Zugverkehr Die Deutsche Bahn ist eine große Baustelle

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"Übertriebener Sparkurs"

Seitdem Ex-Siemens-Manager Jürgen Wilder Ende 2015 die Geschäfte übernommen hat, ließ er zwar Prozesse straffen. Doch 2016 sank der Cargo-Umsatz um vier Prozent auf 4,6 Milliarden Euro, der Verlust lag bei 81 Millionen Euro. Der für 2017 angepeilte Turnaround droht damit auszufallen.

„Der Vorstand hat durch seinen übertriebenen Sparkurs die Chance auf eine organisatorische Neuausrichtung vertan“, kritisierte Betriebsratschef Jörg Hensel, der im Aufsichtsrat sitzt, neulich in einem Mitarbeiterbrief. Das Papier zitiert Kollegen: „katastrophale Situation“, „Augenwischerei“, „keine Perspektive“, heißt es da.

Ausgerechnet Wilder ist nun Kandidat für den Vorstandsposten Güterverkehr, doch bei Gewerkschaften und SPD hat er einen schweren Stand. Diese favorisieren Sigrid Nikutta, Chefin des Berliner Nahverkehrs. Das Rennen ist offen. Im Bahn-Tower verliert man sich in diesen Tagen in Scharmützeln, statt die Probleme abzuarbeiten.

Operatives Ergebnis DB Cargo 2010-2016

Vor allem der vakante Vorstandsposten Digitales müsste schnell besetzt werden. Denn die größte Belastung für DB Cargo ist offenbar die neue, vermurkste IT. Mitarbeiter disponieren darüber Züge, stellen sie zusammen und speisen sie in den Fahrplan. Doch seien „Schnittstellen außer Acht gelassen“ worden, heißt es in der Betriebsratspost. „Züge tauchen nicht mehr im System auf.“ Aber sie blockierten die Gleise.

Sogar die Politik ist jetzt wegen der in die Hoffnungslosigkeit abdriftenden Gütersparte alarmiert. DB Cargo ist mit 69 Prozent Marktführer im Schienengüterverkehr in Deutschland. Und wenn es der Bahn-Tochter schlecht geht, geraten auch die Klimaziele der Regierung in Gefahr. DB Cargo transportiert heute noch weniger als im Vorfinanzkrisenjahr 2008.

Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat deshalb einen „Masterplan Schienengüterverkehr“ vorgelegt. Ab 2018 soll die Schienenmaut für Güterzüge um die Hälfte sinken, sprich: rund 350 Millionen Euro. Bei DB Cargo rechnen sie schon durch, welche Wagen und Loks sich anschaffen ließen.

Das sind die größten Baustellen der Bahn
Erst vor wenigen Tagen hat die Bahn den neuen ICE 4 vorgestellt – und sich im Fernverkehr Einiges vorgenommen. Um 25 Prozent soll das Angebot bis 2030 ausgebaut, fünfzig Millionen neue Fahrgäste gewonnen werden. Tatsächlich schafft es die Bahn mit ihrer Preisoffensive, etwa mit den 19-Euro-Tickets, mehr Fahrgäste in die Züge zu locken. Aber die Rendite leidet. Quelle: dpa
Der Güterverkehr der Bahn ist ein Sanierungsfall. Zwar verbesserte sich das Ergebnis von DB Cargo im ersten Halbjahr 2016, aber die Sparte ist defizitär– und das schon seit Jahren. Zwischen 2007 und 2015 stagnierte die Verkehrsleistung, und das in einer boomenden Wirtschaft. Private Anbieter, auch auf der Straße, machen der Bahn zunehmend Konkurrenz. Quelle: dpa
174,63 Millionen Minuten haben die Personen- und Güterzüge der Bahn 2015 an Verspätungen eingefahren. Hauptursache ist die wachsende Zahl von Baustellen. Zwar schneidet die Bahn im ersten Halbjahr 2016 besser ab. Aber: Das Bemühen um pünktliche Züge ist laut Bahnchef Grube „mit großen Kraftanstrengungen verbunden“. Quelle: picture-alliance/ dpa
Die Bahn investiert viel Geld in die Infrastruktur: Gut 5,2 Milliarden Euro flossen 2015 etwa in die Instandhaltung von Schienenwegen und Brücken. Doch es hapert bei der Koordinierung der vielen Baustellen. Und so verursacht die von Konzernchef Grube gefeierte „größte Modernisierungsoffensive in der Bahn-Geschichte“ vor allem eines: Verspätungen. Quelle: dpa
Die Bahn braucht Geld, um den Schuldenanstieg zu bremsen. Geplant war deshalb ein Verkauf von maximal 40 Prozent der britischen Tochter Arriva und des Transport- und Logistikkonzerns DB Schenker. Arriva sollte im zweiten Quartal 2017 an der Londoner Börse starten, Schenker danach in Frankfurt. Doch die Pläne sind jetzt vom Tisch. Quelle: picture alliance/dpa
Bahnchef Grube feierte kürzlich die Grundsteinlegung für den Stuttgarter Tiefbahnhof, aber das Großprojekt bleibt umstritten. Beim Volksentscheid 2011 war noch von 4,5 Milliarden Euro Kosten die Rede. Der Bundesrechnungshof hält nun offenbar zehn Milliarden Euro für möglich, Grube selbst spricht von 6,5 Milliarden Euro. Quelle: AFP

Und so bleibt bei der Bahn trotz Zukunftsoffensive alles beim Alten: Ohne Geld vom Staat kommt sie einfach nicht vom Fleck. Noch Ende 2016 überraschte Dobrindt mit einer Finanzspritze von 2,4 Milliarden Euro, um die Schulden von 18 Milliarden Euro zu drücken. Es war Lutz als Finanzchef, der maßgeblich daran beteiligt war. Nun solle Berlin die Schienenmaut auch im Nah- und Fernverkehr senken, heißt die neueste Forderung im Bahntower an die Politik.

Wo es Geld zu holen gibt, weiß Lutz. Im operativen Geschäft die Weichen neu zu stellen bisher nicht. Der Kaiserslauterner stammt aus einer Bahnerfamilie, sein Vater arbeitete in einem Ausbesserungswerk. Es scheint, als knüpfe Lutz an die Familientradition an.

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