Patrick Schmitz-Morkramer ist gut im Geschäft, die Pflichten eines Top-Bankers haben ihn im Griff. Im Terminkalender ist jede Minute verplant, ein Kundengespräch folgt auf das andere, und an diesem Nachmittag veranstaltet sein Arbeitgeber, die Nomura-Bank, auch noch ein Golfturnier für Kunden. Da darf er nicht fehlen.
Schmitz-Morkramer war Co-Deutschland-Chef der insolventen US-Investmentbank Lehman Brothers. Nun hat er wieder die gleiche Funktion bei der japanischen Großbank inne, die die europäischen und asiatischen Teile seines Ex-Arbeitgebers aufgekauft hat. Schmitz-Morkramer ist optimistisch und schmiedet große Pläne. „Wir sind jetzt die einzige globale Investmentbank mit einer marktführenden Position in Asien“, sagt er. Nomura soll zu einer der weltweiten Top-Adressen werden. Dabei helfen sollen auch die rund 8000 weiteren Ex-Lehman-Banker.
Symbol für den Zusammenbruch
Die Investmentbank Lehman Brothers, die am 15. September 2008, untergegangen ist, ist zu einem Symbol der Irrwege im Bankwesen geworden. Obwohl viele andere Banken sich ähnlich verspekuliert haben, steht der Name Lehman heute für Gier und den ungezügelten Risikoappetit von Bankern. Seit der Lehman-Pleite mussten Staaten weltweit das Finanzsystem mit Billionen von Euro vor dem Kollaps retten, erlebte die Konjunktur den schwersten Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Zehntausende empörte Käufer von Lehman-Zertifikaten, die nichts mehr wert sind, stehen für das auf breiter Basis verschwundene Vertrauen in die Solidität von Banken.
Belasteter Neustart
Die rund 20.000 Lehman-Angestellten von einst haben heute meist neue Jobs. Aber auch, wenn viele die Vergangenheit gerne hinter sich lassen würden, belastet ihr früheres Wirken den Neustart. Viele Beobachter fragen sich, ob jene Kultur, die die Finanzwelt an den Rand des Abgrunds geführt hat, nun einfach unter neuer Flagge weiterlebt.
Schmitz-Morkramer weist das von sich und präsentiert sich einsichtig: „Die Banken haben sich zu weit weg vom Kundengeschäft entwickelt, zu viele nicht schnell am Markt verkäufliche Vermögenswerte auf die Bilanz genommen und ihre Geschäfte mit zu wenig Kapital unterlegt.“ Das soll bei Nomura anders sein. „Die vorsichtigere Kultur und das nachhaltige strategische Denken von Nomura passen in die veränderte Bankenwelt.“
Um das zu untermauern, zeigt der Deutschland-Chef eine Präsentation, in der Nomura im Aktienhandel an der Londoner Börse seit Januar von Platz 25 auf Rang 1 gestiegen ist. „Das erste Quartal hat gezeigt, wie stark wir gemeinsam im Kapitalmarktgeschäft werden können.“
Doch nicht überall sind die Aussichten so rosig. Obwohl Nomura allein in Europa seit Jahresbeginn 450 neue Mitarbeiter zusätzlich eingestellt hat, obwohl der Wertpapierhandel tatsächlich den erwünschten Gewinnsprung machte und Nomura im ersten Quartal den ersten Gewinn seit 2007 ausgewiesen hat, wachsen die beiden Banken nur mühsam zusammen, wie Insider berichten. Ganz grundsätzlich geht es um die Frage: Wie viel Lehman verträgt Nomura?
Top-Manager auf dem Rückzug
Für viele europäische Top-Manager, die die Bank bereits verlassen haben, offenbar zu wenig. Der Co-Chef des europäischen Investmentbankings, Alexis de Rosnay, ging zum Konkurrenten Lazard. Der Frankreich-Chef Xavier Rolet leitet seit März die Londoner Börse. Michael Bonacker, Co-Chef des deutschen Lehman-Büros, sollte eigentlich das europäische Team für das Geschäft mit Finanzdienstleistern leiten.
Er verließ die Bank jedoch im Frühling und ist nun Chef der Strategieabteilung der Commerzbank. Andere deutsche Top-Manager wechselten zu Konkurrenten wie Credit Suisse oder der Citigroup. Der ehemalige Staatsminister Hans-Martin Bury ging zur Kommunikationsagentur Hering Schuppener. Wie viele Lehman-Banker das Unternehmen insgesamt verlassen haben, will Nomura nicht kommentieren. Es heißt lediglich, mehr als 90 Prozent seien noch da.
Warten auf den Bonus
Doch der Exodus droht weiterzugehen. „Viele warten nur darauf, dass sie im Oktober ihren Bonus erhalten, und werden danach gehen“, sagt ein Nomura-Insider. Nomura hatte rund 400 Lehman-Investmentbankern Bar-Boni auf dem Level des Rekordjahres 2007 garantiert, wenn sie Nomura für eine gewisse Zeit treu bleiben. Wer bis zum März dieses Jahres durchhielt, bekam zwei Drittel des zugesagten Bonus. Wer bis zum ersten Oktober bleibt, erhält auch noch den restlichen Bonus. Dazu kommt: Einige Londoner Headhunter berichten bereits wieder von einer steigenden Nachfrage nach Finanzexperten.
Die typische Lehman-Arbeitsweise, die gemünzt war auf große Deals, hohes Tempo und hohes Risiko, passt für viele nicht in die bisherige Nomura-Welt. Langsam und bürokratisch sei der Nomura-Apparat, schimpfen Ex-Lehman-Mitarbeiter. Auch sonst gibt es so manche Eigenheit, die wohl nur in einer japanischen Bank anzutreffen ist. Mitarbeiterinnen in London sollen des Handelsraumes verwiesen worden sein, weil sie angeblich nicht adäquat gekleidet waren.
Barclays Capital hält das US-Geschäft
Während die Top-Lehman-Investmentbanker es bislang gewohnt waren, bei Milliardendeals zwischen den USA und Europa mitzumischen – zuletzt beim Verkauf des deutschen Privatkundengeschäfts der Citigroup an die französische Crédit Mutuel –, können sie bei Nomura auf solche Geschäfte in absehbarer Zeit kaum hoffen. In den USA ist Nomura vergleichsweise winzig. Gerade einmal 880 Mitarbeiter beschäftigt die Bank dort, nachdem sie bereits kräftig aufgestockt hat. Weitere 250 Neueinstellungen sind in den nächsten vier Monaten geplant. Lehman beschäftigte rund 10.000 Mitarbeiter in den USA.
Doch das gesamte US-Geschäft von Lehman hat sich die britische Investmentbank Barclays Capital unter den Nagel gerissen. „Die Lehman-Investmentbanker brauchten die enge Verbindung und ihr Netzwerk in den USA. Die sind jetzt abgeschnitten“, sagt der Deutschland-Chef eines Konkurrenten.
Barclays rückte mit der Übernahme in die Liga der großen Player auf. Im ersten Halbjahr 2009 meldeten die Briten eine Verdopplung ihrer Erträge im Investmentbanking auf 17,5 Milliarden Dollar. Die Briten haben ehrgeizige Pläne und wollen sogar globaler Investmentbank- Primus werden.
In Finanzkreisen heißt es allerdings, ganz reibungslos laufe die Integration der ehemaligen Lehman-Mitarbeiter auch bei Barclays Capital nicht. Zahlreiche Mitglieder des alten US-Managements, die einst bei Lehman für die verlustbringenden Geschäfte verantwortlich waren, seien noch immer an Bord.
Klage gegen Lehman Brothers
Jene Geschäfte beschäftigen heute vor allem die Anwälte. Rund ein Jahr nach dem Kollaps der US-Investmentbank wird der britische Zwangsverwalter Tony Lomas von PricewaterhouseCoopers (PwC) im Auftrag der ehemaligen europäischen Töchter voraussichtlich bis zum 22. September Klage erheben, um 100 Milliarden Dollar aus der Konkursmasse der US-Holding zu sichern. Mehr als 100 Einheiten prüfen derzeit Forderungen gegen den früheren Mutterkonzern und beziehen sich vor allem auf Garantien, die Lehman seinen Töchtern gegeben hatte.
Ärger ist vorprogrammiert
Auch in den USA droht Ärger. Mitte August genehmigte der New Yorker Konkursrichter James Peck die Zahlung von 96 Millionen Dollar an mehr als ein Dutzend Wall-Street-Kanzleien, die mit der Abwicklung der Restholding von Lehman Brothers befasst sind.
So hat eine Kanzlei den Auftrag, zu untersuchen, ob Barclays bei dem damals in wenigen Tagen hastig durchgezogenen Kauf der US-Investmentbank-Aktivitäten von Lehman nicht viel zu wenig bezahlt hat.
Mit Vehemenz wehren sich die Briten dagegen, die Bedingungen des Kaufs nachträglich noch zu ändern oder gar den Kaufpreis zu korrigieren. Ende Juni mussten sie allerdings einen Rückschlag einstecken. Konkursrichter Peck gab dem Antrag der Lehman-Anwälte statt, sich die Umstände des Verkaufs nochmals genauer anzusehen. Es sei vorstellbar, dass damals Fehler gemacht worden seien, so Peck in seiner Begründung.
Hoffen auf den großen Deal
Seitdem tobt ein „offener Krieg“ – so das „Wall Street Journal“ – zwischen Lehman und Barclays. Lehman-Anwälte behaupten, die Briten hätten einen ungerechtfertigten Gewinn von mehr als zwei Milliarden Dollar kassiert. Barclays hält dagegen, dass es sich bei allen Zahlen in der Kaufvereinbarung nur um Schätzungen gehandelt habe. Und ein Deal sei nun mal ein Deal.
Auf einen großen Deal hofft auch Richard Fuld noch. Der ehemalige Lehman-Weltchef sitzt in einem Büro im New Yorker Stadtteil Manhattan. Fuld hofft darauf, bald wieder das große Rad zu drehen: als Hedgefondsmanager. Matrix-Advisors heißt sein neuer Arbeitgeber. Was er dort genau tun wird, darüber schweigt Fuld bislang. Doch der überraschende Karriereschritt zeigt: Die Lust am Zocken scheint der Mann, dem viele Amerikaner Mitschuld an der Finanzkrise geben, nicht verloren zu haben.