Aufspaltung des Energieriesen Kommt E.Ons Notbremse zu spät?

E.On-Aufspaltung als Offenbarungseid: Der Atomausstieg könnte die Energieriesen mehr kosten, als sie zurückgelegt haben. Das schürt die Angst, dass am Ende der Steuerzahler blutet. Experten sehen die Konzerne am Ende.

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E.On Energiewende Quelle: dpa, Montage

Vorausdenken gehört zu den Stärken des Johannes Teyssen, Schnelligkeit weniger. Fast vier Jahre hat der 55-Jährige seit seinem Antritt als E.On-Chef gebraucht, um ein Konzept zu entwerfen, wie Deutschlands größter Energiekonzern mit der Energiewende fertigwerden könnte.

Sein wichtigstes Kalkül, so zumindest die offizielle Lesart: In den kommenden Jahren gehen in Deutschland so viele Kraftwerke vom Netz, dass der Strom langsam knapp wird. Allein bis Ende des Jahrzehnts schalten drei dicke Atommeiler ab, gefolgt von drei weiteren in den 24 Monaten danach.

Welche deutschen Atomkraftwerke demnächst vom Netz gehen

Zudem sind gut 40 Kohleblöcke zur Stilllegung angemeldet. Und schließlich will Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel auch noch acht Kohlekraftwerke dichtmachen, um den C02-Ausstoß zu mindern.

Da wäre es doch gelacht, wenn der Strompreis nicht irgendwann einmal wieder stiege – und so mancher E.On-Kohlemeiler, der heute vom Ökostrom aus dem Geschäft gedrängt wird, nicht wieder in die Gewinnzone käme.

„Mir hat noch niemand gezeigt, wie Energieversorgung ohne diese klassische Energie gehen soll“, frohlockte Teyssen Anfang der Woche im „Handelsblatt“ und erklärte: „Ich glaube an die Koexistenz dieser beiden Welten.“

Teyssens Ausflug ins Polit-Philosophische und sein Strompreiskalkül sollen eine epochale Entscheidung begründen, die erst in ein paar Jahren zur vollen Entfaltung kommen wird, dann aber so manchen die Augen öffnen wird: den Mitarbeitern bei E.On und den drei anderen Stromriesen RWE, EnBW und Vattenfall, den Politikern und den deutschen Steuerzahlern.

Neue Gesellschaft ohne Namen

Denn Teyssen will das Düsseldorfer Unternehmen auf ganz besondere Weise aufteilen. Das rund 60 Milliarden Euro schwere Geschäft mit den Atom- und Kohlekraftwerken soll ausgegliedert werden in ein noch namenloses Unternehmen. Das soll am später wieder teurer werdenden konventionellen Strom mitverdienen.

Der künftige E.On-Konzern hingegen soll, in der Rechtsform einer europäischen Aktiengesellschaft, auf dem wachstumsträchtigen Feld der erneuerbaren Energien, Stromnetze und Dienstleistungen neu aufblühen.

Deutsche Energieversorger im Vergleich

Experten wie Martin Sonnenschein, Chef von A.T. Kearney Deutschland („Mutig, aber richtig“), zollen der Entscheidung Respekt. Aber die Aufteilung des Energieriesen ist alles andere als simpel. Und Teyssen leistet damit einen Offenbarungseid, und das gleich in zweierlei Hinsicht.

Zum einen gesteht er ein, dass er und seine Vorgänger lange versäumt haben, auf die Energiewende zu reagieren. Zum anderen signalisiert Teyssen mit der Ausgliederung des Atoms, dass er unkalkulierbaren Folgen der Kernkraft vorbaut, indem er sie aus dem Konzern schiebt, bevor die Stilllegung der Meiler richtig losgeht. Anders ist der Coup für Experten nicht zu interpretieren:

E.Ons halbe Wahrheit

So betont Teyssen, die neue Gesellschaft mit den Atom- und Kohlemeilern werde ohne Schulden an den Start gehen und „finanziell so solide aufgestellt sein wie keine andere in Europa“. Und er fügt hinzu, eine Reduzierung auf die Kernenergie würde „der Wirklichkeit dieses neuen Unternehmens nicht gerecht“.

Doch dies ist höchstens die halbe Wahrheit. „Die Herauslösung der Atomkraftwerke dient eindeutig dazu, den künftigen E.On-Konzern von der Haftung für die Folgen der Kernenergie zu befreien“, sagt ein langjähriger Top-Manager des Düsseldorfer Energieriesen.

Interessen der Kunden werden schon von Anderen bedient

Auch Teyssens Beschwörung des Zukunftsmarktes ist zweifelhaft. E.On werde künftig die Interessen der Kunden „nach sauberer Energie, nach eigener Stromproduktion, nach Speicherung, nach Effizienz, nach Optimierung mit den Nachbarn, nach Digitalisierung“ erfüllen, schwärmt er.

Aber diese Interessen werden schon befriedigt, nämlich von anderen. Nach Einschätzung von EnBW tummeln sich in Europa zum Beispiel bereits 500 Anbieter dezentraler Kraftwerke. Und laut einer Studie der Unternehmensberatung Arthur D. Little wird E.On an dem schätzungsweise rund 18 Milliarden Euro schweren Geschäft etwa mit Dienstleistungen rund um die Energieversorgung im kommenden Jahr zusammen mit RWE, EnBW und Vattenfall nur zu zehn Prozent partizipieren.

Niemand hat auf E.On gewartet

Das sind keine guten Aussichten für die rund 20.000 Beschäftigten des künftig grünen E.On-Konzerns und seine Mitstreiter. „Da wartet niemand auf E.On oder RWE“, sagt Uwe Leprich, Wirtschaftsprofessor und Leiter des Instituts ZukunftsEnergieSysteme in Saarbrücken.

Das Geschäft, in das Teyssen strebe, sei mittelständisch geprägt, etwa durch geringen Kapitaleinsatz und überschaubare Renditen. Hier seien kleine, schnelle, wendige Akteure gefragt, keine schwerfälligen Giganten.

Strommix der großen Stromkonzerne in Deutschland. (Alle Angaben für 2013 in Milliarden Euro; Für eine detailliertere Ansicht klicken Sie bitte das Bild an.)

Tatsächlich läuft nach drei Jahren forcierter Energiewende durch den Atomausstiegsbeschluss von Schwarz-Gelb 2011 das Stromgeschäft immer mehr ohne die Konzerne. So koppeln sich Großunternehmen wie Mittelständler zunehmend oder ganz vom öffentlichen Stromnetz ab. Der Solarspezialist Endreß & Widmann aus Neuenstadt am Kocher bei Heilbronn etwa ist völlig autark. Was er an Wärme und Strom braucht, produziert er mit eigenen Fotovoltaikanlagen und einem Blockheizkraftwerk.

Andere wie der Hersteller von Vakuum-Greifern J. Schmalz im Schwarzwald bleiben zwar zur Sicherheit am Netz, erzeugen mit Windrädern und Solarmodulen übers Jahr gesehen aber bereits mehr Strom, als sie benötigen.

Kaum mehr als ein Zubrot

Sie alle suchen Beratung, wie sie mit möglichst wenig Energie auskommen können. Next Kraftwerke in Köln wiederum schalten Hunderte Biogasanlagen, Solarparks und Windräder deutschlandweit zu einem virtuellen Kraftwerk zusammen.

Das Münchner Start-up Entelios hilft Kunden wie Deutschlands größtem Aluminiumerzeuger Trimet, Geld mit der Regelung der Stromversorgung zu verdienen. Wenn das Stromangebot schwächelt, drosselt das Essener Unternehmen vorübergehend die Aluminiumproduktion und damit den eigenen Stromverbrauch. Gibt es Strom im Überfluss, jagt Trimet die Leistung der Schmelzöfen in die Höhe. Dafür zahlen die Netzbetreiber dem Großverbraucher je bereitgestellter Megawattstunde mehrere 10.000 Euro pro Jahr.

Bilanzzahlen der großen deutschen Stromkonzerne im Überblick. (Alle Angaben für 2013 in Milliarden Euro; Für eine detailliertere Ansicht klicken Sie bitte das Bild an.)

Ebenso steht Teyssens Hoffnung in den Sternen, die neue, noch namenlose E.On-Kraftwerkstochter werde einmal „zu den führenden Unternehmen in Europa gehören“, die für „Stabilität und Sicherheit“ der Stromversorgung sorge. Denn wie nach der sukzessiven Abschaltung der AKWs die Versorgungssicherheit gewährleistet wird, wenn die Sonne nicht scheint und zu wenig Wind weht, ist noch lange nicht entschieden – und überhaupt keine Garantie für erkleckliche sichere Einnahmen der Kohle- und Gaskraftwerksbetreiber.

Wirtschaftsminister Gabriel hat dazu gerade ein Grünbuch vorgelegt, das zwei grundsätzliche Lösungen für das Problem beschreibt, die beide keine Bonanza für die Stromkonzerne verheißen:

  • So könnte die Bundesnetzagentur Kraftwerkskapazitäten oder Stromabschaltungen ausschreiben, für die die Anbieter bezahlt werden. Oder die Kraftwerksbetreiber bieten Zertifikate für Versorgungssicherheit an. Stadtwerke oder Industrieunternehmen können diese erwerben. Wie viel die Anbieter damit einnehmen, ist völlig offen. Experten rechnen mit maximal vier bis sechs Milliarden Euro pro Jahr. Verteilt auf E.On, RWE, EnBW, Vattenfall und die zahlreichen weiteren Kraftwerksbetreiber wäre das kaum mehr als ein Zubrot.
  • Mit weitaus weniger müssen E.On und Konsorten rechnen, entschlössen sich die Politiker, die Versorgungssicherheit allein Angebot und Nachfrage zu überlassen. Stiege der Strompreis, so die Idee, wäre dies ein Anreiz für die Konzerne, Reservekraftwerke vorzuhalten. Selbst kurze Einsatzzeiten wären dann rentabel. Experten erwarten jedoch, dass die Politiker die drohenden kurzzeitig exorbitanten Strompreise fürchten und deswegen zu den teureren Lösungen neigen.

Kein "Hartz IV" für Kraftwerke

Im kommenden Mai will die Regierung darüber beschließen. Ein „Hartz IV für Kraftwerke“, also Geld ohne Gegenleistung, werde es mit ihm nicht geben, hat Wirtschaftsminister Gabriel den Strommanagern schon mal prophezeit.

Das Brisanteste an der Aufspaltung von E.On in ein neues grünes sowie in ein altes schmutziges Unternehmen ist jedoch die Ausgliederung der Atomsparte. „Dadurch könnte sich die Abdeckung der Rückstellungen mit Geldmitteln etwa halbieren, weil die Rückbau- und Entsorgungslasten zusammen mit den Kraftwerken vollständig in den abzuwickelnden Unternehmensteil verschoben werden, die Vermögenswerte aber nur zum Teil“, warnt Wolfgang Irrek, Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule Ruhr West in Bottrop. „Zudem ist das Pleiterisiko des Unternehmensteils mit den Altlasten höher, weil dieser nach der Abtrennung nicht mehr durch die zukunftsträchtigen Geschäftsbereiche unterstützt wird.“

Merkel: "Atomrisiken nicht auf Steuerzahler abwälzen"
Die finanziellen Risiken für den Ausstieg aus der Atomenergie sollen nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Unternehmen bleiben. "Risiken auf Staat und Steuerzahler abzuwälzen, lehne ich ab", sagte die CDU-Vorsitzende im Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am 16. Mai. "Im Grundsatz muss es dabei bleiben, dass die Unternehmen die Verantwortung für die Entsorgung von Atommüll tragen", betonte sie. Dafür seien Rücklagen gebildet worden. Eine einseitige Verlagerung der Risiken "werden wir nicht mitmachen". Zu der von Energiekonzernen vorgebrachten Idee einer öffentlich Atomstiftung wollte sich Merkel nicht direkt äußern. Sie habe davon bisher nur in der Presse gelesen. "Wir werden über das Thema der Kernkraftwerke und ihrer Altlasten sicher noch viele Gespräche führen", betonte sie zugleich. Quelle: dpa
Peter Ramsauer (CSU), Chef des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie, springt den Energiekonzernen zur Seite. Er nannte einen AKW-Fonds einen strategischen Vorschlag, "über den man nicht nur reden kann, sondern muss. Man sollte der Energiewirtschaft eher dankbar dafür sein, dass sie sich überhaupt mit Vorschlägen einbringt, als sie sofort wieder reflexartig zu verdammen", sagte Ramsauer dem "Spiegel". Die Konzerne könnten den Ausstieg nicht allein tragen. "In einer höchst verminten Gefechtslage müssen sich alle Seiten ihrer Risiken bewusst sein. Für den Bund sind das möglicherweise milliardenschwere Schadensersatzzahlungen für den Atomausstieg", sagte Ramsauer weiter. Quelle: dpa
CDU-Generalsekretär Peter Tauber machte am Montag nach einer Sitzung des Parteipräsidiums in Berlin deutlich: „Die volle Verantwortung auch für die Kosten liegt zunächst bei den Unternehmen. Alles weitere kann man gerne diskutieren.“ Das Thema sei komplex, sagte Tauber. „Zunächst muss es auch darum gehen, die Energieunternehmen nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen.“ Quelle: dpa
CSU-Chef Horst Seehofer hält eine Übernahme des Atomgeschäftes der drei großen Energiekonzerne Eon, RWE und EnBW durch den Bund für unrealistisch. „Ich kann es mir nicht vorstellen“, sagte der bayerische Ministerpräsident am Montag in München. Quelle: dpa
Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner sagte, sie sähe keinen Grund, dass der Staat jetzt Milliarden in die Hand nehmen sollte. Eine Art Stiftung wäre nur denkbar, wenn die Energiekonzerne ihre Rücklagen für die Atomkraftwerke dort beisteuern würden. Quelle: dpa
Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) war noch skeptischer: "Ich glaube, dass die Energieerzeuger ihrer Verantwortung gerecht werden müssen und gerade auch in dieser jetzigen aktuellen Diskussion deutlich machen müssen, dass sie nicht nur Geld verdient haben, sondern auch Vorsorge betreiben." Quelle: dpa
Die Deutsche Umwelthilfe betonte, die Energiekonzerne hätten sich vier Jahrzehnte lang mit der Kernenergie eine goldene Nase verdient. „Jetzt, wo es darum geht, Verantwortung zu übernehmen, stehlen sie sich mit einem faulen Kompromiss durch die Hintertür davon“, sagte Hauptgeschäftsführer Jürgen Resch. Quelle: Screenshot

13,6 Milliarden Euro hat Teyssen für die Stilllegung seiner acht Kernanlagen zurückgestellt, 10,3 Milliarden RWE für sieben Meiler, 7,5 Milliarden EnBW für fünf und 2,0 Milliarden Vattenfall für zwei bereits abgeschaltete Atomstromer. Diese Beträge haben die Wirtschaftsprüfer bisher brav als ausreichend bestätigt.

Tadel für Geheimnistuerei

Doch ob die Einschätzung auch in zehn Jahren oder später gilt, daran gibt es erhebliche Zweifel. So sind die Kosten der Endlagerung schwach- bis mittelstark radioaktiven Abfalls kaum abschätzbar, seitdem in der niedersächsischen Grube Asse rostende Tonnen mit Atommüll leck schlugen. Die Sanierung wird vermutlich Milliarden verschlingen. An diesen Entsorgungskosten sind die Konzerne jedoch zu knapp zwei Drittel beteiligt.

„Generell haben doch alle, von den Konzernvorständen bis zu den Politikern, das Gefühl, dass die Rückstellungen nicht reichen, wenn von 2022 an über viele Jahre die Stilllegung läuft“, sagt ein ehemaliger E.On-Top-Manager. „Von daher ist es verständlich, dass E.On den Atombereich verselbstständigt, bevor die Kosten aufgrund neuer Erkenntnisse neu bewertet werden müssen.“

Außerplanmäßige Abschreibungen großer deutscher Versorger auf Kraftwerke (In Millionen Euro; Für eine detailliertere Ansicht klicken Sie bitte das Bild an.)

Selbst der Wert der Rückstellungen ist umstritten, da diese zum Teil in Kraftwerken angelegt sind. Zwar seien „in den Bilanzen der Energiekonzerne Stand heute genug Bargeld und kurzfristig liquidierbare Wertpapiere gespeichert, um die bisher angesetzten Kosten für Rückbau und Entsorgung zu decken“, sagt Energiewirtschaftler Irrek.

Bundesrechnungshof fordert bessere Prüfung

Doch haben E.On und die anderen drei Stromkonzerne in den vergangenen Jahren fast 6,3 Milliarden Euro auf ihren Kraftwerkspark abgeschrieben. In welchem Umfang dies die Rückstellungen für die AKWs mindert, ist unbekannt.

Voraussichtliche Anteile von E.On, RWE, EnBW und Vattenfall am Zukunftsmarkt Energiedienstleistungen in Deutschland 2015 (in Prozent; Für eine detailliertere Ansicht klicken Sie bitte das Bild an.)

Der Bundesrechnungshof hat bereits 2011 die Geheimnistuerei gerügt und dass den Betriebsprüfern der Finanzämter das Fachwissen fehle, um die Angemessenheit der Rückstellungen zu beurteilen. Deshalb, so die Aufforderung an die Politiker, seien das Bundesamt für Strahlenschutz oder andere Fachbehörden einzubeziehen und ihnen die entsprechenden Auskunftsrechte zu verschaffen.

„Der Bundesrechnungshof hält eine bessere staatliche Prüfung der Rückstellungen und eine umfassende Information von Parlament und Regierung für geboten“, hieß es in dem Bericht. Geschehen, sagte Behördenpräsident Kay Scheller Anfang vergangener Woche dazu, sei in dieser Richtung bisher allerdings „nichts“.

"In 20 Jahren werden E.On und RWE keine große Rolle mehr spielen"

Patrick Graichen, Chef des Energiewende-Thinktanks Agora, hält es für möglich, dass am Ende doch der Steuerzahler für die Abwicklung der Atomkraft aufkommt. „Ein öffentlich-rechtlicher Fonds hätte Charme“, meint Graichen. „Dann wandert zwar das Risiko von Kostenexplosionen beim Rückbau zum Staat. Dafür läuft er aber nicht mehr Gefahr, dass die Rückstellungen in den kommenden Jahren langsam aufgefressen werden.“

Diesen Pragmatismus den Politikern zu vermitteln, dürfte nicht einfach werden. Denn dass es E.On schlecht wie nie geht, liegt nur zum Teil an der Energiewende und der vorfahrtsberechtigten Ökostromflut. Die 32 Milliarden Euro Nettoschulden, die in den Büchern stehen, hat E.On zum einen Teyssens Vorgänger Wulf Bernotat zu verdanken.

Der war 2007 schmählich beim Versuch gescheitert, den spanischen Stromversorger Endesa zu übernehmen, und hatte daraufhin wie berauscht Kraftwerke im Ausland von Südeuropa bis Brasilien geschluckt, die bis heute die Bilanz belasten.

Das sind die Fallen beim Billigstrom
Verbraucher wollen keine StromdiscounterWie das Magazin Spiegel berichtet, haben Verbraucher spätestens seit der Pleite von Flexstrom die Nase voll von Billigstromanbietern. Laut einer Erhebung des Marktforschungsunternehmens YouGov, die der Spiegel zitiert, können sihc nur noch 18 Prozent der Deutschen vorstellen, ihren Strom beim Billiganbieter zu beziehen. 71 Prozent lehnten Billigstrom ab. Quelle: dpa
StrompreisvergleicheGerade mit ihrer Preispolitik verscherzen es sich die Anbieter bei den Kunden. Billig und guter Service passen nämlich in vielen Fällen nicht zusammen. Um am hart umkämpften Strommarkt teilnehmen zu können, müssen die Anbieter wahlweise ein spezielles Nischenprodukt bieten oder eben spottbillig sein. Gerade bei Vergleichsrechnern im Netz zählt letzteres, hier können die Billiganbieter punkten. Allerdings sind viele Stromdiscounter nur im ersten Jahr wirklich günstig - die Lockangebote finden sich dann in den Vergleichsportalen. Die Unternehmen setzen darauf, dass die Kunden zu bequem sind, den Tarif zu wechseln, wenn es dann im zweiten Jahr richtig teuer wird. Verbraucherschützer empfehlen deshalb, nicht nur auf den Preis im Netz zu achten, sondern sich auch das Kleingedruckte auf der Website des vermeintlich günstigsten Anbieters durchzulesen. Quelle: dpa
VorauszahlungenViele Anbieter, wie auch die beiden insolventen Unternehmen Teldafax und Flexstrom, verlangen von ihren Kunden Geld im Voraus. Verbraucherschützer warnen vor solchen Vorkasse-Modellen, gerade, wenn für ein ganzes Jahr im Voraus bezahlt werden soll. Geht das Unternehmen Pleite, ist das Geld weg und der Kunde sieht keine Leistung dafür, sprich: bekommt keinen Strom. Quelle: dpa
BonuszahlungenEin anderer, weit verbreiteter Trick sind Bonuszahlungen, mit denen Kunden geködert werden. Diese Extras für Neukunden gibt es meist nur im ersten Jahr. wer nach zwölf Monaten aus seinem Vertrag aussteigen und den Anbieter wechseln will, muss mitunter gerichtlich um die Auszahlung seiner Boni kämpfen. Auch der Billiganbieter Flexstrom hatte die Auszahlung der Boni immer wieder verweigert. Quelle: dpa
GuthabenAuch wegen der Auszahlung von Guthaben ging es in der Vergangenheit häufig vor Gericht beziehungsweise vor die Schlichtungsstelle für Energie. Wer mehr Geld bezahlt hat, als er an Strom verbraucht hat, müsste das Guthaben unverzüglich ausgezahlt bekommen. Stattdessen nutzen es Billiganbieter gerne, um sich ein kleines Finanzpolster anzulegen, heißt es seitens der Verbraucherzentralen. Statt die Summe zurückzuzahlen, verrechnen einige Anbieter das Guthaben mit den nächsten Abschlagszahlungen: Der Kunde muss also so lange nicht mehr für Strom zahlen, bis sein Guthaben aufgebraucht ist. Quelle: AP
KautionenEine Kaution mag bei der Anmietung einer Immobilie sinnvoll sein, beim Abschluss eines Vertrages mit einem Stromanbieter ist sie es nicht. Viele Billigstromanbieter setzen jedoch auf diese zusätzliche Gebühr. Zwar gibt es sie bei Vertragsende zurück, einen nutzen hat der Kunde davon allerdings nicht. Quelle: dpa
PaketangebotePaketpreise mögen bei Vertragsabschluss verlockend klingen. Sie lohnen sich allerdings nur für Kunden, die ihren Stromverbrauch wirklich sehr genau kennen. Wer weniger Strom verbraucht, als im Paket enthalten, zahlt nämlich trotzdem den vereinbarten Preis, er legt also drauf. Verbraucht er mehr Energie, werden die zusätzlich verbrauchten Kilowattstunden richtig teuer. Quelle: dpa

Zudem hatten zuerst Bernotat und dann Teyssen gemeinsam mit den anderen damaligen Chefs der drei Stromgiganten bewusst entschieden, ihre Milliardenprofite aus dem Atomstrom nicht in erneuerbare Energien zu investieren. Zwar hatte die rot-grüne Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) 2002 die Laufzeit der Atommeiler verkürzt. Gleichzeitig erlaubte sie den Konzernen aber ausdrücklich, von nun an ebenfalls den vorfahrtsberechtigten Grünstrom zu produzieren und dafür die Ökostromzulage zu kassieren.

Konzerne setzten aufs falsche Pferd

Doch statt sich auf dieses Geschäft zu stürzen, setzten die großen Versorger mit dem damaligen RWE-Chef Jürgen Großmann vorweg erfolgreich darauf, der schwarz-gelben Koalition eine Laufzeitverlängerung der Atommeiler abzuringen. Umso härter traf sie der Beschluss von Kanzlerin Angela Merkel nach der Havarie des Kernkraftwerks in Fukushima 2011, das Atomkapitel in Deutschland 2022 zu beenden.

Dass E.On und Co. sich nun auf alles werfen, was nach sauberer, moderner Energieversorgung und dazugehörigen Dienstleistungen klingt, ist kein Wunder, sondern später Einsicht geschuldet. So hat EnBW inzwischen herausgefunden, dass der europäische Markt für dezentrale Energieerzeugung im Jahr 2020 rund 80 Milliarden Euro betragen wird, viermal so viel wie heute.

Abschied von der Größe

Konzernchef Frank Mastiaux will darum mit Langzeit-Dienstleistungsverträgen Mittelständler und Kommunen an sich binden. Und RWE-Chef Peter Terium verkündet stolz, an virtuellen Kraftwerken zu arbeiten, die mittelständische Kunden miteinander vernetzen.

Doch ihre bisherige Größe dürften die Konzerne damit nicht halten. „Unser Neugeschäft kann niemals das wegbrechende Altgeschäft mit der flächendeckenden Stromversorgung durch Großkraftwerke ersetzen“, sagt Michael Stangel, Leiter des Geschäfts mit Unternehmen bei RWE.

Energieexperte Leprich zieht daraus für E.On nur einen Schluss. „Ich halte es für Pfeifen im Walde, wenn Herr Teyssen erklärt, E.On sei in diesem Bereich der große neue Player.“ Da lüge er sich selbst in die Tasche. „In 20 Jahren werden E.On und RWE keine große Rolle mehr spielen.“

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