Zum Wachsen verdammt Diese Grafiken zeigen, was wirklich hinter der Expansion der Billigflieger steckt

Eurowings, Ryanair, Easyjet & Co.: Zum Wachsen verdammt Quelle: REUTERS

Europas Billigflieger wollen 2022 wieder mindestens so groß sein wie vor der Coronakrise. Doch sie könnten Opfer ihres eigenen Wachstums werden.

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Easyjet-Chef Johann Lundgren wirkte kaum besorgt über den Vormarsch der Omikron-Variante, als er seinen Ausblick für das kommende Jahr gab. „Wir haben uns auf Zeiten wie diese vorbereitet und gehen davon aus, dass wir im Sommer wieder annähernd das Niveau vor der Pandemie erreichen“ sagte der gebürtige Schwede. Dann ergänzte Lundgren: Er sehe trotz vieler Ungewissheiten „eine einzigartige Chance, Kunden zu gewinnen und Marktanteile von Konkurrenten zu übernehmen.“

Der CEO des britischen Billigfliegers ist nicht der einzige Optimist in der Branche. Ryanair-Vorstandschef Michael O’Leary sieht sein Geschäft Mitte 2022 wieder auf Vorkrisenniveau. Und sein Kollege József Váradi vom osteuropäischen Ultrabilligflieger Wizz Air will dann sogar größer sein als in 2019. Eurowings und Discover von Lufthansa sowie Vueling aus der IAG-Gruppe wollen zumindest in die Nähe der alten Zeiten kommen.

Doch nachdem viele Beobachter lange die Zuversicht der Preisbrecher teilten, wächst mittlerweile die Skepsis. Die Billigmarktführer gefährden ihren Siegeszug, weil sie laut ihren eigenen Planungen schlicht zu stark zulegen. Dabei hätten die Billigflieger ohne übertriebenes Wachstum Chancen, den Vorsprung zu Lufthansa oder IAG auszubauen. Sie sind fast ausschließlich im einzigen Bereich des Fluggeschäfts aktiv, der wieder funktioniert: günstige Nonstop-Flüge in Europa für Urlauber, Arbeitsmigranten und private Besuche. Dazu können die Discounter dank ihrer niedrigen Kosten eher die Nachfrage durch Rabatte stimulieren als die etablierten Linien. Weil sie stärkere Bilanzen haben und mehr Geld im Verkauf von Reiseextras wie Bordverpflegung und Mietwagenvermittlung einnehmen, können sie es sich sogar leisten, ihre Flugtickets mit Verlust zu verkaufen – und Lufthansa & Co. so Kunden abzujagen.
(Wo die Airlines abseits der Ticketpreise kräftig kassieren, lesen Sie hier.)



Das ist den Billigfliegern nicht genug. Am offensten spricht Easyjet-Chef Lundgren über den Ausbau. Die größere Expansion plant er im Feriengeschäft. Im Vergleich zu 2019 will Easyjet rund ein Viertel mehr Flüge nach Griechenland anbieten. Zu den Kanaren soll es ein Drittel mehr werden, Richtung Türkei plant Lundgren eine Verdopplung. In Ägypten, wo Easyjet bisher eher eine Nebenrolle spielt, steht gar ein Plus von 675 Prozent in den Plänen. „Wir werden zu einer Macht im Tourismus“, so Lundgren.

„Das gefährdet die finanzielle Erholung der Branche“

Wenig bescheiden sind auch seine Pläne für Geschäftsreiseziele. Die Linie hat sich reichlich Startrechte gesichert am zweiten Londoner Flughafen Gatwick, in Manchester, Mailand und am größten Pariser Flughafen Charles de Gaulle. „Da werden wir größer sein als je zuvor“, so Lundgren. Ähnliche Pläne hat Wizz Air, die gerade einen Großteil der Startrechte des skandinavischen Billigfliegers Norwegian übernommen hat.

Doch bei ihren Plänen drohen es die Billigflieger zu übertreiben. In den nächsten Jahren kommen wohl deutlich mehr Jets nach Europa, als die Airlines gewinnbringend beschäftigen können. Wer seine Maschinen füllen will, hat darum nur die Möglichkeit, mit Kampfpreisen die Nachfrage anzutreiben. „Wir sind deutlich vorsichtiger geworden, ob die Preise wirklich deutlich gegenüber der Krise steigen“, so Analyst Alex Irving vom Brokerhaus Bernstein aus New York. „Besonders Ryanair und Wizz Air wollen offenbar die Ticketpreise verderben und gefährden bewusst die finanzielle Erholung der ganzen Branche“, fürchtet ein führender deutscher Airliner.

Für mehr Druck sorgt derzeit, dass die Zahl der Geschäftsreisenden langsamer steigt als erwartet. Obwohl sie bei den Billigfliegern meist bestenfalls ein Zehntel der Passagiere stellen, haben sie doch auch bei ihnen die Erträge spürbar gesteigert. Denn sie zahlen für ihre kurzfristig gebuchten Tickets oft ein Vielfaches dessen, was Urlauber ausgeben. Darum werden sich am Ende alle Airlines schwertun. „Wir erwarten in allen Szenarien weniger Gewinn“, so sein Kollege Andrew Lobbenberg von der Londoner Investmentbank HSBC.

Wie es zu dem Überangebot kommt, zeigt ein Blick auf die Entwicklung der in Europa eingesetzten Flotten.



Das deutlichste Warnzeichen ist die Zahl der in Europa aktiven Flugzeuge. Zwar ist der Verkehr im November im Vergleich zum bisherigen Rekordjahr 2019 um rund die Hälfte eingebrochen. Doch laut den Übersichten von Branchendaten-Dienstleistern wie Ascend und CH Aviation ist die Zahl der einsatzfähigen Maschinen in der Krise mit einem Minus von rund drei Prozent nahezu gleich geblieben. Zwar gingen rund 220 Jets durch Insolvenzen wie etwa von Norwegian oder Alitalia aus dem Markt. Doch von den überlebenden Airlines wollte sich fast keine von ihren Jets trennen. Mit 466 Exemplaren wurde gerade mal zwölf Prozent des Vorkrisenbestands von gut 3800 Fliegern verschrottet. Selbst, dass mit 14 Prozent der Flotte derzeit mehr Jets denn je abgestellt sind, sorgt nicht für Entspannung. Experten wie Alex Irving erwarten, dass viele davon zurück in den Dienst kommen. „Parken statt Verschrotten zeigt eine Absicht, die Flugzeuge wieder aktivieren zu wollen“, so der Bernstein-Analyst.

Dagegen bekamen Europas Airlines in den vergangenen zwei Jahren 567 neue Flugzeuge. Und es sollen mehr werden. Wenn den Gesellschaften wie angekündigt bis zum kommenden Sommer 177 weitere Maschinen von Airbus und Boeing zufliegen, ist der Bestand zur nächsten Hochsaison größer als vor der Krise. Und in den nächsten zwei Jahren kommen laut den Bestell-Listen der großen Hersteller nochmal 235 Flugzeuge dazu.



Dieser Zuwachs verteilt sich nicht gleichmäßig auf die Fluglinien. Die etablierten Airlines legen laut den Datendienstleistern Ascend und CH Aviation kaum zu. So kommt die Lufthansa-Gruppe trotz einer größeren Flotte bei ihrer Lowcost-Linie Eurowings unterm Strich nur auf sechs Maschinen mehr. Bei Air France-KLM schrumpft die Zahl bis 2024 sogar um sieben Mittelstreckenjets.

Dagegen geben vor allem zwei Billigflieger richtig Schub. Ryanair will im Jahr 2024 mit 629 Flugzeugen gut ein Drittel größer sein, als 2019. Wizz Air möchte den Maschinenpark auf 228 Exemplare sogar fast verdoppeln. Easyjet legt mit 20 Jets auf den ersten Blick zwar nur bescheiden zu. Doch CEO Lundgren hat angekündigt, neben den eigenen Jets andere Airlines für sich fliegen zu lassen.

Dahinter steckt nicht nur reiner Wachstumswahn, sondern ein gewisser Zwang. „Wenn ich die Kollegen richtig verstehe, müssen sie teilweise mehr Maschinen nehmen als sie für unbedingt nötig halten“, so ein führender deutscher Airliner. Denn alle Fluglinien haben in den Jahren vor Corona großzügig bestellt und können die Auslieferungen nur schwer verschieben oder kündigen. „Die Idee war wohl, dass sie angesichts der damals bis zu sieben Jahre langen Lieferzeiten für Mittelstreckenjets sonst nicht sicher sein konnten, auch genug Flugzeuge zu bekommen“, so ein führender deutscher Airliner. „Und was sie dann doch nicht brauchten, wollten sie wegen des schier grenzenlosen weltweiten Wachstums wohl bequem loswerden.“ Das jedoch ist angesichts des weltweit geringen Wachstums derzeit schwer, sodass es für viele billiger ist, die Maschinen erstmal selbst zu betreiben.



Die Flugzeugflut offenbart dabei nur einen Teil des Wachstums. Denn die neuen Jets haben zumeist deutlich mehr Sitze als die bisherigen. Damit stieg die durchschnittliche Kapazität der ganzen aktiven Flotte seit 2004 bereits um 25 Plätze auf rund 168 Sitze. Und bis 2024 werden es laut den Berechnungen pro Jahr nochmal jeweils drei Sessel mehr.

Zum einen kaufen die Fluglinien vor allem größere Maschinen. So setzt Wizz Air bei ihren neuen Airbusmaschinen auf die Variante A321, die rund sieben Meter länger ist und 50 Plätze mehr bietet als ihr bisheriger Standardflieger A320. Eurowings und Easyjet setzen wiederum vermehrt auf den Airbus A320 statt auf die A319-Variante. Der A320 hat auf den knapp vier zusätzlichen Metern Raum für vier Reihen mehr mit 24 Plätzen.

Gleichzeitig packen die Airlines in ihre Flieger dünnere Sitze und verkleinern Toiletten sowie Küchen. Das bringt Raum für bis zu zwei weitere Sitzreihen. Steigt die Zahl der Kunden an Bord, sorgt das bei fast gleichen Betriebskosten für mehr Umsatz und Einnahmen.

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Einen anderen lukrativen Weg zum Beispiel Tuifly. Die Flug-Tochter des Reisekonzerns Tui nutzt bei ihrem neuen Flieger vom Typ Boeing 737 Max den zusätzlichen Raum dafür, mehr Sitzreihen mit einem höheren Abstand anzubieten. Diese lassen sich besonders auf längeren Flügen gegen einen Aufpreis von über 60 Euro buchen, was unterm Strich mehr bringt als zusätzliche Passagiere.

Wie lange der Druck durch die Flugzeugflut anhält, ist schwer abzuschätzen. „Es kommt darauf an, wer möglichst viele alte Jets loswird und den Preisverfall am besten durchhält“, so ein führender deutscher Airliner.

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