Atomkraft-Debatte Diese Aussagen des E.On-Chefs lassen aufhorchen

Deutliche Worte aus Essen: E.On-Chef Leonhard Birnbaum Quelle: dpa

Als erster Betreiber der verbliebenen Kernkraftwerke schert E.On-Chef Birnbaum aus: Er greift den Ausstieg im April an und warnt, dass die Krise nicht zu Ende sei. Die wichtigsten fünf Punkte einer bemerkenswerten Rede.

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Leonhard Birnbaum ist, das ist für den Chef eines Dax-Konzerns ungewöhnlich, ein Mann drastischer Worte. Und die hat der Chef des Energieriesen E.On auch an diesem Mittwochvormittag gewählt, als er in Essen das Geschäftsergebnis für das vergangene Jahr vorgestellt hat – eingebettet in eine eher düstere Rede, die man ohne Weiteres auch als Rede zur Lage der Nation hätte verstehen können – über die Energiekrise, Preise, die Atomfrage, Europas Wohlstand, aber freilich auch über E.Ons Ergebnis und die Konkurrenz.

Das sind die fünf wichtigsten Erkenntnisse aus den Erläuterungen Birnbaums, seines Finanzchefs Marc Spieker und der nachfolgenden Fragerunde:

1. E.On mahnt: Täuscht Euch nicht! Die Energiekrise ist noch nicht vorbei!

Corona, der Krieg in der Ukraine, das Erdbeben in der Türkei. Birnbaum sagte, er blicke auf ein Jahr zurück, wie er es in seiner beruflichen Laufbahn „noch nicht erlebt“ habe, das Umfeld – auch für E.On – könne „widriger kaum sein“. Und er warnte, dass die derzeit niedrigen Energiepreise nicht darüber hinwegtäuschen sollten, dass die Krise andauere. Die milde Witterung habe dafür gesorgt, dass Europa besser durch den Winter gekommen sei als erwartet. Aber: „Die Krise ist längst nicht vorbei.“ Das Preisniveau für Gas und Strom im Großhandel sei zwar im Vergleich zum vergangenen Sommer gefallen, aber eben nicht im Vergleich zu der Zeit vor der Krise.

Ohne digitale Zähler droht der Blackout. E.On und andere Stromkonzerne aber streiten über die Geräte – miteinander, mit der Politik und mit der Autoindustrie. Es geht um die Frage: Wer darf notfalls den Strom abstellen?
von Florian Güßgen, Nele Husmann

Für Verbraucherinnen und Verbraucher kann das vor allem bedeuten: Erstens, dass die hohen Großhandelspreise aus dem vergangenen Jahr, die zum Teil von E.On durch Absicherungsgeschäfte abgefedert wurden, bei manchen Verbrauchern erst noch ankommen. E.On habe 2022 nur 30 Prozent der „zum Teil extremen Preissteigerungen“ weitergegeben, sagte Birnbaum. „Aber das können wir nicht ewig durchhalten.“ Und zweitens bedeutet das, dass der Markt so schwankungsanfällig ist, dass die Preise schnell wieder ansteigen können – etwa durch eine steigende Nachfrage aus China nach LNG, Flüssigerdgas. „Die Märkte sind nervös und können schnell ausschlagen“, sagte Birnbaum.

Der E.On-Chef mag mit dieser Darstellung auch das Ziel verfolgen, mögliche weitere Preiserhöhungen E.Ons in das Szenario einer anhaltenden Krise einzubetten – und Kostensprünge dafür vermeintlich nachvollziehbarer zu machen. Aber es ist bemerkenswert, dass er als einziger der großen Versorger die Rolle des Mahners übernimmt. Er sehe sich als „vorsichtiger Kaufmann“, sagte Birnbaum: „Ich will sicher sein, dass ich etwas im Griff habe, bevor ich den Sieg verkünde.“

2. Birnbaum geißelt die Abschaltung der drei deutschen Kernkraftwerke im April

Am 15. April sollen die drei am Netz verbliebenen deutschen Kernkraftwerke Isar 2 (betrieben von der E.On-Tochter Preussen Elektra), Neckarwestheim (EnBW) und Emsland (RWE) endgültig abgeschaltet werden, nach einer dreieinhalbmonatigen Zugabe, die im vergangenen Herbst per Kanzler-Machtwort verfügt worden ist. Bisher haben sich alle Betreiber dazu sehr vorsichtig geäußert: Man mache, was die Politik wünsche. Punkt.

Der neue EnBW-Chef Andreas Schell sagte, der „Point of no return“ sei überschritten, RWE-Chef Markus Krebber hat ebenfalls verdeutlicht, dass man den Wünschen der Politik folgt, das aber zumindest öffentlich nicht weiter bewertet. Birnbaum hat bisher immer intoniert, dass man die Kraftwerke sicher betreiben könne. Am Mittwoch aber hat er richtig gegen Berlin gekoffert, zumindest in seinem schriftlichen Redetext: Nein, es gebe „keine Indikation, dass die Politik ihre Abschaltentscheidung“ überdenke, heißt es in diesem auf E.Ons Webseite veröffentlichten Redetext Birnbaums, der mit dem Zusatz „Es gilt das gesprochene Wort“ versehen ist. E.Ons Planung gehe von einem Ende des Betriebs von Isar 2 in Bayern am 15. April aus. Aber: „Persönlich halte ich das für einen Fehler“, sagte Birnbaum laut Redetext. Und legte dann nach: „Wir schalten eine der sichersten, produktivsten und besten Anlagen der Welt ab.“

Isar 2 sei in seinen insgesamt 35 Jahren Laufzeit zehnmal als das produktivste von weltweit rund 400 Kernkraftwerken ausgezeichnet worden. „Das ist Weltmeister-Technologie Made in Germany“, sagte Birnbaum laut Redetext – und skizzierte dann drastisch, warum er die Entscheidung der Berliner Ampel für widersinnig hält: „Wir berauben Deutschland einer wichtigen Option, obwohl die Energiekrise noch nicht vorbei ist, und hoffen, dass die französische Kernkraft läuft. Das verstehe, wer will: ich nicht. Aber am Ende ist es das Primat der Politik, solche Entscheidungen zu treffen.“

In der Pressekonferenz selbst formulierte Birnbaum etwas vorsichtiger als im Redetext, wurde dann aber noch einmal gefragt: „Trifft es zu, dass Sie persönlich die Entscheidung, Isar 2 stillzulegen, für einen Fehler halten? Und wenn Sie nun doch aufgefordert würden, den Meiler noch länger zu betreiben: ginge das überhaupt?“ Darauf antwortete Birnbaum auf den ersten Teil: „Als Ingenieur: ja. Und es ginge: ja.“ Zwischen Januar und dem 15. April werde Isar 2 in etwa zwei Terawattstunden Strom produzieren und so zu „einer stabilen Stromversorgung“ beitragen.

Die Ampel in Berlin dürfte Birnbaums Äußerungen mit einem Schulterzucken quittieren. Vor allem die Grünen, aber auch Bundeskanzler Olaf Scholz haben den Willen zum Ausstieg in den vergangenen Wochen wiederholt bekräftigt. Die FDP, die gegen den Ausstieg ist, hat zwar gebellt, aber bislang nicht gebissen. Offenbar hat sich bei den derzeit von Umfragen und Wahlen sehr geplagten Liberalen die Einsicht durchgesetzt, dass man mit innerkoalitionärer Opposition gegen den Atomausstieg wenig gewinnen kann.

Dem europäischen Ausland sind diese Überlegungen freilich egal – und so bauen Polen und Niederländer neue Atomkraftwerke, und auch Frankreich setzt auf ein neues nukleares Zeitalter. Dabei ist es so, dass gerade die Schwäche der französischen Kraftwerksflotte dafür sorgen kann, dass der Strombedarf aus Deutschland wächst. Im vergangenen Herbst hatten die deutschen Übertragungsnetzbetreiber einen sogenannten „Stresstest“ durchgeführt – und waren unterm Strich zum Ergebnis gekommen, dass es sinnvoll wäre, die drei deutschen Atomkraftwerke länger am Netz zu lassen.

Allerdings gilt mittlerweile auch: Einfach wäre das nicht. Keiner der Betreiber hat neue Brennstäbe bestellt, es müssten Revisionen durchgeführt werden. Nahtlos wären die Kraftwerke kaum weiter zu betreiben, im nächsten Winter könnten sie wohl dennoch zur Verfügung stehen. Dann wäre man bei der Bewältigung der Krise im Birnbaumschen Sinne offenbar schon ein Stück weiter.

3. Europa muss um seinen Wohlstand kämpfen

Es ist eine bemerkenswert martialische Tonart, die der E.On-Chef hier anschlägt. Er sagt, was auch andere sagen: Der Friede in Europa sei nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine nicht mehr selbstverständlich. Aber auch: „Unser Wohlstand nicht. Preisstabilität nicht. Und auch das Niedrigzinsumfeld nicht. Und sichere und bezahlbare Energie ist auch nicht selbstverständlich.“ Die Verfügbarkeit von Rohstoffen – Öl und Gas unter anderen – sei in einem „geopolitischen Wettbewerb“ umkämpft. „Hier prallen handfeste industriepolitische Interessen aufeinander, verschärft durch den Inflation Reduction Act der USA.“

Daraus folgert Birnbaum: „Europa wird für seinen Wohlstand hart kämpfen müssen.“ Und was „Kämpfen“ heißt, präzisiert Birnbaum auch: Die eigene Energierechnung könne im Endergebnis nur durch Energiesparen vermindert werden. Dann gehe es, zweitens, darum, zu arbeiten. Was ein wenig klingt wie der Benediktiner-Imperativ „Ora et labora“, also „Bete und arbeite“, bedeutet in der Birnbaumschen Version, dass Europa, als Ganzes und in Einheit, wettbewerbsfähiger werden muss. Birnbaum ist auch Präsident von Eurelectric, dem europäischen Lobby-Verband der Elektrizitätswirtschaft. Drittens, so Birnbaum, müsse nun investiert werde. Europa müsse sich aus der Krise herausinvestieren. E.On wolle das bis 2027 mit insgesamt 33 Milliarden tun, 6 Milliarden Euro mehr als bisher geplant.

4. Ach ja, E.Ons Performance im vergangenen Jahr war okay

Nein, E.On hat es nicht so leicht wie der Stromerzeuger RWE, dessen Geschäft gerade brummt, Geld muss mit komplett regulierten Netzen und mit dem Strom- und Gaskundengeschäft verdient werden. Das ist deutlich schwieriger. Dennoch hat E.On ein Ergebnis (Ebitda) erzielt, das mit 8,1 Milliarden Euro leicht über der Prognose liegt und etwa 170 Millionen Euro über dem Vorjahresergebnis. Der größte Teil kommt dabei mit 5,5 Milliarden Euro aus dem Netzgeschäft, das mit rund 470 Millionen Euro im Plus lag. „Wir liefern!“, sagte Birnbaum – und das ist das Motto, das wohl die Botschaft des Tages sein sollte.

Im Kundenlösungsgeschäft lag das Ergebnis bei 1,7 Milliarden Euro, ein Plus von rund 190 Millionen Euro. Für das Geschäftsjahr 2022 schlägt der E.On-Vorstand eine Dividende von 0,51 Euro je Aktie vor. Für 2023 bewegt sich die Prognose in etwa in dem bisherigen Rahmen, in einem Korridor zwischen 7,8 und 8 Milliarden Euro.

Wachstumsmöglichkeiten sieht Birnbaum für E.On bei der Bereitstellung „zuverlässiger und nachhaltiger“ Energieinfrastruktur, bei Anschlüssen für Erneuerbare-Anlagen und der Verstärkung der Stromverteilnetze, auch bei der Integration von Solaranlagen und bei Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge. Anders als etwa RWE, die bei ihrer Aktienentwicklung eine stete Aufwärtsgeschichte erzählen können, haben E.On und Birnbaum es schwerer – der Kurs hat sich seit Jahren bei einem Stand um die zehn Euro eingependelt.

5. Birnbaum warnt vor Billigstrom-Anbietern

Wichtig war Birnbaum offenbar auch, vor Billigstrom-Anbietern zu warnen, die bei fallenden Großhandelspreisen jetzt wieder verstärkt auf den Markt drängen. Als die Preise im Herbst 2021 anzuziehen begannen, waren einige kleinere Anbieter pleite gegangen oder aus dem Geschäft ausgestiegen, ihre Kunden waren in die Grundversorgung zurückgefallen – und damit häufig zu E.On und seinen Regionalgesellschaften.

„Eines der Probleme, mit denen wir gekämpft haben, war auch, dass wir Verantwortung übernehmen musste für Kunden, die uns andere sozusagen vor die Füße geworfen haben“, sagte Birnbaum. „Es gab nämlich eine Reihe von Marktteilnehmern, die haben sich dann elegant aus dem Markt verabschiedet, als es gegen sie lief.“ Jetzt kämen diese Anbieter wieder zurück auf den Markt und behaupteten, sie würden den Kunden nützen. „Tun sie nicht“, sagte Birnbaum. „Sie destabilisieren die Märkte nur auf dem Weg nach oben und nach unten. Und solche Marktteilnehmer braucht niemand“, sagte der E.On-Chef.

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Er verglich die Billiganbieter in einer Analogie mit dem Bankenmarkt und der von der Silicon Valley Bank ausgelösten Krise: „Es sind immer die kleinen, nicht gut kapitalisierten, nicht vorausschauend agierenden Akteure, die die Probleme bereiten. Und so ist das bei uns auch gewesen.“ Birnbaum forderte, dass für einen Marktzugang bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssten. „Wer in den Markt kommt, muss zum Beispiel eine ordentliche Bilanz mitbringen und auch selber Geld auf den Tisch legen, anstatt zulasten seiner Kunden zu spekulieren.“

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