Atomausstieg Die 54-Milliarden-Euro-Rechnung

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Die Politik und die Angst vor einer Pleite

Dabei untertreibt die Rechnung der WirtschaftsWoche die negative Bilanz der Atomkraft sogar eher. Warth & Klein kommt in dem Gutachten vom Herbst nämlich zu dem Schluss, dass die Atomrückstellungen der Konzerne von derzeit rund 39 Milliarden Euro nur reichen, wenn sie sich in den kommenden Jahren wie von den Unternehmen unterstellt durchschnittlich mit 4,58 Prozent verzinsen.

Für Warth & Klein ist das aber eine eher realitätsferne Annahme, näher an der Wirklichkeit wären 2,6 Prozent. Folge: Weitere rund 30 Milliarden Euro an Rückstellungen würden nötig. Da Rückstellungen Kosten sind, würde das Minus der Atomkraft um diese weiteren 30 Milliarden anschwellen.

Seit Warth & Klein diese Rechnung präsentiert hat, hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Antwort auf die Frage zur Chefsache erklärt, wer die Folgekosten der Atomära trägt und bei wem wie viel des Gesamtverlusts landet, heißt es in Berlin. Dem Sozialdemokraten geht es um Schadensbegrenzung, einen Totalausfall der Konzerne will der Minister auf jeden Fall vermeiden. Bei deren Pleite kämen auf Bund und Länder weitere Milliardenkosten zu.

Ausgerechnet Grünen-Politiker Trittin, leidenschaftlicher Atomkraftgegner, der den ersten Ausstieg schon viel früher gewollt hatte, muss nun als Co-Chef der Atom-Kommission mit den Bossen der Atombetreiber einen Kompromiss aushandeln. Möglichst wenig will Trittin auf den Steuerzahler abwälzen. Aber zu viel an Milliarden darf er den Unternehmen nicht aufbürden – eben wegen der politischen Angst vor dem Totalausfall. Im vorläufigen Bericht heißt es denn auch: „Es geht um Risikominderung. Völlige Risikovermeidung ist nicht (mehr) möglich.“

"Gemeinsame Lösung für den Ausstieg"

Die Konzerne selbst befeuerten in den vergangenen Monaten Befürchtungen, sie könnten die Atomfolgekosten nicht finanzieren, und rufen lautstark nach dem Staat: „Der Einstieg in die friedliche Nutzung der Kernenergie war eine gemeinsame Entscheidung von Staat und Unternehmen“, sagt E.On-Chef Johannes Teyssen. „Jetzt geht es um eine gemeinsame Lösung für den Ausstieg.“ Und wie zur Bekräftigung der eigenen Handlungsunfähigkeit strich RWE seinen Aktionären vergangene Woche die Dividende. Hauptbetroffene: die Ruhr-Kommunen. Sollen die Politiker sehen, was sie davon haben.

Der Kompromiss ist nun ein öffentlicher Fonds für die Atomfolgekosten, über deren konkrete Finanzierung Trittin nun mit den Konzernbossen feilscht. Ärger ist programmiert: RWE-Vize-Chef Rolf Martin Schmitz hält von einem „Freikauf“ der Energiekonzerne für die Nachhaftung bei den Entsorgungskosten gar nichts, sondern will, dass der Staat im Notfall ohne Gabe der Konzerne einspringt. Nach Informationen der WirtschaftsWoche wollen die Betreiber sogar ihre Rückstellungen um rund acht Milliarden Euro reduzieren, unter anderem weil sie schon Geld für das einst geplante Endlager in Gorleben aufgebracht haben.

Für Trittin seien das „Rechenspiele“, heißt es in Berlin, also mit ihm nicht zu machen. Welche Beiträge den Konzernen zuzumuten sind, ohne dass sie finanziell ausbluten, kalkuliert Warth & Klein derzeit neu. E.On-Chef Teyssen will nur noch eines: mit der Atomkraft abrechnen und nach vorne schauen. „Jede Energie hat ihre Zeit“, sagt der Konzernchef. „Jetzt ist die Zeit für einen kräftigen Ausbau der Windenergie auf hoher See gekommen.“

Gemeinsame Sache mit dem Staat wollen Teyssen und die Energiekonzerne auch hier wieder machen: Denn auch bei Windkraftanlagen sorgt die Politik dafür, dass über die Stromkunden Milliardenzuschüsse in die Stromproduktion fließen.

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