Die 190 Kilometer lange Fahrt von St. Petersburg nach Veliky Novgorod dauert rund zweieinhalb Stunde lang – und sollte den Beginn einer glorreichen Expansion nach Russland markieren. Der Fernbusanbieter FlixBus startete die Linie vor einiger Zeit Das Ende der Russland-Träume – nun stoppt das Münchener Unternehmen sein Engagement wegen des Ukraine-Krieges. FlixBus habe seine Tätigkeit in Russland „mit sofortiger Wirkung vollständig eingestellt“. Gleiches gelte für Verbindungen nach Belarus.
Das Ende der russischen Busverbindungen ist die Folge des Angriffskriegs von Wladimir Putin – und trifft das Unternehmen FlixMobility zu Unzeiten. Die Mutter von FlixBus kann den Wegfall des Russland- und Belarus-Geschäfts zwar verkraften, mehr als ein paar Linien im Land und eine Auslandsverbindung etwa in die estnische Hauptstadt Tallin gab es bislang nicht. Doch die Krise durchkreuzt die Expansionspläne – vor allem im Zuggeschäft.
Eigentlich wollte der Bahnbetreiber FlixTrain für rund eine Milliarde Euro neue Züge in Russland beschaffen, um die Deutsche Bahn und andere Staatsbahnen im Ausland anzugreifen. Wegen des Ukraine-Krieges sei der Deal „nicht mehr umsetzbar“, heißt es aus Firmenkreisen. Die Planänderung will die Muttergesellschaft FlixMobility offiziell nicht bestätigen. Verklausuliert heißt es nur, man habe Fernbusaktivitäten in Russland und Weißrussland aus „moralischer Verantwortung“ eingestellt. Ähnliches gelte „für sämtliche Planungen zukünftiger Projekte der FlixMobility Gruppe“. Nun verfolgt das Unternehmen offenbar aber einen Plan B.
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Geplant war an und für sich der Kauf von 65 Zügen beim russischen Hersteller Transmashholding für rund eine Milliarde Euro. Dafür suchte FlixTrain nun einen Investor, der die Züge auf eigene Rechnung bestellt und anschließend an FlixTrain verleast. Das Projekt hätte das Risiko für FlixTrain erheblich reduziert. Gleichzeitig hätte der Deal den Einstieg eines Großinvestors in den europäischen Eisenbahnmarkt bedeutet. Er hätte Loks, Reisezugwagen und Personal an FlixTrain vermietet. Laut Werbeprospekt für die Finanzindustrie, der der WirschaftsWoche vorliegt, waren die Vertragsverhandlungen mit dem russischen Hersteller schon weit gediehen. Der Deal sollte über die Schweizer Tochter Transmashholding International (TMHI) abgewickelt werden.
Das Projekt war allerdings schon vor dem Feldzug des russischen Machthabers Putin in die Ukraine nicht unumstritten. Zu den Inhabern von Transmashholding gehören vier reiche OIigarchen, die ihr Vermögen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in der Rohstoffindustrie gemacht haben, darunter etwa Andrej Bokarev, der seit 2008 den Chefposten von Transmashholding innehat. Es gab Berichte, dass der Bergbau-Unternehmer bis 2017 am Waffenhersteller Kalaschnikow beteiligt gewesen sein soll. Als starker Mann im Hintergrund bei Transmashholding gilt Iskandar Makhmudov. Der 57-Jährige, in Usbekistan geboren, hatte auch schon so manchen Geldwäschevorwurf auszustehen.
Zur Wahrheit gehört auch: Keiner der vier Oligarchen steht aktuell auf den Sanktionslisten der EU. Und eine interne Überprüfung, eine Art Oligarchen-Check, hatte ergeben, dass man „keine Risikoindikatoren“ habe feststellen können, heißt es. Relevant wird dies nun ohnehin nicht mehr sein, da FlixTrain die Bande nach Russland kappen will.
Die Expansion im Zuggeschäft in Europa ist damit aber nicht grundsätzlich vom Tisch, ist zu hören. FlixTrain hatte den Auftrag für 65 Reisezüge vergangenes Jahr ausgeschrieben. Beworben hatten sich beispielsweise auch die Konkurrenten Siemens Mobility und Alstom. Transmashholding soll laut Branchenkreisen zunächst eine „Preferred Bidder"-Position innegehabt haben. Im Klartext: FlixTrain hatte sich damit eine Tür zu anderen Zugbauern für den Fall offen gehalten, dass eine Einigung mit TMHI nicht getroffen werden könne.
Dieser Plan B könnte nun greifen. Siemens und Alstom machen sich Hoffnung. Aus Unternehmenskreisen ist zu hören, dass zumindest Alstom einen Doppelstock-Zug angeboten haben soll, der mehr Passagiere transportieren könnte als die Züge von TMHI. Die ehrgeizigen Expansionspläne des Münchener Unternehmens FlixMobilty könnten also weiterverfolgt werden.
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