Seine Karriere begann mit einem Rauswurf: Im Alter von 28 Jahren und frisch an Bord im väterlichen Drogerieunternehmen hatte es Götz Wolfgang Werner gewagt, auf die Probleme der Firma hinzuweisen: „Vati, wenn du so weitermachst, gehst du pleite“, ließ der Junior seinen Vater wissen.
Der Satz brachte den Patriarchen derart in Wallung, dass sein Sohn zwei Stunden später auf der Straße stand. Das erwies sich im Nachhinein als Glücksfall, denn Götz Werner konnte nun seine Visionen umsetzen, baute mit dm aus dem Nichts ein Drogerie-Imperium auf und wurde später einer der prominentesten Vorkämpfer für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Am Dienstagvormittag starb Werner im Alter von 78 Jahren. Seine Familie teilte mit, dass seine Kräfte in den vergangenen Monaten kontinuierlich nachgelassen hätten. Werner lebte mit seiner Frau Beatrice in Stuttgart. Er hinterlässt sieben Kinder, mehrere Enkel und ein wohlbestelltes Unternehmen. Europaweit beschäftigt dm mehr als 66.000 Mitarbeiter, davon knapp 43.000 in Deutschland, hat fast 4000 Märkte und erzielt einen Jahresumsatz von über 12 Milliarden Euro.
Ein derartiger Aufstieg war kaum denkbar, als Werner im Sommer 1973 in Karlsruhe seinen ersten Selbstbedienungs-Drogeriemarkt (dm) eröffnete – auf dreifacher Fläche und mit stark reduziertem Sortiment im Vergleich zu herkömmlichen Drogerien. Doch der Markt in Karlsruhe kam bei den Kunden an – und viele weitere folgten. Maßgeblich finanziert wurde die Expansion mit dem Geld des früheren Pfannkuch-Gesellschafters Günther Lehmann. Dm wuchs rasant, setzte auf Allianzen, früh auf Bio und auf eine etwas andere Mitarbeiterführung. Kundenorientierung, Gewinnbeteiligung, das Unternehmen als sozialer Organismus mit „Lernlingen“ statt Lehrlingen und Theater-Workshops. Auch nach seinem Ausscheiden als dm-Chef 2008 besuchte Werner regelmäßig und unangemeldet seine Filialen – um ein Schwätzchen zu halten und nach dem Rechten zu sehen.
Branchenkenner bescheinigten dem Anthroposophen und Goethe-Fan, all das richtig gemacht zu haben, was sein langjähriger Konkurrent Schlecker falsch machte. Auch sein größter Rivale zollte Werner schon zu Lebzeiten Anerkennung: „Sein Wissen, sein Ideenreichtum und die jahrzehntelange Verbundenheit zu ihm hat mir immer viel bedeutet“, sagte Dirk Roßmann vor einigen Jahren.
Vorkämpfer für das Grundeinkommen
Götz Werner war auch sonst ein etwas anderer Unternehmer. „In der Schule sitzengeblieben, nach elf Schuljahren abgegangen. Deutscher Jugendmeister im Rudern, Drogist gelernt, Prokurist geworden. Verstoßener Sohn. Realträumer. Gründer wider Willen“, beschrieb er den eigenen Werdegang in seiner Biografie. Ergänzen ließe sich wohl noch: „Menschenfreund“ und unermüdlicher Vorkämpfer für das bedingungslose Grundeinkommen.
Das „Einkommen für alle“ – so der Titel seines Buches zum Thema – hatte für ihn etwas mit der Würde des Menschen zu tun. „Angesichts des Überflusses, in dem wir leben, müssen wir unverzüglich handeln und unseren Sozialstaat so gestalten, dass jeder menschenwürdig leben kann.“ Vor allem Altersarmut empfand er als unwürdig: „Das ist grober Undank, denn unser Wohlstand wurzelt in der Leistungsbereitschaft früherer Generationen.“
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Nach Hunderten von Vorträgen, Diskussionen und Interviews freute sich Werner über die Dynamik, die das Thema entwickelt hat. „Das bedingungslose Grundeinkommen wird gesellschaftlich breit diskutiert“, bilanzierte er vor ein paar Jahren. Parteien setzen sich damit auseinander, an Hochschulen wird dazu geforscht. „Früher oder später führt kein Weg daran vorbei.“ Er war überzeugt: „Das bedingungslose Grundeinkommen liefert Lösungen für viele Herausforderungen, bei denen wir heute nicht weiterkommen.“
Seine eigenen Unternehmensanteile hat er schon vor Jahren in eine gemeinnützige Stiftung eingebracht. „Die Stiftung soll das Unternehmen stützen und erhalten“, erklärte Werner dazu. „Ziel eines Unternehmens ist es nicht, Dukatenesel zu sein.“ Dm-Unternehmenschef ist seit September 2019 sein Sohn Christoph.
Seit Herbst 2018 war Werner aus gesundheitlichen Gründen kürzergetreten. Sein größter Wunsch war: „Dass meine Ideen als Unternehmer und Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens fortwirken und zu einer lebenswerten Welt beitragen.“