




RWE-Chef Peter Terium hat ein Problem weniger: Die von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) geplante Strafgebühr für alte Kohlekraftwerke, die besonders viel Kohlendioxid in die Luft blasen, ist vom Tisch. Stattdessen erhalten RWE und Co. rund 270 Millionen Euro dafür, dass sie ab 2017 einige Kohlekraftwerke nur noch als Notreserve bereithalten und nach vier Jahren ganz stilllegen. Terium meldete den Kommunen, seinen wichtigsten Aktionären, das Braunkohlethema sei „beherrschbar“, erinnert sich ein kommunaler Vertreter.
Doch Teriums Argument, mit dem er gegen diese Gebühr gekämpft hatte, fällt ihm nun bei einem noch viel größeren Problem auf die Füße: Der RWE-Chef hatte gedroht, der Stromkonzern könne möglicherweise die Kosten für den Rückbau der Atomkraftwerke und die Entsorgung des Atommülls nicht mehr leisten, wenn der Staat dem finanzschwachen Versorger nun auch noch eine Kohleabgabe aufbrumme. Das Argument zog, Gabriel musste nachgeben.
Welche deutschen Atomkraftwerke demnächst vom Netz gehen
Philippsburg II (Baden-Württemberg, EnBW)
Bruttoleistung: 1468 MWe
Inbetriebnahme: 13.12.1984
Grohnde II (Niedersachsen, EnBW)
Bruttoleistung: 1430 MWe
Inbetriebnahme: 01.09.1984
Brokdorf (Schleswig-Holstein, E.On/Vattenfall)
Bruttoleistung: 1480 MWe
Inbetriebnahme: 08.10.1986
Gundremmingen C (Bayern, RWE/E.On)
Bruttoleistung: 1344 MWe
Inbetriebnahme: 26.10.1984
Isar II (Bayern, E.On/Stadtwerke München)
Bruttoleistung: 1485 MWe
Inbetriebnahme: 15.01.1988
Emsland (Niedersachsen, RWE/E.On)
Bruttoleistung: 1400 MWe
Inbetriebnahme: 14.04.1988
Neckarwestheim II (Baden-Württemberg, EnBW)
Bruttoleistung: 1400 MWe
Inbetriebnahme: 29.12.1988
Teriums Drohung, der Konzern könnte den Atomrückbau nicht stemmen, hat aber alte Zweifel des Ministers bestätigt. Die immer wieder abgegebenen Beteuerungen, die Rückstellungen in den Bilanzen der vier AKW-Betreiber RWE, E.On, EnBW und Vattenfall von zusammen rund 32 Milliarden Euro für die deutschen Atommeiler reichten, um die Kosten für deren Abriss und der Endlagerung des Atommülls zu decken, scheinen noch weniger glaubhaft. Reichen die Polster nicht aus, so die Sorge in Berlin, muss womöglich der Steuerzahler ran.
Was sind Sachanlagen wie Kraftwerke noch wert?
Dass die Milliarden tatsächlich nicht reichen werden, um den Rückbau der Meiler und die Kosten für die Endlagerung des radioaktiven Mülls nicht reichten, zu diesem Ergebnis kamen bereits einige Studien; etwa schon im März dieses Jahres ein Gutachten der Kanzlei Becker Büttner Held im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Anfang August warnte die Hochschule Ruhr West in einer Studie im Auftrag der Grünen, dass „sowohl bei E.On wie auch bei RWE die vorhandene materielle Substanz derzeit höchstens annähernd ausreicht, um die Gesamtheit der langfristigen Verpflichtungen decken zu können.“
Nun soll ein Stresstest bei den AKW-Betreibern im Auftrag von Bundeswirtschaftsminister Gabriel Klarheit schaffen, wie werthaltig Sachanlagen (zum Beispiel Kraftwerke) oder Finanzanlagen sind, die hinter diesen Rückstellungen stecken.
Seit Monatsmitte haben deshalb nun die Essener ungebetene Gäste im Haus: Mitarbeiter der Düsseldorfer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Warth & Klein Grant Thornton. Sie sollen im Auftrag des Ministers überprüfen, ob die Rückstellungen in der RWE-Bilanz korrekt berechnet sind, und ausrechnen, wie viel die Vermögenswerte, mit denen Verpflichtungen aus Rückbau und Endlagerung bezahlt werden sollen, tatsächlich wert sind. Der Auftrag an Warth & Klein Grant Thornton ist auch ein Affront für die Wirtschaftsprüfer von PwC, die regulär die RWE-Bilanzen testieren. Ergeben die neuen Berechnungen von Warth & Klein bei RWE und den anderen drei Versorgern, dass die derzeitigen Vermögenswerte nicht ausreichten, müssten die Versorger ihre Rückstellungen erhöhen.
Die Atomklagen der Energiekonzerne
E.On, RWE und Vattenfall haben gegen den 2011 beschlossenen beschleunigten Atomausstieg vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Das Gericht will noch 2015 entscheiden. Den Konzernen geht es nicht darum, den bis Ende 2022 geplanten Ausstieg rückgängig zu machen. Sie fordern jedoch Schadenersatz, da die Bundesregierung wenige Monate vor der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima die Laufzeiten der Meiler noch verlängert hatte. Sollte das Verfassungsgericht den Unternehmen Recht geben, müssten diese den Schadenersatz in weiteren Verfahren erstreiten. Eon fordert über acht Milliarden Euro. RWE hat keine Zahlen genannt, die Analysten der Deutschen Bank gehen von sechs Milliarden Euro aus. Vattenfall will 4,7 Milliarden Euro und klagt zudem vor einem Schiedsgericht in den USA.
E.On, RWE und EnBW klagen gegen Bund und Länder wegen des nach der Atomkatastrophe von Fukushima verhängten dreimonatigen Betriebsverbots für die sieben ältesten der damals 17 deutschen AKWs plus dem damals geschlossenen AKW Krümmel. Das Moratorium lief von März bis Juni 2011 und mündete schließlich im August im endgültigen Ausstiegsbeschluss. Ursprünglich hatte lediglich RWE geklagt. Nachdem der Energieriese vor Gericht Recht bekam, zogen Eon und EnBW nach. Eon klagt auf Schadenersatz in Höhe von 380 Millionen Euro. RWE fordert 235 Millionen Euro, EnBW einen „niedrigen dreistelligen Millionenbetrag“.
E.On, RWE und EnBW klagen auf eine Befreiung und Rückzahlung der 2011 eingeführten Brennelementesteuer. Diese wird noch bis 2016 erhoben. Eon hat nach eigenen Angaben 2,3 Milliarden Euro an den Bund gezahlt, RWE 1,23 Milliarden Euro und EnBW 1,1 Milliarden Euro. Die Verfahren sind vor dem Bundesverfassungsgericht und der Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig. Der Generalanwalt des EuGH hält die Steuer jedoch mit europäischem Recht vereinbar. Seine Einschätzung ist für das Gericht aber nicht bindend.
E.On hat im Oktober 2014 wegen der im Atomgesetz vorgesehenen standortnahen Zwischenlagerung wieder aufbereiteter Atomabfälle, die aus dem Ausland zurückgeholt werden, geklagt. Die Klage richtet sich gegen die Länder Niedersachsen und Bayern sowie den Bund. Vattenfall hat im selben Zusammenhang gegen Schleswig-Holstein und den Bund geklagt. Auch RWE hat Klage eingereicht. Es geht um Mehrkosten für die Betreiber, nachdem es keine Transporte dieser Abfälle mehr in das Lager nach Gorleben geben soll. Die Konzerne halten Gorleben jedoch weiter für den richtigen Standort.
Das träfe nicht nur die großen Betreiber, sondern auch Städte und deren Stadtwerke, die an Atomkraftwerken beteiligt sind. Sie müssten ebenfalls nachschießen, falls die Rückstellungen nicht ausreichen. „Wir schauen uns die Werthaltigkeit der Rückstellungen in den Bilanzen aller Betreiber der 23 Atomkraftwerke in Deutschland an“, sagt Warth & Klein-Prüfer Martin Jonas. Jonas, Kölner Honorarprofessor und Heike Wieland-Blöse leiten die Prüfung. „Dazu gehören auch die der Stadtwerke München und Bielefeld.“ Die Städte haben insgesamt über 900 Millionen Euro zurückgestellt.
So halten die Stadtwerke München 25 Prozent am AKW Isar II in Bayern, das E.On Ende 2022 vom Netz nehmen soll. Die Bayern haben für Abriss und Endlagerung des strahlenden Mülls ihrem Anteil entsprechend 563 Millionen Euro zurückgestellt.





Die zweite Kommune, die für den Atomausstieg bezahlen muss, ist Bielefeld. Die Westfalen sind über ihr Stadtwerk mittelbar mit 16,7 Prozent am AKW Grohnde beteiligt, das Ende 2021 stillgelegt werden wird. Die Bielefelder haben 400 Millionen Euro für den Rückbau auf die hohe Kante gelegt.