Banken- und Finanzkrise „Wir sitzen im Kartenhaus“

Quelle: Bloomberg

Moritz Schularick, der designierte Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, hält die Banken- und Finanzkrise noch lange nicht für überwunden. Im Gegenteil: Er sieht wachsende Rezessionsrisiken – und fürchtet Banken, die „even bigger than too big to fail“ sein werden.

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WirtschaftsWoche: Herr Schularick, das Bankenbeben scheint so schnell vorüber wie es gekommen ist. Die Notenbanken bürgen für die Einlagen der Kunden, versorgen strauchelnde Institute mit Liquidität, bannen die Infektionsrisiken. Das war’s?
Moritz Schularick: Ich glaube, es ist zu früh, das zu sagen. Wir müssen noch mit weiteren Problemen rechnen. Die Jagd auf Institute mit wackligen Finanzierungsmodellen ist eröffnet. Und es ist wahrscheinlich, dass wir es noch mit weiteren Verwerfungen zu tun bekommen, dass einige andere Finanzinstitutionen in Schwierigkeiten geraten. Wenn die Zinsen so schnell steigen, dann geht das nun mal nicht spurlos an Banken oder Hedgefonds vorbei – dann lohnen sich heute Geschäfte nicht mehr, die gestern noch sehr lukrativ waren. Wir sollten daher darauf vorbereitet sein, dass noch weitere Finanzunternehmen Probleme anmelden.

Das Risiko einer weiteren Finanzkrise ist also noch nicht gebannt?
Eine systemische Bankenkrise wie vor 15 Jahren sehe ich diesmal eher nicht. Anders als 2008/09, haben wir es nicht mit verbreiteten Kreditrisiken und einer Kette von Kreditausfällen zu tun, sondern mit einem Bewertungsproblem von eigentlich sicheren Anlagen. Banken wie die Silicon Valley Bank haben kein Solvenzproblem im engeren Sinn, sondern ein Liquiditätsproblem, weil sie Anleihen vor Fälligkeit liquidieren müssen, wenn Kunden ihre Einlagen zurückfordern. Ein Problem, das Notenbanken mit Liquiditätszufuhren in den Griff bekommen können. Ganz anders sieht es bei den realwirtschaftlichen Folgen der Probleme im Bankensektor aus.

Zur Person

Moritz Schularick Quelle: ECONtribute

Was meinen Sie?
Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession ist massiv gestiegen. Viele Banken werden ihre Ertragslage aufgrund der Erschütterungen noch einmal evaluieren – und Ertragsprobleme erkennen. Dadurch wird sich das Kreditangebot verknappen. Unternehmen und Privatkunden werden es schwer haben, sich zu finanzieren. Das verlangsamt die Erholung der Wirtschaft, bremst die Konjunktur aus.

Immerhin erledigte sich damit fürs Erste das Inflationsproblem.
Nicht unbedingt – etwa solange wir es mit Verknappungen des Angebots und Lieferengpässen zu tun haben. Aber es stimmt schon: Eine Kreditklemme der Banken dämpfte den Preisauftrieb, hätte also eine ähnliche Wirkung wie weitere Zinserhöhungen der Zentralbanken. Wahrscheinlich wird nach der Europäischen Zentralbank (EZB) auch die US-amerikanische Fed die Zinsen noch einmal leicht anheben – sich aber schon sehr bald mit steigenden Rezessionsrisiken befassen müssen.

Zumal die prekäre Lage der Banken sich noch zuspitzen könnte…
Wirklich Alarm im Finanzsystem gibt es, wenn sich der Immobiliensektor ansteckt, also wenn aufgrund der Zinserhöhungen die Preise von Häuser und Wohnungen einbrechen – und Kunden ihre Kredite nicht mehr bedienen können. Immerhin haben wir es mit einer plötzlichen Vervierfachung der Hypothekenzinsen nach einem langen Jahrzehnt des billigen Geldes zu tun.

An den Börsen krachen die Kurse ein. Einige Anlagen aber profitieren von den Unsicherheiten. Welche das sind, wie sie sich in früheren Krisen bewährt haben – und was Anleger daraus für die nähere Zukunft ableiten können.
von Georg Buschmann

Also ist das Risiko einer sich wechselseitig verstärkenden Kredit-, Banken- und Konjunkturkrise aufgrund des überfälligen, aber allzu plötzlichen Zinsanstieges doch noch nicht gebannt?
Ich denke, wir erkennen gerade mal wieder, wie fragil unser Finanzsystem ist. Dass wir immer noch in einem Kartenhaus sitzen – und dass es nicht folgenlos bleibt, wenn eine Karte in diesem Haus plötzlich wegbricht. Die Labilität dieses Kartenhauses rührt letztlich von der hohen Verschuldung her, die kurzfristig überwälzt werden muss: Wir schieben sozusagen einen Berg von Risiken vor uns her. Wir erlauben Banken und Schattenbanken mit riesigen Schuldenmengen zu agieren, obwohl wir zugleich wissen, dass Aufsichtsbehörden diese Risiken nicht vollständig im Blick behalten können, dass die Regulierung der Banken und ihrer Risiken imperfekt ist.

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Ließe sich das Problem nicht leicht lösen? Mit deutlich strengeren Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften?
Das würde helfen. Aber wir sehen ja, dass selbst das verbesserte Regulierungsregime nach 2008 mit seinen Stresstests nicht ausreicht, um Risiken rechtzeitig zu identifizieren. Das Paradox ist: Die Politik hat nur dann Gestaltungsmacht, wenn die Branche gerade mal wieder am Boden liegt – aber wenn die Branche gerade mal wieder am Boden liegt, muss man sie retten, nicht regulieren. Die 30 Großbanken dieser Welt werden die Profiteure dieser Krise sein, noch stärker und mächtiger als bisher – eine „sichere Bank“ sozusagen, weil „even bigger than too big to fail“ – und als solche umso machtvoller verhindern, dass sie seitens der Politik zu stark reguliert werden.

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