Zugfahrten zu unpünktlich Die Bahn kommt zu spät für den Klimaschutz

Geänderte Wagenreihung? Ist das jetzt der richtige Zug? Wann kommt den unserer? Wie viel ist der wieder zu spät? Typische Gespräche am Bahnsteig. Leider. Quelle: dpa

Grün? Die Bahn? Theoretisch. In der Praxis, im täglichen Erleben, sind die Verspätungen der Bahn für Kunden so teuer, dass der Klimakiller Fliegen wieder attraktiv wird. Berlin, hilf!

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Ich bin ein Bahn-Fan, durch und durch. Ich bin sogar ein Fan davon, im Inland nur Zug zu fahren, ICE. Von Hamburg nach Essen und zurück in einem Tag? Kein Problem. Von Hamburg nach Berlin und retour? Pah, in einem Tag fast zwei Mal möglich. Sogar von Hamburg nach München geht das, vielleicht mit einem Zwischenstopp im Biergarten an der Arnulfstraße. Laptop hoch, manchmal Internet. Wunderbar. Und fürs Klima ist das super. Die All Electric Society fährt Bahn. Klar. Selbst Verspätungen ertrage ich in Maßen. Kann vorkommen. Wir Deutschen, wir waren halt mal perfekt. Wir sind es nicht mehr. Das ist Teil der Wirklichkeit. I love the Bahn, really.

Die Bahn sprengt die Grenzen des Erträglichen

Aber das, was die Bahn derzeit bietet, sprengt die Grenzen aller Erträglichkeit – und macht, das ist das Schlimmste, sogar den Klimakiller Fliegen wieder attraktiver. Denn die Züge sind nicht nur im Schnitt rappelvoll, sie kommen vor allem nicht mehr pünktlich an. Ich weiß das. Allein in der vergangenen Woche bin ich sechs Mal mit Fernzügen gefahren, vom Norden in den Westen, Strecken, für die ICEs laut Fahrplan, vier, fünf Stunden brauchen. Keiner der Züge war pünktlich. Mal war die Verspätung kürzer, um die 20 Minuten, aber auf zwei Strecken auch größer als 90 Minuten, eine sogar mehr als vier Stunden. Hier eine Baustelle, dort eine Weichenstörung, einmal ist es ein Bundespolizei-Einsatz wegen eines „renitenten Passagiers“, dann ein Unwetter. Es gibt zig gute Gründe dafür, dass ein Zug stehen bleibt. Bei Suiziden, wenn Bäume auf den Gleisen liegen und so weiter. Aber offenbar vermischen sich diese Ereignisse der Höheren Gewalt mittlerweile so sehr mit einer kläglichen Baustellen- und Fahrplanplanung, dass der Fahrgast-Alltag im Chaos mündet und die erhebliche Verspätung zur Norm wird. Es ist ein armseliger Witz, dass tapfere Zugführer mittlerweile mitunter nur noch „Prognosen“ über Ankunftszeiten geben können und über Lautsprecher ansagen müssen, während die Verspätungsangabe auf der Navigator-App durchdreht. Sprache bestimmt das Sein.

Geschäftsschädigende Verspätungen

Mir ist klar, dass die Pünktlichkeit von Zügen ein Luxusproblem ist. Was für eine Rolle spielt es angesichts von Krieg und Verderben, ob ich in einem Gottseidank sicheren Land wie Deutschland nun pünktlich oder sehr viel später ans Ziel komme. So viel zur Verhältnismäßigkeit. Andererseits ist das Verhalten der Bahn mittlerweile geschäftsschädigend für die Kunden: Leider zu spät zum Vertragsabschluss? Leider zu spät zum Pitch? Leider zu spät zum Vortrag? Fürs Geschäft muss die Infrastruktur zuverlässig funktionieren. Und wenn ich auf der Strecke Bonn – Hamburg mit über vier Stunden Verspätung rechnen muss, dann ist, trotz aller Unbequemlichkeit und höherer Kosten, das Flugzeug möglicherweise die bessere, zuverlässigere Lösung – und weniger geschäftsschädigend. Und das kann, liebe Grüne, doch nicht sein, oder? Es hilft wenig, wenn die Bahn zwar mit Ökostrom fährt, aber dafür so unzuverlässig, dass sie Kunden unzumutbar kostet.

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Ein Managementversagen erster Güte

Und jetzt? Sich über die Bahn zu beschweren, ist in etwa so originell, wie Tipps für die Aufstellung der Fußball-Nationalmannschaft zu geben oder übers Wetter zu schimpfen. Dennoch, das, was gerade geschieht, hat eine andere Qualität. Und offenbar haben wir es, eben weil das Problem nicht neu ist, mit einem Managementversagen erster Güte zu tun. Warum hat die Bahn die passagierarme Zeit der Pandemie nicht genutzt, um sich vorzubereiten, die Pünktlichkeit in den Griff zu kriegen? Warum gibt es keine Puffer bei den Fahrplänen, keine bessere Planung?

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Das 9-Euro-Ticket wird nicht für Fernzüge gelten, aber es wird dafür sorgen, dass dieser Konzern von so vielen Menschen wie nie zuvor begutachtet, erkannt wird. Eigentlich eine Chance, die aber zur Horrorshow mutieren könnte. Ich glaube fest daran, dass die Bahn ein zentrales, wenn nicht das zentrale Vehikel für die Energiewende ist, sein könnte. Aber wenn die Bahn-Führung sich mehr um schöne, neue Sitzbezüge kümmert als um die Pünktlichkeit, wenn sie nicht bald entsprechend handelt oder – Berlin, hilf! – dazu gezwungen wird, wird diese Gelegenheit vertan. Dann kommt die Bahn zu spät für den Klimaschutz.

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