Einzelhandel Drogeriekette Schlecker gerät ins Hintertreffen

Heute stellt die Drogeriemarktkette dm ihre Jahresbilanz vor. Erstmals wird dm über fünf Milliarden Euro Umsatz liegen - und treibt damit den Drogeriekönig Anton Schlecker weiter in die Enge. Keiner gebietet über mehr Filialen, kaum einer drückt rigider die Kosten und die Mitarbeiter als Schlecker. Trotzdem brechen dem Drogieriesen Umsatz und Gewinn weg. Die Konkurrenten Rossmann, dm und Müller machen dem Marktführer das Leben schwer.

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Christa und Anton Schlecker Quelle: PR

Die Sichtung des Phantoms ereignete sich am 14. Mai 2009 gegen 12.30 Uhr. Eigentlich wollten die sieben Damen vom Schlecker-Betriebsrat, die sich an jenem Donnerstag in ihrem kargen Büro über einer Filiale im fränkischen Städtchen Lauf an der Pegnitz versammelt hatten, nur ihre routinemäßige Sitzung abhalten. Themen gab es reichlich: der drastische Umsatzschwund in den Schlecker-Filialen, mögliche Standortschließungen, das neue Ladenkonzept namens XL, aber auch die steigende Zahl von Überfällen auf Schlecker-Läden.

Doch kaum hatte die Sitzung begonnen, schlug jemand „ungestüm von außen gegen die Tür des Betriebsratszimmers“, erinnern sich die Damen. Die Tür öffnete sich, und vor ihnen stand das Phantom: Anton Schlecker persönlich, Herr über gut 14.000 Drogerieläden in Europa. Ein Mann, der sich so gut wie nie in die Öffentlichkeit wagt und den selbst die meisten seiner 55.000 Angestellten nur von einem Porträt aus ihrer Mitarbeiterzeitung kennen: das Haar akkurat getrimmt, auf einem Uralt-Foto neben Gattin Christa vor einer Europaflagge.

Bei Schlecker liegen die Nerven blank

Doch nun trat der leibhaftige Schlecker ins Betriebsratsbüro und gab sich alles andere als staatsmännisch. „Ich muss Ihnen schon mal was sagen“, soll er die verdutzte Arbeitnehmerschar angeraunzt haben, „es schaut hier sehr unprofessionell aus.“ Sprach’s, verschwand – und kehrte nur drei Minuten später mit einem Rundschreiben des Betriebsrats zurück, das die Überschrift trug: „Drohende Massenentlassungen bei Schlecker“. Eine glatte Unverschämtheit sei das, habe Schlecker geschäumt, alles lauter Lügen. Schließlich geriet der 64-Jährige so in Rage, dass er die Betriebsratsvorsitzende im feinsten Schwäbisch angeschrien habe: „Sie sind eine blöde Kuh.“

Die Posse an der Pegnitz zeigt vor allem eines: Beim größten Drogeriemarktbetreiber der Republik liegen die Nerven blank. Vor Jahren noch, als die Geschäfte liefen, hätte er sich solche Auftritte verkniffen – allein schon, um seinem Erzfeind, der Gewerkschaft Verdi, keine Angriffsfläche zu bieten. Nun liegt die Causa Kuh beim Arbeitsgericht Nürnberg, und Schleckers Anwalt müht sich, die Version der Damen zu entkräften: Die Worte „blöde Kuh“ seien niemals gefallen, beteuert der Jurist.

Schlecker in Deutschland ist ein Sanierungsfall

Ein möglicher Grund für den Ausraster sind die grottenschlechten Zahlen, unter denen Schlecker leidet. Nach Berechnungen von Branchenexperten büßten die Schlecker-Filialen in Deutschland seit 2005 über eine Milliarde Euro Umsatz ein – ein Rückgang von mehr als 20 Prozent. Vertrauliche Zahlen aus dem Inneren des Konzerns, die der WirtschaftsWoche vorliegen, deuten zudem auf einen Ergebniseinbruch hin: Danach schrieben die Schlecker-Filialen 2007 mehr als 30 Millionen Euro Verlust. 2008 ist das operative Ergebnis laut Gewerkschaftsangaben auf einen Verlust von 52 Millionen Euro abgerutscht.

Kein Vergleich mehr zum Jahr 2000, als Schlecker noch stolze 118 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftete. Kennzahlen wie Cash-Flow und Umsatzrendite seien seither regelrecht „atomisiert“ worden, berichten ehemalige Führungskräfte. Kurz: Schlecker in Deutschland ist ein Sanierungsfall.

Das Unternehmen will die Geschäftsentwicklung nicht kommentieren, warnt aber pauschal vor fingierten Zahlen. „Wir bleiben als Drogeriediscounter gerade in unseren Kernkompetenzen Kundennähe, Flächenpräsenz und Marktdurchdringung unerreicht“, heißt es aus der Schlecker-Zentrale in Ehingen, rund eine Autostunde von Stuttgart entfernt.

In Wahrheit ist die Lage für den Seifenkönig von der Schwäbischen Alb wohl so ernst wie noch nie. Schlecker muss sich dreier gefährlicher Gegner erwehren, die ihm die Vormachtstellung im Drogeriemarktgeschäft streitig machen wollen. Es sind dies sein Landsmann Erwin Müller, der Patriarch der gleichnamigen Drogeriekette aus Süddeutschland, Drogerierebell Dirk Roßmann und Erich Harsch, der Gutmensch von dm.

dm-Gründer Götz Werner Quelle: Andreas Körner für WirtschaftsWoche

Harsch segelt auf einem sonnigen Lächeln durch die Flure der Karlsruher dm-Zentrale. Auf einem Aktenschrank vor seinem Büro funkelt ein Kristall. Das Zimmer wirkt, als hätte dm-Gründer Götz Werner seine Mission vom bedingungslosen Grundeinkommen für alle Deutschen längst erfüllt: Harsch sitzt in einer schmalen Wabe. Es gibt keinen Besprechungstisch. Von seinem Schreibtisch aus waltet der gebürtige Wiener über einen Umsatz von fünf Milliarden Euro (2008 erwartet) und gebietet europaweit über rund 2100 Drogeriemärkte mit 31.000 Beschäftigten. Wobei Harsch natürlich nie „gebietet“ sagen würde. Harsch spricht lieber vom „dialogischen Miteinander in der Arbeitsgemeinschaft Drogeriemarkt“.

Im Alltag sieht Harschs „dialogisches Miteinander“ zum Beispiel so aus: Eine Mitarbeiterin serviert Kaffee, der Schokoladenkeks liegt zu nah an der Tasse und schmilzt. Statt das klebrige Gebäck zurückgehen zu lassen, merkt Harsch an: „Da müsst ihr immer aufpassen – das läuft sonst.“ Vermutlich ist das Harschs schärfste Rüge an diesem Tag. Seit 27 Jahren ist er bei dm, im Mai 2008 übernahm er von Unternehmensgründer Werner den Vorsitz der Geschäftsführung.

Theaterworkshops für "Lernlinge" bei dm

Werner – Spitzname „der Professor“ – hat die Ideen des Waldorfschulen-Begründers Rudolf Steiner auf das Unternehmen übertragen. Der Mensch sei für das „Miteinander-füreinander-Leisten“ gemacht, befand der mitunter ins Verschrobene driftende österreichische Esoteriker und Anthroposoph. So heißen Auszubildende bei dm weder Azubis noch Lehrlinge, sondern „Lernlinge“ und müssen etwa an Theaterworkshops teilnehmen. Alle Mitarbeiter bis zu den Kassiererinnen sollen unternehmerisch handeln. Ihre Dienstpläne machen die Beschäftigten selbst. Wer eingestellt wird, darüber entscheiden die Kollegen mit. Der Filialleiter darf auf eigene Verantwortung bestimmte Preise und das Sortiment ändern.

Eigentlich klingt das dm-Konzept eher nach Basteln, Häkeln, Singen und endlosen Diskussionsrunden denn nach Geschäft. Doch das Waldorf-Modell in der Krämer-Variante scheint im Gegensatz zu Schleckers Haudrauf-Methode zu funktionieren. Seit Jahren kann Harsch zweistellige Zuwachsraten vorweisen. Im Grunde sei der Erfolg recht einfach zu erklären, sagt er: „Wir vertrauen einfach darauf, dass unser Eigennutzen als Folge des Kundennutzens nicht zu kurz kommt“.

Was wie eine Sonntagsbotschaft wirkt, findet sich tatsächlich in der Praxis. Druckt ein Kunde am Fotoautomaten beispielsweise Bilder für 3,01 Euro aus, wird an der Kasse auf drei Euro abgerundet. Die Kunden ziehen zufrieden von dannen – und kommen wieder.

dm gegen Schlecker: Gut gegen Böse?

Verschenke Geld, um mehr zu verdienen – Marktführer Schlecker, der einst als jüngster Metzgermeister der Republik ins elterliche Unternehmen eintrat, muss das so vorkommen, als rate ihm jemand, Vegetarier zu werden. Der Schwabe führt ein rigides Kostenregiment. „Schlecker betrachtet den Umsatz einer Filiale als gegeben und maximiert den Gewinn über die Kostenseite“, sagt Handelsexperte Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.

Die Personaldecke bei Schlecker ist dünn, die Bezahlung unterdurchschnittlich, das Sortiment überschaubar. Wann immer sich noch ein paar Cent herauspressen lassen – Schlecker ist dabei. 1998 wurden er und seine Ehefrau per Strafbefehl wegen Betrugs zur Zahlung von rund 900.000 Euro und je zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Sie hatten Hunderten Mitarbeitern weisgemacht, Schlecker bezahle Tariflohn, dies aber nicht getan.

Auch sonst gehen die Unterschiede von dm und Schlecker fast ins Ideologische: autonome Filialen hier, rigoroser Zentralismus dort, lichte, freundliche Märkte hier, rumpelige Lädchen dort, Vertrauen gegen Kontrollwut. Gut gegen Böse?

Auch das dm-System hat Risse. Die Bezahlung der Angestellten ist – wie fast überall im Handel – mäßig. Und die vielbeschworene Eigenverantwortung stresst spätestens dann, wenn es mal nicht so läuft im Laden. Doch das geht im harten Wettbewerb unter. Zu ramponiert ist das Image von Schlecker, als dass dm auch nur Kratzer abbekäme – und zu unattraktiv sind die Schlecker-Läden.

Laut einer Befragung der Münchner Unternehmensberatung Wieselhuber & Partner und des Marktforschungsinstituts Facit unter insgesamt 3000 Verbrauchern ist der Besuch bei Schlecker ein Einkaufsalbtraum. Die Atmosphäre und die Warenpräsentation gelten bestenfalls als mäßig. Für Kinderwagen- und Rollator-Lenker, immerhin zwei Kernzielgruppen aller Drogeriemärkte, ist der zugewucherte Einkaufsdschungel schwer passierbar. Bei 40 von 41 Umfrage-Kategorien liegt dm denn auch vor oder gleichauf mit Schlecker. Allein die „Kauf- und Bestellmöglichkeiten über das Internet“ werden bei Schlecker besser bewertet. Das mag auch daran liegen, dass dm keinen Online-Shop betreibt.

Unzufriedene Kunden waren für Schlecker lange Zeit kein ernstes Problem. Nach dem Sterben der klassischen Tante-Emma-Läden hatten die Verbraucher vielerorts ohnehin keine andere Wahl.

Doch die goldenen Zeiten sind für Schlecker vorbei – spätestens seit Wettbewerber Rossmann entschied, den unausgesprochenen langjährigen Nichtangriffspakt in der Drogeriebranche zu kündigen.

Dirk Roßmann, Chef der Drogeriekette Rossmann

Dirk Roßmann fläzt sich auf seiner grauen Couchgarnitur und lässt den Blick durch das geräumige Büro in der Unternehmenszentrale im niedersächsischen Burgwedel schweifen. Kein Handy klingelt, kein Blackberry surrt, nicht einmal eine E-Mail poppt auf. Roßmann hasst Technik, die ihn nerven könnte. Er philosophiert lieber über den Weltenlauf: Mit der Kultur, gehe es wirklich bergab. Die Menschen würden nur noch arbeiten und sich durchs Internet klicken, aber kaum mehr lesen. 

Er selbst sei ein Büchernarr. Nietzsche und Schopenhauer kann er passagenweise rezitieren. Kürzlich schmökerte er sich durch Uwe Tellkamps Wende-Wälzer „Der Turm“.

Technikabstinenz, Zeit für Philosophie und dicke Bücher – das klingt fast so, als würde sich der 62-Jährige nach 37 Jahren im Drogeriegeschäft auf die Rente vorbereiten. Herr Roßmann, ist Ihnen nach all der Zeit etwa der Kampfgeist abhandengekommen?

Kaum steht die Frage im Raum, federt der Angesprochene in die Senkrechte: „Ganz im Gegenteil. Wie kommen Sie darauf?“ Lacht und legt los: Rund 100 neue Läden wolle er bis Ende des Jahres eröffnen, das Eigenmarkensortiment kräftig ausbauen und nebenher noch den albanischen Markt erobern.

Albanien? Die Idee klingt so abwegig, dass sie funktionieren könnte.

Roßmann kündigte der Frieden zwischen den Konkurrenten

Roßmann liebt ganz offenkundig den Angriff. Das war schon 2004 so. Eigentlich hatten die vier Branchenfürsten ihre Reviere abgesteckt. Müller und dm verkauften Waschmittel und Mundspülung vorrangig im Süden, Rossmann tummelte sich im Norden, nur Schlecker war überall. Doch Roßmann kündigte den Frieden: Er übernahm die ersten Läden der angeschlagenen Kette kd und katapultierte sich damit hinein ins Herrschaftsgebiet der Rivalen.

Der Angriff brachte einen Dammbruch. Müller und dm knöpften sich den Norden vor. Das Erstaunliche daran: Die drei Kontrahenten nahmen sich gegenseitig nicht allzu viele Kunden weg. Ihr dichteres Filialnetz und der eingeleitete Preiskampf ging zuerst zulasten von kleineren Wettbewerbern. In den vergangenen Jahren wurden kd, Idea, Ihr Platz und Kloppenburg von den Marktschwergewichten geschluckt.

Nun schlägt die Expansion der Konkurrenz voll auf den Branchenprimus durch. „Schleckers Vertriebskonzept funktioniert nur, solange es keine Konkurrenz gibt“, sagt Handelsexperte Roeb. Doch durch das Wachstum der Wettbewerber verfügen immer mehr Schlecker-Kunden über Einkaufsalternativen. Zumal sie längst auch bei Aldi und Lidl, Edeka und Rewe ihren drogistischen Grundbedarf decken können.

Wie Schwämme saugen die Wettbewerber die Umsatzströme auf. Eröffnet eine dm- oder Rossmann-Filiale in Schlecker-Nachbarschaft, sinkt die Wartezeit an der Kasse des Marktführers auf Nahe null: Das Geschäft blutet aus. Umgekehrt funktioniert die Kundenwanderung allerdings nicht. „In der Tat spüren wir eine dm-Filiale neben einem Laden von uns stärker“, sagt Roßmann.

Soll wohl heißen: Schlecker stört nicht weiter das Geschäft.

"Schlecker steckt in einer strukturellen Krise“

Und ein Ende dieser Umverteilung zulasten des Marktführers ist nicht in Sicht. Rossmann will die Zahl der Filialen in Deutschland in den kommenden sechs Jahren von 1500 auf rund 2000 steigern. In den nächsten zehn Jahren sieht dm noch Platz für gut 1000 zusätzliche Läden in Deutschland. Und Müller will nach eigenen Angaben immerhin 50 neue Standorte pro Jahr erschließen.

Der Gesamtmarkt wächst, doch Schlecker verliert. Mehr als eine Milliarde Euro Umsatz haben die deutschen Filialen seit 2005 eingebüßt, schätzt Herbert Kuhn, Handelsexperte beim Marktforscher Trade Dimensions. „Schlecker steckt in einer strukturellen Krise.“

Bisher scheinen das Wachstum im Ausland und das florierende Online-Geschäft das Schlimmste zu verhindern. Trotz des Desasters in Deutschland soll der Konzernumsatz im vergangenen Jahr um 6,6 Prozent auf 7,42 Milliarden Euro gestiegen sein. Wobei offen ist, wie der Betrag zustande kommt. Schleckers Bilanzen sind so transparent wie Rasierschaum. „Trauen Sie keiner Zahl, die Sie aus Ehingen hören“, rät Kuhn.

Schlecker leidet unter dem Dilemma, dass das Unternehmen das Massengeschäft braucht, um die darauf ausgerichtete Logistik und Lagerhaltung auszulasten. Die rückläufigen Erlöse verschlechtern aber auch seine Position beim alljährlichen Gefeilsche um Einkaufsrabatte und Zahlungsfristen. Die Lieferanten beginnen zu maulen.

Schlecker ist preislich nicht mehr wettbewerbsfähig

Ungeliebter König: Drogist Schlecker und seine Rivalen

Die Wettbewerber hingegen wachsen dynamischer, können damit bessere Konditionen – und so letztlich auch niedrigere Endkundenpreise – durchsetzen. Erfolgreichen Sortimentslinien, etwa den Bio-Produkten von Alnatura bei dm oder den Rossmann-Eigenmarken, hat Schlecker ohnehin wenig entgegenzusetzen.

Auch die Wirtschaftskrise schlägt bei den Ehingern ins Kontor. Denn der Preis rückt als entscheidendes Kaufkriterium wieder in den Vordergrund. Und anders als das Ladenflair und das selbstverliehene Prädikat „preisberühmt“ vermuten lassen, ist Schlecker inzwischen der mit Abstand teuerste Anbieter. Das zeigt eine Analyse von Ulrich Gallinat, Chef des Berliner Beratungsunternehmens GKL Marketing-Marktforschung.

Bei Aktionsartikeln, die im wöchentlichen Werbefaltblatt angepriesen werden, kann der Drogeriegigant zwar noch mithalten. Gemessen an einem Warenkorb mit über 2000 typischen Drogerieartikeln von der Haarspülung bis zur Babywindel, zeige sich jedoch, dass Schlecker „preislich nicht mehr wettbewerbsfähig ist“, sagt Marktforscher Gallinat. Stattdessen führt dm die Billigliga an und ist im Schnitt 11 bis 14 Prozent günstiger.

Immerhin: Anfang August hat Schlecker einzelne Markenartikel wie Drei Wetter Taft oder Blendax-Zahncreme deutlich reduziert. Ob das reicht, um den Billig-Nimbus wiederherzustellen, ist fraglich. Warum Schlecker seine Einkaufsvorteile nicht ausspiele und aggressiver die Preise drücke, sei ihm schlicht „unverständlich“, sagt sogar Wettbewerber Müller aus Ulm.

Erwin Müller, Chef der Drogeriekette Müller Quelle: Andreas Körner für WirtschaftsWoche

Erwin Müller, der dritte Angreifer von Schlecker, ist mit seinem Landsmann seelenverwandt. Was Verschwiegenheit angeht, kann der gelernte Friseur mit dem gelernten Metzger mühelos konkurrieren. Interviews sind rar, Fotos, wie sie die WirtschaftsWoche druckt, waren bisher tabu.

Allerdings passt Müller nicht 100-prozentig in die Branche, denn er betreibt eher Kleinkaufhäuser als Drogeriemärkte. Sein Sortiment umfasst rund 145.000 Artikel, darunter nicht nur Klopapier und Deoroller, sondern auch CDs und Holzspielzeug. Bei Schlecker gibt es im Schnitt nur 4500 Artikel.

Auch sonst sind Müllers Märkte Gegenentwürfe zu Schleckers Buden. Der Schwabe, der in Jugendjahren Architekt werden wollte, lässt seine bis zu 4000 Quadratmeter großen Filialen beispielsweise mit 1000 Lux illuminieren, um Kunden anzulocken. Die Idee, die Beleuchtung aufzudrehen, hat er sich von einem mallorquinischen Fleischverkäufer abgeschaut. Auf dem Mittelmeer-Eiland, seiner zweiten Heimat, nennt er neben einem Golfplatz und einer Finca auch neun Läden sein Eigen. Insgesamt ziert das Kleeblatt-Logo seiner Kette sogar knapp 600 Filialen in Europa.

Müller ist das krasse Gegenstück zu dm-Gründer Werner

Müller ist voll auf Wachstumskurs. Im gerade abgelaufenen Geschäftsjahr stieg der Umsatz in Deutschland um sechs Prozent auf 2,14 Milliarden Euro, und „es wäre geheuchelt, wenn wir unzufrieden wären“, sagt er.

Der Selfmademan von der Donau ist das krasse Gegenstück zu dm-Gründer Werner, der im Mai 2008 aus freien Stücken abdankte. Der 76-jährige Müller kommt dagegen nicht los von der Droge Drogerie. „Ich kann die Firma nicht allein stehen lassen“, sagt er.

Beseelt von diesem Glauben, schlägt Müller jeden Morgen gegen halb acht in der Ulmer Zentrale auf. Um ins Büro in der dritten Etage zu kommen, nimmt er grundsätzlich – und zum Wohlgefallen seiner Ärzte – die Treppe statt den Fahrstuhl. Und solange ihn „der liebe Gott jeden Tag aufstehen lässt“, werde sich daran nichts ändern. „Ich wüsste nicht, was ich daheim tun sollte”, bekennt der Veteran.

Betriebsrat brachte des Patriarchen Welt ins Wanken

Im Büro angekommen, stürzt sich Müller mit Verve ins Tageskleinklein. Alle Mahnungen von Lieferanten gehen über seinen Schreibtisch, Probleme beim Palettenstapeln – Müller kümmert sich darum. Zwar stehen dem Handelsmethusalem zwei Manager zur Seite, die er „so langsam“ in die Führungsrolle „reinlaufen lassen“ will, „aber das soll nicht heißen, dass ich dann aufhöre“. Selbst für Sohn Reinhard, der das Geschäft dereinst erben wird, ist der Chefsessel gesperrt, seit ihn der Alte vor ein paar Jahren aus der Firma gekantet hat.

Mitarbeiter beschreiben Müller als misstrauisch und aufbrausend. Allein Ehefrau Anita, die über das Vorzimmer wacht, sowie der Dackel-Pekinesen-Mischling Gordi und dessen Gefährte Tabsi scheinen das unumschränkte Vertrauen des Patrons zu genießen. Mit Gordi geht Müller auch zur Jagd nach Tirol. Ist das Duo erfolgreich, gibt es dann gerne Hirschkalb in der Betriebskantine.

So gut könnten es Müllers Mitarbeiter immer haben, hätten Lagerarbeiter nicht auf Verdi-Initiative am 15. April in Neu-Ulm einen Betriebsrat gegründet. Damit brachten sie des Patriarchen Welt ins Wanken. Müller reagierte harsch und verkaufte am nächsten Tag das Lager. Schließlich hafte er mit seinem Privatvermögen für das Unternehmen und wolle selbst bestimmen, was geschehe.

Im Übrigen gebe es in der Firma ohnehin „kein Bedürfnis“ nach Betriebsräten, meint Müller. Angestellte könnten ihm ja jederzeit sagen, was falsch laufe. „Noch möchte ich in Ulm bleiben“, wettert er gegen die Betriebsratsinitiative. Aber „ich verstehe heut’ manchen, der halt einfach abwandert“.

Die Entwicklung der Drogeriebranche seit 2005

Kaum 30 Kilometer liegen die Müller-Zentrale und die Schlecker-Kapitale Ehingen auseinander – anders als Rossmann und dm eine aus Verdi-Sicht Achse des Bösen. Doch der geballte Zorn der Gewerkschaft traf bisher meist Schlecker. Horrorgeschichten über schlechte Behandlung von Mitarbeitern, Kontrollwut und Überfälle füllen bei Verdi Aktenordner. Schlecker-Läden gelten als die am häufigsten überfallenen des Einzelhandels. Gerade wieder musste sich ein 36-Jähriger für 16 Schlecker-Überfälle von Oktober 2008 bis Februar 2009 vor dem Bochumer Landgericht verantworten. Nach Angaben von Verdi wurden im vergangenen Jahr rund 500 Überfälle gemeldet – mit steigender Tendenz

Denn Schlecker gilt als leichte Beute: Eine einzelne Angestellte – bei Schlecker arbeiten fast ausnahmslos Frauen – hält oft über Stunden allein die Stellung. Sie sitzt meist mit dem Rücken zur Tür. Und auf Passanten, die zur Hilfe eilen, können die Verkäuferinnen dank der Lage der Filialen kaum zählen. Nun will die Gewerkschaft die Ausstattung mit speziellen Tresoren, Zweierbesetzung in den Filialen und die Geldabholung durch externe Unternehmen per Sicherheitstarifvertrag durchsetzen. Zusätzlich fordert Verdi Beschäftigungsgarantien. „Andernfalls gibt’s Ärger, notfalls auch Streik“, droht der für Schlecker zuständige Verdi-Mann Achim Neumann. Im Herbst könnte es losgehen.

Schlecker setzt auf neue XL-Filialen

Noch wichtiger für Verdi wie für Schlecker sind allerdings die neuen sogenannten XL-Filialen. Schlecker hofft, mit luftiger gestalteten Geschäften, die über Verkaufsflächen von 400 bis 1000 Quadratmetern verfügen, den grassierenden Kundenschwund zu stoppen. Seit das Unternehmen im September 2008 mit dem ersten Markt in Bad Grönenbach im Allgäu gestartet ist, wurden rund 100 XL-Filialen eröffnet. Bis Ende 2010 soll sich die Zahl verzehnfachen.

Wie ein Mix aus dm- und Edeka-Märkten wirken Schleckers neue Großfilialen. Der schnelle Formatwechsel in den Städten ist im Grunde die einzige Chance, die Schlecker bleibt, um wieder Anschluss an die Wettbewerber zu finden. Doch der Wandel kommt spät – und wird teuer.

Auch wenn ein Teil der Kosten auf die Lieferanten abgewälzt wird, müssen Millionenbeträge in den Umbau des Filialnetzes fließen. Geld, das Schlecker trotz der happigen Rückgänge im Stammgeschäft investieren muss. Zumal auch erhebliche Schließungskosten anfallen. Nach internen Informationen wurden allein im ersten Halbjahr 2009 mindestens 390 Verkaufsstellen dichtgemacht, nachdem im Jahr 2008 bereits über 500 Filialen geschlossen wurden.

Verdi-Mann Neumann rechnet mit durchschnittlich drei bis vier Standardfilialen, die schließen, sobald ein XL-Markt öffnet. „Das kann insgesamt mehr als 10.000 Arbeitsplätze kosten“, erwartet Neumann. Nur wenige Verkäuferinnen würden in die XL-Märkte übernommen – zu schlechteren Konditionen. Denn die neuen Filialen laufen über eine separate Gesellschaft, die nicht tarifgebunden ist.

Anton Schlecker hat sich verrechnet

In Ehingen werden die Verdi-Prognosen derweil als Panikmache abgetan. Konkrete Aussagen, wie viele Standardläden schließen müssen oder zur Zahl der Überfälle, vermeidet ein Unternehmenssprecher jedoch.

Der Umsatz bricht ein, der Filialumbau verschlingt Unsummen, die Gewerkschaft droht mit Streiks – und die Wettbewerber expandieren kräftig. Anton Schlecker hat sich gründlich verrechnet.

„Die Konkurrenz wird auch nicht mehr so stark wachsen“, sagte er 2004 der WirtschaftsWoche in einem seiner seltenen Statements. Der Drogeriefürst sah sein Unternehmen damals gut aufgestellt: „Das Konzept stimmt, es muss nur weiter verfeinert werden“, befand Schlecker und deutete voller Stolz auf eine Karikatur an der Wand: Anton Schlecker als strahlender Gondoliere, seine Frau als Galionsfigur am Bug der schönsten und größten Gondel. Dahinter paddeln die Schlecker-Jäger Götz Werner und Dirk Roßmann. „Bis die anderen Schlecker überholt haben, gibt es mich nicht mehr“, gab der Drogeriekönig selbstbewusst zu Protokoll.

Ob er den Satz heute wiederholen würde?

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