf die Fluglinien der Mangel an Fluglotsen. Vor allem die Deutsche Flugsicherung (DFS) hatte zu wenig Leute eingestellt. Dazu streikten noch besonders in Frankreich viele der Luftraumüberwacher. Also starteten gut 100.000 Flüge stark verspätet oder auch gar nicht. Das sorgte nicht nur für geringere Einnahmen bei den Fluglinien. Es trieb auch die Kosten. Denn die Airlines mussten für die Probleme ihrer „Systempartner“ haften und auch hier gestrandeten Kunden Hotelübernachtungen und Verspätungsentschädigungen zahlen.

5. Konsolidierung und Marktmacht

Dass unter dem Druck vor allem kleinere und neue Fluglinien nicht mehr weiterkonnten, ist eine direkte Folge der vielen Übernahmen und Zusammenschlüsse der vergangenen Jahre. Zum einen verfügen die großen Linien in der Regel über dickere finanzielle Polster. Lufthansa oder der British-Airways-Mutterkonzern IAG haben zudem auch viele profitable Langstreckenflüge, auf denen sie viel Geld verdienen. Damit können sie sich Schwächephasen oder Preiskämpfe eher leisten als kleinere Linien, die vor allem im extrem umkämpften Ferienverkehr unterwegs sind oder auf preisbewusste Freizeitreisende zielen. Dazu können die Marktführer dank ihrer starken Marke, ihren Partnerallianzen wie der Star Alliance um Lufthansa und der vielen Umsteiger in ihren Drehkreuzen auch Flüge auf Nebenstrecken ohne großen Wettbewerb profitabel füllen, wo kleine Linien halb leer unterwegs wären.

Darum rechnen viele Experten auch nicht damit, dass die Pleitewelle bald vorbei ist. „Auch wenn Streiks und Engpässe bei den Sicherheitskontrollen in diesem Jahr weniger werden, der Druck zur Konsolidierung wird noch ein paar Jahre so weiter gehen“, so Ryanair-Vorstand Kenny Jacobs. Damit, so der Manager, werden weiterhin die großen Linien auf Kosten der kleinen wachsen.

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