Atomkraftwerke Im Kernkraft-Streckbetrieb stecken lukrative Margen

Quelle: imago images

Die Bundesregierung prüft die Möglichkeit eines sogenannten Streckbetriebs der drei verbliebenen Atomkraftwerke. Das würde für RWE, E.On und EnBW Mehrkosten bedeuten, könnte sich aber dennoch für sie auszahlen.

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Die Atomkraft ist in Deutschland eine sterbende Gilde. Im Grunde verdient sie das Wortanhängsel „kraft“ gar nicht mehr. Von einst 17 Reaktoren sind heute, rund elf Jahre nach dem deutschen Atomausstieg, nur noch drei übrig geblieben: das AKW Emsland im niedersächsischen Lingen (Betreiber: RWE); das AKW Isar2 im niederbayrischen Essenbach (Betreiber: die E.On-Tochterfirma Preussenelektra); sowie das AKW Neckarwestheim2 in der gleichnamigen Gemeinde südlich von Heilbronn (Betreiber: EnBW-Tochterfirma EnKK). Sie sollen eigentlich zum 31. Dezember abgeschaltet werden. Nun ist aufgrund des Gasmangels ein sogenannter „Streckbetrieb“ der drei Kernkraftwerke in der Diskussion – über den 31. Dezember 2022 hinaus. Dafür hat das Bundeswirtschaftsministerium einen zweiten sogenannten „Stresstest“ für die drei Meiler angekündigt. Und gerade ruft eine Gruppe von 20 Professoren deutscher Universitäten angesichts der Energiekrise dazu auf, den Atomausstieg wieder rückgängig zu machen.

Zusammen haben die drei deutschen Kernkraftwerke laut Statistischem Bundesamt im ersten Quartal 2022 rund sechs Prozent des Stroms in Deutschland erzeugt. Unabhängig von der Frage, ob die Aufgeregtheit der Debatte um einen Streckbetrieb im angemessenen Verhältnis zur Leistung steht, ist ein Blick auf die Wirtschaftlichkeit der Atomenergie lohnenswert. Schließlich haben die drei Betreiberfirmen vom Bund bereits Entschädigungen zugesprochen bekommen „für nicht verwertbare Elektrizitätsmengen und für entwertete Investitionen“. RWE erhält 880 Millionen Euro, EnBW rund 80 Millionen Euro und E.On 42,5 Millionen Euro. Auf der anderen Seite stehen Rückstellungen der Energiekonzerne für die sterbende Sparte. Für Restbetrieb, Abbau sowie „Reststoffbearbeitung und Abfallbehandlung“ im Kernenergiebereich weist etwa RWE 2021 Rückstellungen in Höhe von rund sechs Milliarden Euro aus. „Nach heutigem Stand der Planung werden wir die Rückstellungen im Wesentlichen bis Anfang der 2040er-Jahre in Anspruch nehmen“, schreibt RWE in seinem Geschäftsbericht für das Jahr 2021.

Die Frage lautet also: Wäre ein kurzzeitiger Streckbetrieb der drei Kernkraftwerke finanziell lukrativ für die Betreiber? Und würde er die Entschädigungszahlungen und Rückstellungen beeinflussen?

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Die drei Energiekonzerne beantworten diese Fragen nicht im Detail. Sinngemäß heißt es, man wolle der politischen Entscheidung nicht vorgreifen. Das überrascht Jens Burchardt nicht, Partner und Energieexperte der Boston Consulting Group. Er habe derzeit „nicht den Eindruck, dass die AKW-Betreiber gerade mit den Hufen scharren. Die Unternehmen hatten mit dem Thema eigentlich abgeschlossen. Und Atomkraft bleibt hierzulande ein unglaublich emotionales Thema.“ Aber wie auch immer die Bundesregierung sich entscheide: Sie solle es relativ zügig tun, meint Burchard. „Die AKW-Betreiber haben Wartungszyklen und Personalplanung seit Jahren darauf ausgelegt, dass am 31. Dezember Schluss ist. Im Falle einer Laufzeitverlängerung müssten die Energiekonzerne ihre Wartungsplanung und auch die Personalorganisation schnell neu anpassen. Das braucht aber Vorlauf.“

Dazu ein Blick aufs Personal. Der Essener Energiekonzern RWE beschäftigt rund 350 Frauen und Männer im AKW Emsland. Das sind etwa zwei Prozent der insgesamt mehr als 18.000 Leute, die für das Unternehmen arbeiten. Beim ebenfalls in Essen ansässigen  E.On-Konzern arbeiten noch rund 500 Angestellte von insgesamt rund 72.000 im Kernkraftwerk. Und beim Karlsruher Energieversorger EnBW sind es rund 700 Mitarbeiter von insgesamt 26.000. Diese insgesamt 1.550 Menschen sind die letzten verbliebenen aktiven Kernkraft-Angestellten in Deutschland. 

Die drei Konzerne hatten nun einige Jahre Zeit, sich zu überlegen, was sie mit diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ab Januar 2023 anstellen sollen. Detailliert äußert sich keines der drei Unternehmen zu der Frage. Die E.On-Firma Preussenelektra erklärt, die Personalplanung sehe vor, „dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Leistungsbetrieb Aufgaben bei Stilllegung und Rückbau übernehmen. Einige Mitarbeitende gehen darüber hinaus auch in den Ruhestand oder können unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit des Vorruhestands in Anspruch nehmen.“

Man darf davon ausgehen, dass es bei den anderen Konzernen ähnlich aussieht und somit nicht alle 1.550 Menschen für den Rückbau der drei Meiler gebraucht werden. Sollte die Bundesregierung jedoch einen Streckbetrieb anordnen, müssten die Konzerne wohl alle ihre Kernkraft-Mitarbeiter weiter beschäftigen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.

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Ein Streckbetrieb sieht vor, dass ein Atomkraftwerk nicht mehr Strom als bisher festgelegt produzieren darf. Die sonst nur bis 31.12.2022 zu produzierende, gedeckelte Menge würde dann nur über einen längeren Zeitraum gestreckt werden. Theoretisch würde das bedeuten, dass die drei Konzerne über die Dauer des Streckbetriebs nicht mehr Umsatz generieren könnten, dafür aber höhere Fixkosten (fürs Personal) zahlen müssten. Wäre ein Streckbetrieb also ein finanzieller Nachteil für RWE, E.On und EnBW?

Nein, befindet BCG-Energieexperte Jens Burchardt. „Die AKW-Betreiber hätten dadurch weniger ein Kostenproblem“, formuliert er vorsichtig. Eher im Gegenteil. Streckbetrieb, sagt er, sei ein häufig etwas missverstandener Begriff. Im engen Sinne bedeute er, dass Kraftwerke ihre vereinbarten Reststrommengen über einen längeren Zeitraum verteilen. So könnte man etwa in den Sommer- und Herbstmonaten, in denen weniger Strom aus Gaskraftwerken erzeugt werde, die Kernkraftwerke herunterfahren. Im Frühjahr könnte sie dann dafür Gaskraftwerke aus dem Strommix verdrängen. „Technisch ist das sicher möglich, die Einsparungen wären mit unter ein Prozent des Gasverbrauchs allerdings begrenzt“, sagt Burchardt. Für höhere Einsparungen wäre eine Erhöhung der Reststrommengen erforderlich. „Das wäre mit bestehenden Brennstäben wahrscheinlich technisch ebenfalls für einige Monate möglich, aber nicht besonders lange.“

Technisch machbar – aber auch wirtschaftlich interessant? Einen großen Einfluss auf die Marge hat der sogenannte Merit-Order-Effekt: Demnach bestimmt immer das Kraftwerk mit den größten Kosten den Strompreis. Die günstigsten Anlagen erwirtschaften demzufolge die größten Margen. „Atomkraftwerke haben sehr hohe Kapitalkosten, aber vergleichsweise geringe variable Kosten. Gleichzeitig sind aktuelle Börsenstrompreise um ein mehrfaches höher als in den Vorjahren“, erklärt Burchardt. Die variablen Stromentstehungskosten liegen bei Atomkraftwerken bei rund 20 Euro pro Megawattstunde. Der Börsenstrompreis liegt diese Woche im Mittel bei rund 300 Euro pro Megawattstunde.

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Vergangene Woche erreichte er jedoch zeitweise ein neues Rekordhoch: Eine Megawattstunde kostete zwischenzeitlich fast 600 Euro – eine Steigerung von 580 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr. Auch wenn Mehrkosten in Form höherer Personalkosten auf die AKW-Betreiber zukämen, wären in einem Streckbetrieb angesichts der derzeitigen Stromkosten also äußerst lukrative Margen möglich.

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