Zahlungsdienstleister Wirecard AG meldet Insolvenz an – Bank ausgenommen

Der Schriftzug von Wirecard ist an der Firmenzentrale des Zahlungsdienstleisters zu sehen. Quelle: dpa

Wirecard ist pleite. Nach dem milliardenschweren Bilanzskandal stellte der Zahlungsdienstleister jetzt einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Die konzerneigene Bank soll davon ausgenommen sein.

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Der in einen Bilanzskandal verstrickte Zahlungsdienstleister Wirecard will Insolvenz anmelden. „Der Vorstand der Wirecard AG hat heute entschieden, für die Wirecard AG beim zuständigen Amtsgericht München einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zu stellen“, teilte das Unternehmen am Donnerstag mit. Es werde zudem geprüft, „ob auch Insolvenzanträge für Tochtergesellschaften der Wirecard-Gruppe gestellt werden müssen.“

Die konzerneigene Bank soll laut Wirecard vom Insolvenzantrag ausgenommen sein. Die Bank sei „nicht Teil des Insolvenzverfahrens der Wirecard AG“, erklärte der Konzernvorstand am Donnerstag. „Die Bafin hat für die Wirecard Bank AG bereits einen Sonderbeauftragten eingesetzt.“ Demnach wird die Wirecard-Bank organisatorisch und finanziell vom Mutterkonzern abgekoppelt: „Die Freigabeprozesse für alle Zahlungen der Bank werden zukünftig ausschließlich innerhalb der Bank und nicht mehr auf Gruppenebene liegen.“

Die Wirecard AG als Muttergesellschaft sieht wegen fehlenden Gelds derzeit keine Möglichkeit, den Betrieb nach dem 1. Juli ordnungsgemäß weiterzuführen: „Ohne eine Einigung mit den Kreditgebern bestand die Wahrscheinlichkeit der Kündigung und des Auslaufens von Krediten mit einem Volumen von 800 Millionen Euro zum 30. Juni 2020 und 500 Millionen Euro zum 1. Juli 2020“, hieß es in der Mitteilung. Die Fortführbarkeit des Unternehmens sei „nicht sichergestellt“.

Die absehbare Insolvenz von Wirecard könnte aber auch eine Reihe von anderen Banken teuer zu stehen kommen, die dem Unternehmen über eine Kreditlinie einem Anleiheprospekt zufolge bis zu 1,75 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt haben. Dazu gehören laut Prospekt als führende Institute die Commerzbank und die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), die niederländische ABN Amro und die Deutschland-Tochter der niederländischen ING.

Nach Informationen der Nachrichtenagenturen dpa und Bloomberg hatten die Banken Wirecard gerade erst einige Tage Aufschub gewährt, um die langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu prüfen, bevor sie die ausstehende Summe zurückfordern. Commerzbank und LBBW äußerten sich am Donnerstag auf Nachfrage nicht offiziell zu dem Wirecard-Kredit.

von Georg Buschmann, Karin Finkenzeller, Lukas Zdrzalek, Melanie Bergermann, Volker ter Haseborg

Es ist eine der größten Pleiten der Bundesrepublik und das erste Mal in der mehr als 30-jährigen Geschichte des Leitindex Dax, dass ein Dax-Mitglied kollabiert. Die Aktien stürzten nach einer vorübergehenden Aussetzung des Handels um knapp 80 Prozent auf 2,50 Euro ab, nachdem sie bereits kurz vor der Pleite-Nachricht am Donnerstagmorgen erstmals seit Sommer 2011 wieder zu einem einstelligen Kurs gehandelt worden waren. Mit am Morgen noch 9,96 Euro erreichten sie den tiefsten Stand seit August 2011.

Das Unternehmen, das für Händler und Kunden Zahlungen in Online-Shops und an Ladenkassen abwickelt, hatte kürzlich seinen Jahresabschluss 2019 zum vierten Mal verschoben, weil die Wirtschaftsprüfer von EY ein 1,9 Milliarden Euro großes Loch in der Bilanz aufgetan hatten. Das Unternehmen räumte jüngst ein, dass das Geld „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ nicht existiere.

Wenig später nahm der langjährige Vorstandschef Markus Braun seinen Hut. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt bei Wirecard wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und der Marktmanipulation. Nachdem Braun zunächst festgenommen wurde, kam er am Dienstagabend gegen die Zahlung einer Kaution von fünf Millionen Euro nach einer Nacht in Haft auf freien Fuß. Der ebenfalls langjährige Vorstand Jan Marsalek wurde gefeuert – mittlerweile wird nach ihm gefahndet. Er galt als die rechte Hand Brauns im Konzern und wird derzeit auf den Philippinen vermutet.

Zum Wochenauftakt machte die Ratingagentur Moody’s bereits deutlich, was sie von Wirecards Kreditwürdigkeit hält: Die Bonitätswächter entzogen Wirecard das Rating, nachdem sie es schon am Freitag der Vorwoche auf B3 herabgesetzt und damit als „hochrisikoreich“ eingestuft hatten.

Über mögliche Bilanzmanipulationen bei Wirecard hatte schon vor über einem Jahr die britische „Financial Times“ berichtet. Im Oktober hatte die „FT“ dann berichtet, dass ein beträchtlicher Teil der Wirecard-Umsätze mit Drittfirmen in Asien womöglich auf Scheingeschäften beruhe. Braun hatte die Berichterstattung über Monate als haltlos zurückgewiesen. Da es schon nach den ersten „FT“-Artikeln zu außergewöhnlichen Kursstürzen der Wirecard-Aktie an der Frankfurter Börse gekommen war, hatten die Finanzaufsicht Bafin und die Münchner Staatsanwaltschaft Untersuchungen eingeleitet, ob Kursmanipulationen von Börsenspekulanten dahinter steckten.

Die FDP fordert als Konsequenz, die Aufsichtsbehörde Bafin nicht mit weiteren Aufgaben zu betrauen. „So ein Patzer darf nicht passieren“, sagte der FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Christian Dürr, am Donnerstag. Das Finanzministerium müsse nachsteuern. Zum Beispiel sollten Pläne auf Eis gelegt werden, 98.000 Finanzvermittler künftig von der Bafin kontrollieren zu lassen statt bisher vor allem von Industrie- und Handelskammern. Das könne die Bonner Behörde überfordern. Im Falle von Wirecard habe es über Jahre Hinweise gegeben.

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