Dr. Oetker Lust und Last des Pudding-Erben

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So unterschiedlich die Geschäftsbereiche sind, so verschieden sind ihre Probleme und Chancen. Bei den Nahrungsmitteln geht die Strategie auf, Absatzschwierigkeiten im deutschen Markt durch Investitionen im Ausland auszugleichen. Der Auslandsanteil der Sparte Dr. Oetker liegt schon bei 56 Prozent und wächst weiter. Inzwischen testet das Unternehmen mit seiner Pizza-Sparte den kanadischen Markt und hat die USA im Visier. Mutig ist die radikale Entscheidung, keine Handelsmarken zu produzieren. Oetker soll nur drinstecken, wo Oetker draufsteht. Dabei ist im deutschen Markt eigentlich nur mit Billigmarken leichtes Wachstum zu erzielen. Selbst bei Onken, der Dessert- und Joghurtfabrik in Moers, fährt Oetker die Handelsmarken-Herstellung jetzt auf null zurück. Die 2004 übernommene und anfangs skeptische Belegschaft dort ist begeistert von ihrem neuen Arbeitgeber. Obwohl Onken auch zuvor ein Familienunternehmen war, sieht Betriebsratschefin Cordula Schütte die Integration ins Oetker-Reich positiv: „Unsere Meinung zählt mehr als früher, die Mitarbeiter werden ernst genommen.“ Natürlich schaute sich auch Seniorchef Rudolf-August Oetker persönlich die Neuerwerbung an, ließ sich in die Kantine führen und begrüßte jeden dort mit Handschlag: „Guten Tag, ich bin der ganz alte Oetker.“ Zumindest im Nahrungsmittelbereich pflegt Oetker perfekte Corporate Identity: Die Werkshallen – ob in Moers oder bei den Pizza-Machern im rheinland-pfälzischen Wittlich – sind alle cremegelb gestrichen. Wer dort einen Job hat, bleibt lange. Von den 1862 Oetker-Mitarbeitern in Bielefeld sind mehr als ein Drittel mindestens 20 Jahre im Unternehmen. Das größte Sorgenkind der Bielefelder ist die Wiesbadener Getränkegruppe Henkell & Söhnlein. Die Sektsparte schwächelt vor allem in Deutschland. Fast vier Prozent weniger Wein, Sekt und Spirituosen wurden hier im vergangenen Jahr verkauft. Die Jubiläumsstimmung – 2006 feierte Henkell-Sekt sein 150-jähriges Bestehen – dürfte in einen Kater umgeschlagen sein. Es gibt keine Anzeichen, dass Henkell & Söhnlein die ersehnte Stellung eines Marktführers bei Schaumweinen je erreichen könnte. „Diese Positionen sind – soweit es den Weltmarkt betrifft – fest in der Hand von Schloss Wachenheim und soweit es den deutschen Markt betrifft in der Hand von Rotkäppchen-Mumm“, sagt Brun-Hagen Hennerkes, führender Experte für Familienunternehmen und Kenner der Sekt- und Spirituosenbranche. Es könnte noch dicker kommen: Vertrauliche Marktforschungsunterlagen zeigen, dass die Marken von Henkell & Söhnlein weder im aufstrebenden Rosé-Sekt-Geschäft noch im Markt des alkoholfreien Sekts eine wichtige Rolle spielen. Das Fazit der Marktforscher ist vernichtend: „Bei Rotkäppchen-Mumm ist auch im zweiten Halbjahr 2007 kein Ende des Wachstums in Sicht, während bei der Nummer zwei im Markt, Henkell & Söhnlein, kein Ende der zweistelligen Absatzverluste in Sicht sind.“ Trüb sieht es auch beim meistverkauften Oetker-Schnaps aus, dem Wodka Gorbatschow, der für fast zwei Drittel des Umsatzes des Spirituosensortiments steht. Der Hochprozenter verliert Marktanteile, obwohl Wodka eine der wenigen Spirituosen ist, die überhaupt noch wachsende Umsätze liefern. Im deutschen Lebensmittelhandel torkelt der Gorbatschow-Anteil von 33 Prozent (1999) auf 21 Prozent (2006). Auch die Oetker-Biersparte Radeberger ist bei Trends wie den Mischgetränken kaum präsent. Dem Konglomerat, das über Jahrzehnte aus Bierkonzernen wie Radeberger, Brau und Brunnen und Binding zusammengebraut wurde, fehlen echte Aushängeschilder wie Warsteiner, Beck’s oder Krombacher. Geld für derart hochprozentige Übernahmen könnte jetzt ein Immobilienverkauf ins Bier-Reich spülen. Der US-Finanzinvestor Carlyle Group hat Immobilien der Brauerei Radeberger gekauft. Aus Marktkreisen ist zu hören, dass mindestens 250 Millionen Euro für das aus 122 Objekten bestehende Portfolio fällig werden. Positiver präsentiert sich die Schifffahrts-Sparte. Mit der Finanzkraft des Konzerns im Rücken konnte die Reederei durch Übernahme etwa der Deutschen Levante Linie oder der brasilianischen Reederei Aliança ihr Einsatzgebiet ausdehnen. Zwar war auch Hamburg Süd vom Verfall der Frachtpreise und der Verteuerung der Brennstoffe betroffen, aber inzwischen ist der Tiefpunkt überwunden. Das Container-Handelsvolumen dürfte im laufenden Jahr wieder um zehn Prozent wachsen, auch die Frachtraten ziehen wieder an.

Knapp 30 der insgesamt 146 unter Hamburg-Süd-Flagge laufenden Schiffe sind im Besitz der Reederei, der Rest gehört juristisch eigenständigen Finanzierungsgesellschaften, die durch langfristige Charterverträge an die Gruppe gebunden sind. Mit dieser Konstruktion lassen sich niedrige Frachtraten durch günstigere interne Verrechnungspreise erzielen. Investiert wird im Wesentlichen aus dem Geldfluss des laufenden Geschäfts – und nur dann, wenn die Rendite bei mindestens zwölf Prozent liegt. Seit 2005 hat Hamburg Süd so fast 740 Millionen Euro ausgegeben. Vor drei Jahren versuchte die Oetker-Linie gar Hapag-Lloyd zu übernehmen. Seitdem kochen immer wieder Spekulationen über einen Zusammenschluss hoch. Doch Fachleute glauben, der Preis von 1,5 bis 2 Milliarden Euro wäre für Oetker zu hoch. Selbst für einen Konzern, der sich eine eigene Bank hält: das Privatbankhaus Lampe. Mit einer Bilanzsumme von knapp drei Milliarden Euro spielt das 1852 gegründete Institut, in das Rudolf-August Oetker 1949 einstieg, in einer Liga mit anderen traditionellen Privatbanken wie Metzler, M.M. Warburg oder Hauck & Aufhäuser. Besonders stark engagiert ist sie im Geschäft mit Mittelstandskunden. Während das reine Kreditgeschäft nur geringe Gewinne liefert, hat die Bank auf dieser Grundlage die Kapitalmarktfinanzierung ausgebaut und die Vermögensverwaltung zahlreicher Familienunternehmer übernommen. Zudem ist Beratung und Finanzierung bei Übernahmen unter Mittelständlern ein wichtiges Wachstumsfeld. „Die strategische Neuausrichtung der Bank ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein ertragsschwaches Marktsegment zum Aufbau einer neuen Portfoliopolitik genutzt werden kann, ohne die traditionellen Zielkunden zu verprellen“, sagt Fachmann Hennerkes. Im umkämpften Geschäft mit den Wohlhabenden, in das auch die großen Geldhäuser drängen, schlägt sich die Lampe Bank wacker. Sie konnte ihren Jahresüberschuss im vergangenen Jahr um 32 Prozent auf 22 Millionen Euro steigern. „Die Diversifikation an sich“ sei der Sinn des Konglomerats, verteidigt August Oetker die Struktur seiner Unternehmensgruppe. Die Frage ist, ob er sie ändern könnte, wenn er wollte. Der Spielraum jedenfalls ist nun vorhanden. Sind sich die acht Erben einig, können sie die Oetker-Gruppe anders aufstellen, in Geschäftsfelder einsteigen oder Sparten verkaufen. Eine Herausforderung, die vermutlich erst auf August Oetkers Nachfolger zukommen würde. Schließlich muss er in zwei Jahren abtreten, sofern nichts anderes beschlossen wird. Möglich ist eine Amtsverlängerung, wenn sich im Kreis der Erben eine Drei-Viertel-Mehrheit dafür findet. Eine Bewährungsprobe für den viel beschworenen Familienfrieden. Die Suche nach dem nächsten Chef läuft bereits. Alfred, ein Halbbruder Augusts und ältester Sohn aus Rudolf-August Oetkers dritter Ehe, der das Nahrungsmittelgeschäft in Holland leitet, sei ein heißer Kandidat, heißt es. Infrage komme aber auch ein Oetker-Manager, der nicht zum Clan gehört. Oder aber eine Übergangslösung, bis sich in fünf oder zehn Jahren ein Mitglied der fünften Oetker-Generation genug berufliche Sporen verdient habe. „Denkbar ist vieles“, sagt August Oetker zu den Gedankenspielen. Sein Interesse muss sein, dass es nicht jetzt schon einen sicheren Anwärter gibt, der ihn, August, als Auslaufmodell erscheinen lässt. Er erlebt gerade – privat und als Firmenchef – seinen zweiten Frühling und würde die gewonnenen Freiheiten gerne noch ein Weilchen nutzen. Oetker senior hat einige Tabus mit ins Grab genommen. Festzumachen ist das an einem Gemälde, das derzeit im Entree der Bielefelder Kunsthalle hängt: der „Russischen Tänzerin“ des Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner, eines von rund 1000 Bildern der Oetker-Kunstsammlung. Rudolf- August Oetker hatte der von ihm gestifteten Kunsthalle Bielefeld die Dauerleihgabe 1998 entzogen, weil die Stadt das Haus nach jahrelangem Streit umbenannt und den Namen des umstrittenen Oetker-Stiefvaters Kaselowsky tilgte. Die „Russische Tänzerin“ – beschwingt in der Bewegung, ernst im Gesichtsausdruck – hing deshalb jahrelang in August Oetkers Büro. Nun ist das von Hitler als entartet verfemte Werk in die Kunsthalle zurückgekehrt, wenn auch nur für die Sonderausstellung „1937“. Rudolf-August Oetkers Büro, in dem auch schon die Gründerväter saßen, steht heute leer. Seine Sekretärin wacht darüber, dass Unbefugte nicht den holzgetäfelten Raum entweihen. Der dynastischen Logik nach müsste nun August Oetker einziehen. Macht er aber nicht. Auch ein Signal.

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