Amprion-Chef Brick „Gewinner-Verlierer-Diskussion bringt uns nicht weiter“

Hans-Jürgen Brick, kaufmännischer Geschäftsführer des Übertragungsnetzbetreibers Amprion, erklärt wie viel der Ausbau der Stromleitungen noch kosten wird und wie sein Unternehmen mit Protestbürgern umgeht.

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Amprion-Chef Hans-Jürgen Brick. Quelle: PR

WirtschaftsWoche: Die Kosten für den Ausbau der Stromnetze klettern stetig nach oben. Bis 2030 sollen der Leitungsausbau 36 Milliarden Euro verschlingen. Hinzu kommen nochmals rund 15 Milliarden Euro für den Anschluss der Off-Shore-Windparks. Sind Übertragungsnetzbetreiber die Kostentreiber der Energiewende? 
Hans-Jürgen Brick: Diese Investitionskosten sind heute in der Tat Stand der Planung der vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland. Sie ergeben sich aus dem Netzentwicklungsplan für das Jahr 2030, der in einem mehrstufigen Verfahren von der Bundesnetzagentur geprüft und genehmigt wird. Die 36 Milliarden Euro sind viel Geld – aber: Unter dem Strich ist es volkswirtschaftlich günstiger, rasch in den Netzausbau zu investieren als dauerhaft hohe Kosten zu produzieren, indem wir ständig in das System eingreifen.

Wir müssen den Netzausbau mit der Entwicklung der Erneuerbaren Energien synchronisieren und unser Netz entsprechend umbauen. Da hinken wir in Deutschland noch ein Stück hinterher. Zusätzliche Kosten ergeben sich nur aus dem Einsatz der Erdkabeltechnologie, mit der viele Bürger aber besser leben können als mit Freileitungen.

Welche Leitungen baut Amprion aus? Welche Leitungen müssen nun als Erdkabel ausgebaut werden?
Wir haben ein Portfolio von ca. 300 Projekten. Beim Netzausbau geht es ja auch nicht nur um die großen Gleichstrompassagen, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen, wie bei uns A-Nord. Das sind sozusagen die neuen Autobahnen, die gebaut werden. Um im Bild zu bleiben: Wir verbreitern auch viele bestehende Straßen in unserem Netzgebiet, damit wir eine höhere Kapazität bekommen und Staus vermeiden. Es gilt aber dabei das Prinzip NOVA, also „Netzoptimierung vor Ausbau“.

von Angela Hennersdorf, Niklas Hoyer, Andreas Macho, Dieter Schnaas

Wir bauen nur so viel Netz wie nötig aus, um die Stromerzeugung mit den Verbrauchern zu verknüpfen. Wie viele Autobahn-Kilometer unter die Erde gehen, können wir noch nicht genau sagen. Es gibt zwar bei unserem  Gleichstromprojekt A Nord einen Planungsvorrang für Erdkabel, aber die Kommunen haben das Wahlrecht und können auch eine Freileitung fordern. Diese Informationen werden wir erst im laufenden Planungsprozess erhalten.

Die Proteste gegen die Freileitungen waren enorm. Nun lehnen viele Landwirte die Erdkabel ab. Wie wollen Sie die Bürger von der Notwendigkeit des Netzausbaus überzeugen?
Auf unserer Seite gibt es hier sicherlich auch eine Lernkurve. Heute setzen wir bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt auf eine Beteiligung der Bürger. Noch bevor wir in die sehr komplexen und juristischen Verfahren gehen, ist es wichtig für uns, mit den Bürgern und Bürgermeistern und Landräten zu sprechen und sie zu informieren. Wir fragen, was sie für Möglichkeiten oder Hindernisse sehen, das Projekt umzusetzen. Oftmals bekommen wir dadurch sehr spezifische, regionale Informationen.

Wir sammeln diese Information ein und verknüpfen das mit unserer technischen Expertise. Wir wollen ja das Netz gerade für die Bürger ausbauen. Und zu den Bürgerinitiativen: Das Verhältnis ist sicher nicht immer konfliktfrei. Viele sind aber kooperativ und fordern einfach, dass die Projekte für die Region angemessen umgesetzt werden. Das ist ein ganz berechtigtes Interesse. Und wir erhalten oft wertvolle Hinweise von diesen Bürgerinitiativen. Man sollte sie daher nicht auf den Widerstand reduzieren.

Können denn die Kosten des Ausbaus weiter ansteigen, etwa wenn Bürger sich weigern und klagen?
Ich halte es für falsch, dass beim Netzausbau ständig von einer Kostenexplosion die Rede ist. Die Netze sind nur ein Aspekt der Energiewende. Wir müssen das Thema der Kosten der Energiewende insgesamt im Blick behalten. Hier geht es nicht um die Klagen betroffener Bürger gegen einzelne Leitungen, sondern um die Ausgestaltung unseres Energiesystems.  Es stellen sich viele Fragen: Wie können wir unser Netz noch leistungsfähiger und flexibler machen? Wie kann der Strommarkt der Zukunft funktionieren? Wie lassen sich die Kosten der Energiewende gerecht verteilen?  Als Übertragungsnetzbetreiber haben wir auch nicht sofort alle Antworten parat, aber wir wollen hier an volkswirtschaftlich sinnvollen Lösungen mitarbeiten. 

„Mehrkosten sind nur temporäre Effekte“

Die Netzentgelte von Amprion sind verglichen mit denen anderen Anbietern sehr gering. Das dürfte zwar Ihre Kunden erfreuen, aber die Kunden in anderen Bundesländern müssen deshalb wesentlich mehr für ihren Strom zahlen. Wäre es nicht fair, die Netzentgelte bundesweit zu vereinheitlichen?
Aus unserer Sicht ist die bundesweite Vereinheitlichung der Netzentgelte der falsche Weg. Es gibt gute Gründe, die zu der unterschiedlichen Höhe der Netzentgelte in Deutschland geführt haben. Ein Grund ist das Investitionsverhalten der einzelnen Netzbetreiber. Wir bei Amprion haben seit 2009 konsequent in den Ausbau unseres Netzes an Land investiert – bis 2014 allein 1,9 Milliarden Euro. Diesen Ausbau haben unsere Kunden – und darunter sind viele Industriekunden – bereits bezahlt und profitieren nun von vergleichsweise niedrigen Netzentgelten. So hatte Amprion beispielsweise im Jahr 2015 nur Redispatch-Kosten von rund 1,5 Millionen Euro.

So weit sind andere Länder mit der Energiewende
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Aber ist es denn fair, dass ein Mittelständler in Bayern fast doppelt so viel Netzentgelt bezahlt wie sein Konkurrent in NRW?
Zuerst einmal wäre es gut, wenn man den betroffenen Unternehmen und Verbrauchern überhaupt erklären würde, dass es sich nur um temporäre Effekte handelt. Das hat zwei Gründe: Zum einen sinken mit jeder ausgebauten Leitung die Kosten für die Netzeingriffe, also die sogenannten Redispatch-Kosten. In den kommenden Jahren werden einige wichtige Netz-Projekte abgeschlossen sein – das wird sich bemerkbar machen.

Zum anderen hat der starke aktuelle Anstieg in bestimmten Regelzonen auch mit einer gesetzlichen Änderung zu tun. Die Zeiträume, in denen die Netzbetreiber ihre Kosten erstattet erhalten, wurden nämlich verkürzt. Während einer Übergangsphase von zwei Jahren kommt es regional zu einer besonderen Belastung, die sich dann aber wieder normalisiert. Im Gegensatz dazu ist die pauschale Vereinheitlichung dauerhaft.

Aber der Ausbau der Netze wird Jahre dauern. Ist es fair, dass etwa die Ost-Länder bis dahin doppelt so hohe Netzentgelte zahlen wie in NRW?
Mit der Vereinheitlichung der Netzentgelte würden wir nur Flickwerk betrieben und die Chance verspielen, das Netzentgeltsystem grundsätzlich zu reformieren. Das ist nämlich dringend nötig – nicht nur mit Blick auf solche Anachronismen wie vermiedene Netzentgelte für Erneuerbare-Energien-Anlagen. Die gehören abgeschafft – allein das wird die Netzentgelte im Norden und Osten Deutschlands massiv entlasten.

Wir werben daher dafür, die Systematik an die Entwicklung der Energiewende anzupassen und transparenter, flexibler und damit effizienter zu machen. Davon würde der Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt profitieren. Mir ist klar, dass dies der schwierigere Weg ist. Die aktuelle Gewinner-und-Verlierer-Diskussion bringt uns jedenfalls nicht weiter.

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