Allianz steigt aus Kohle-Geschäft aus Wie Anleger die Märkte grüner machen

Die Allianz will künftig nicht mehr in Kohleenergie investieren. Der Schritt ist ein weiteres Zeichen dafür, dass Anleger aus den Aktien von Kohle- und Öl-Konzernen flüchten – und die Wirtschaft schneller verändern als jeder Politiker.

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Braunkohle Tagebau Anlageberater RWE Quelle: David Klammer für WirtschaftsWoche

Tief im Westen Deutschlands, zwischen Aachen und Köln, liegt das Braunkohle-Tagebaugebiet Inden. Jährlich fördert der Energiekonzern RWE hier 22 Millionen Tonnen des fossilen Gesteins. Wenn Thomas Streuer-de Haan zu seinen Kunden fährt, hat er die riesigen Wolken immer vor Augen, die der angrenzende Kohlemeiler in die Atmosphäre pustet. Streuer-de Haan ist mit der Kohle aufgewachsen. Sein Großvater arbeitete im Tagebau. Er litt wie so viele im Revier an einer Staublunge. Man nahm das hin, hier im Westen; die Kohle sorgte für Arbeit und Wohlstand. Bis heute hat sich daran wenig geändert.

Für den Enkel aus dem rheinischen Würselen passt das schmutzige Geschäft mit dem fossilen Gestein dennoch nicht mehr in die Zeit: „Die Kohle- und Ölförderer sind Dinosaurier, die vor dem Aussterben stehen“, sagt er. Seinen Kunden rät er deswegen seit einiger Zeit: Legen Sie Ihr Geld nicht mehr in Kohle und Öl an. Der 47-Jährige sagt: „Ich frage sie, ob sie mit ihrem Geld diese Industrie noch stärker machen wollen.“ Die meisten wollten das nicht. Sie investieren dann lieber woanders.

Und dort sind sie in guter Gesellschaft. Jetzt wurde bekannt, dass Deutschlands Versicherer Nummer 1, die Allianz, aus dem Kohle-Geschäft aussteigt. Andreas Gruber, Chefinvestor des Versicherers, sagte dem ZDF am Montag: "Wir werden nicht mehr in Bergbau -und Energieunternehmen investieren, die mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes beziehungsweise ihrer Energieerzeugung aus Kohle generieren." Der Abbau werde über die nächsten sechs Monate per Aktien erfolgen, bei festverzinslichen Anlagen will die Allianz bestehende Investments auslaufen lassen. Die Allianz ist überzeugt, dass sich Investitionen in die Klimakiller künftig nicht mehr rechnen.

Der Allianz-Ausstieg ist nur das jüngste Zeichen eines leisen Wandels, der sich seit Monaten an den Aktien- und Anleihemärkten weltweit vollzieht: Kleine und große Investoren ziehen sich aus Investments in fossile Energieträger wie Kohle und Öl zurück. Warren Buffett hat seine Anteile am US-Ölriesen ExxonMobil abgestoßen. Zu den Aussteigern gehören auch der Norwegische Staatsfonds sowie die Universitätsstiftungen Stanford und Oxford, jeweils Verwalter vieler Milliarden Euro. Der französische Versicherungskonzern Axa verkauft bis Ende des Jahres seine Investments in Kohlekonzerne in Höhe von einer halben Milliarde Euro. In Deutschland will die Stadt Münster Investments in fossile Energieträger aus den städtischen Pensionsfonds verkaufen.

Sie alle tun das nicht, weil sie plötzlich zu radikalen Ökos mutiert wären, sondern aus Angst um den Wert ihrer Anlagen. Denn nach Jahren des Zögerns und Zauderns scheint die Politik der großen Industriestaaten den Klimaschutz plötzlich ernst zu nehmen. US-Präsident Barack Obama will die Reduktion von Kohlendioxid-Emissionen (CO2) zum Markenzeichen seiner letzten Amtsmonate machen, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den G7-Staaten eine Dekarbonisierung ihrer Wirtschaft aufgedrängt, und auf dem UN-Klimagipfel in Paris Ende des Jahres wollen sich die Regierungschefs zu strengeren Klimazielen verpflichten. Zwei Drittel der Vorräte an Öl, Gas und Kohle müssten im Erdreich bleiben, um das Ziel zu erreichen, schätzt der Weltklimarat IPCC.

Aus diesen Gründen schwitzt die Erde

Was sind Ölriesen wie ExxonMobil und Kohleverstromer wie RWE oder E.On noch wert? „Es stehen gewaltige Abschreibungen bevor, wenn ein Großteil der fossilen Reserven nicht mehr genutzt werden darf“, sagt der Vermögensverwalter Jochen Wermuth. Jane Ambachtsheer, Chefin des Nachhaltigkeitsteams der Großanleger-Beratung Mercer, erwartet, dass die größte Umwälzung am Kapitalmarkt schon in den nächsten zehn Jahren anstehen werde. „Aktive Vermögensverwalter sollten ihre Branchengewichte im Depot überprüfen und den Bedrohungen durch den Klimawandel anpassen.“ Wie riskant Investments in fossile Energie sind, erlebte diese Woche erst der Finanzinvestor KKR. Dessen Öl-Förder-Beteiligung Samson, vor einigen Jahren für etwa sieben Milliarden Dollar übernommen, meldete Bankrott an.

Der Chef der Bank of England, Mark Carney, warnt bereits vor einem Schock an den Finanzmärkten wegen Bewertungsänderungen bei den großen Ölförderern - sowohl am Aktienmarkt wie mit Blick auf die großen Ölförderländer auch am Staatsanleihemarkt.

Doch bedeutet der Ausstieg der Anleger tatsächlich das Ende der großen Ölkonzerne? Und hat der Trend zur Dekarbonisierung der Anlagenportfolios womöglich die Kraft, die der Politik bisher fehlt, die Ökobilanz der Welt zu verändern?

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