Biosprit Deutschland verpasst den Anschluss

Biosprit der zweiten Generation, der die Nahrungsmittelproduktion nicht gefährdet, drängt auf den Markt. Deutschland ist heute nur bei der Forschung Spitze.

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In der CHOREN Industries GmbH Quelle: dpa/dpaweb

Jahrelang bemühte sich das kanadische Unternehmen Iogen vergeblich, Kraftstoffe für Autos aus Stroh und anderen nachwachsenden Rohstoffen herzustellen. Die Chemiker mühten sich redlich. Doch die Ausbeute des Prozesses blieb zu mager, um eine industrielle Fertigung rechtfertigen zu können.

Doch nun wendet sich das Blatt. Für das scheinbare Wunder sorgen Hefestämme, die normalerweise zum Brauen von Bier eingesetzt werden. Der Frankfurter Mikrobiologe Eckhard Boles, Professor an der Goethe-Universität, konnte industriell genutzte Hefen im Labor genetisch so verändern, dass sie drei Sorten Zucker zu Ethanol vergären können. Normalerweise schaffen sie das nur mit Glucose, die beispielsweise in Getreide, Zuckerrüben und Zuckerrohr vorkommt.

Die patentierten Boles-Hefen hingegen wandeln auch Xylose und Arabinose in Alkohol um – Zuckersorten, die in Holz und Pflanzenabfällen vorkommen. Damit steigt die Menge Ethanol, die aus einer Gewichtseinheit Biomasse gewonnen werden kann, um durchschnittlich 40 Prozent. Außerdem ist die Biosprit-Produktion nun nicht mehr auf Pflanzen angewiesen, aus denen auch Lebensmittel gewonnen werden.

Steigende Nachfrage nach Bioethanol vom Acker

Ethanol lässt sich heute in Mengen von etwa fünf Prozent normalem Benzin beimischen, ohne dass die Motoren an den Kraftstoff angepasst werden müssten. Einige Hersteller wie Ford, Saab und Volkswagen bieten inzwischen aber auch Autos an, deren Motoren beliebige Benzin-Ethanol-Gemische vertragen. Volkswagen war 2003 das erste Unternehmen, das die dazu nötigen „Flex-Fuel“-Einspritzsysteme von Bosch in Kleinwagen des Typs Polo für Brasilien einbaute.

In Südamerika wird seit Jahren Bioethanol, der aus Zuckerrohr gewonnen wird, in großem Stil im Straßenverkehr eingesetzt. Die steigende Nachfrage nach Biosprit vom Acker war so riesig, dass zum Entsetzen der Umweltschützer in Brasilien die Anbauflächen für Zuckerrohr massiv vergrößert wurden – zulasten des Regenwaldes.

Deutschland verpasst den Absprung

Mehrere Biosprit-Hersteller testen derzeit, ob und wie sich die Boles-Hefen für eine industrielle Fertigung von Ethanol nutzen lassen. Größter Abnehmer ist neben Iogen der spanische Technologiekonzern Abengoa. Die Nachfrage aus Deutschland hingegen ist praktisch gleich null. „Deutschland verschläft da wieder was“, klagt Gunter Festel, der gemeinsam mit Boles im schweizerischen Zug das Unternehmen Butelco gegründet hat, um die Hefen zur Serienreife zu bringen.

In diesen Tagen beginnen in einem Fermenter der Universität Hohenheim Gärungsversuche im halbtechnischen Maßstab. Ab Herbst, schätzt Festel, ist ein industrieller Einsatz möglich. Als Verkaufspreis für das so gewonnene Ethanol peilt Festel 1,30 Euro pro Liter an – inklusive Mineralöl- und Mehrwertsteuer. Damit ist Bioethanol nur noch geringfügig teurer als Benzin, das aus Erdöl gewonnen wird.

Schon ist Boles dabei, eine weitere Hefegeneration heranzuzüchten. Sie soll Butanol herstellen, einen nahen Verwandten des Ethanols. Dieser hat für einen Einsatz im Auto zwei Vorteile: Butanol zieht im Unterschied zu Ethanol kein Wasser an. Zudem lässt es sich problemlos sowohl Benzin als auch Diesel beimischen.

Choren setzt auf Holz als Rohstoff

Vollständig auf synthetischen Diesel setzt das Freiberger Unternehmen Choren, dessen Entwicklung von Volkswagen und Daimler unterstützt wird. Die Sachsen setzen auf den Rohstoff Holz und schnellwachsende Baumarten wie Pappeln, Rubinien und Weiden. Das Holz der Bäume wird mit einer Carbo-V genannten Technik in Synthesegas umgewandelt, ein Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff. Mit der vor fast 100 Jahren in Deutschland zur Gewinnung von Treibstoffen aus Braunkohle entwickelten Fischer-Tropsch-Synthese entsteht daraus synthetischer Diesel, dessen Qualität erheblich besser ist als die mineralischen Diesels.

Gut 4000 Liter des Syn-Fuel genannten Treibstoffs lassen sich pro Hektar Wald gewinnen. Für die gleiche Menge Biodiesel, der aus Rapsöl hergestellt wird, braucht man mehr als die dreifache Anbaufläche.

Shell will das Geschäft mit Quelle: dpa

15.000 Tonnen pro Jahr kann die erste großtechnische Fabrik für synthetischen Diesel produzieren, die vor knapp einem Jahr in Freiberg in Betrieb genommen wurde. Daran beteiligt ist Shell Deutschland, dessen britische Mutter gerade angekündigt hat, das Geschäft mit Biokraftstoffen auszubauen. Shell nimmt bereits den gesamten in Freiberg produzierten Sprit ab und setzt ihn seinem Spitzentreibstoff V-Power Diesel zu.

Die nächstgrößere Anlage, unternehmensintern Sigma genannt, soll für 200.000 Jahrestonnen ausgelegt werden. Das wären 0,7 Prozent des aktuellen deutschen Jahresverbrauchs an Diesel. Ob Sigma wie geplant in Schwedt an der Oder gebaut wird, macht Choren von der Steuergesetzgebung in Deutschland abhängig. Nur wenn Biosprit auch nach 2015 von der Mineralölsteuer befreit sei, rechne sich das 800 Millionen Euro teure Projekt, argumentiert das Unternehmen. Die Produktionskosten liegen nach internen Berechnungen anfangs bei 100 Cent pro Liter, die später, nach einer Optimierung des Verfahrens auf 60 bis 70 Cent sinken könnten.

Sprit aus Stroh

Als reine Resteverwerter betrachten sich hingegen die Entwickler von Bioliq. Wissenschaftler des Forschungszentrums und der Technischen Universität in Karlsruhe gewinnen ihren Biosprit ausschließlich aus Stroh. Da dessen Energieinhalt gering ist, lohnt es sich nicht, die Biomasse über Entfernungen von über 25 Kilometer zu transportieren. Dieser Einzugsbereich wäre aber nicht groß genug, um eine Biospritanlage von industrieller Größe mit Nachschub zu versorgen. Die Karlsruher haben deshalb ein zweistufiges Verfahren entwickelt. In relativ kleinen dezentralen Anlagen wird das Stroh zunächst in eine ölartige Flüssigkeit umgewandelt, die bis zu 15-mal so viel Energie enthält wie das gleiche Volumen Stroh. Diese Slurry genannte Flüssigkeit wird zu Raffinerien befördert, wo sie in Treibstoffe und Chemierohstoffe umgewandelt wird.

Eckhard Dinjus, der das Verfahren als Leiter des Instituts für Technische Chemie des Forschungszentrums Karlsruhe (heute: Institut für Funktionelle Grenzflächen) entwickelte, beziffert die Strohmenge, die pro Jahr in Deutschland in Kraftstoff umgewandelt werden könnte, auf 30 Millionen Tonnen. Daraus könnten immerhin fünf Millionen Tonnen Sprit hergestellt werden, also zehn Prozent des aktuellen Jahresverbrauchs. Die Produktionskosten sollen höchsten 100 Cent pro Liter betragen.

Im Trend: Pflanzen, die nicht als Lebensmittel dienen

Klassischer Biodiesel der ersten Generation, hergestellt aus Raps und anderen Ölpflanzen, ist zumindest hierzulande in Verruf geraten, weil er mit der Nahrungsmittelproduktion konkurriert. Außerhalb von Deutschland feiert er dagegen ein Comeback mit Rohstoffen, die nicht als Nahrungsmittel dienen. Vielversprechend sind ölhaltige Algen, die in Aquafarmen produziert werden, sowie Jatropha-Pflanzen, die ein für Mensch und Tier ungenießbares Öl produzieren.

Allein in den USA arbeiten mehr als ein Dutzend Unternehmen daran, Kraftstoff aus Algen zu gewinnen. Das funktioniert ebenso problemlos wie mit dem Rohstoff Rapsöl. Jedoch fehlt noch eine Technik, mit der die Algen in großen Mengen kostengünstig gezüchtet werden könnten. Großbehälter scheiden aus, da Algen nur wachsen, wenn sie genügend Licht haben.

Algen als Energielieferant der Zukunft. Quelle: dpa

Eine weitere Alternative zu Biosprit der zweiten Generation ist Biodiesel, der im Sonnengürtel der Erde aus der Jatropha-Pflanze gewonnen wird. Diese ölhaltige Frucht, auch Purgiernuss genannt, ist ungenießbar, zur Herstellung von Biodiesel aber bestens geeignet. Zudem braucht sie keine Pflege und wächst auch auf kargen Böden.

In Indien und einigen afrikanischen Ländern wird die Öl-Pflanze bereits in großem Stil angebaut. Schützenhilfe leistet dabei Klaus Becker, Jatropha-Experte der Universität Hohenheim in Stuttgart. Gemeinsam mit indischen Kollegen züchtet er sie weiter, um den Ernteertrag zu erhöhen. Unterstützt wird seine Forschung vom Daimler-Konzern, von Bayer sowie dem US-Unternehmen Archer Daniels Midland.

Jatropha-Pflanzen auf dem Vormarsch

Die Perspektiven sind gut: Heute wachsen nach einer Schätzung der Nichtregierungsorganisation Global Exchange for Social Investment (Nexsi) Jatropha-Pflanzen weltweit auf einer Fläche von einer Million Hektar. Daraus lassen sich im Jahr rund eine Million Tonnen Biosprit gewinnen. Bis zum Jahr 2015 könnte die Anbaufläche auf 13 Millionen Hektar anwachsen. Und erst bei 500 Millionen Hektar – dem Äquivalent von jährlich einer halben Milliarde Tonnen Biosprit – wäre die Obergrenze erreicht, schätzt Nexsi. In tropischen und subtropischen Regionen hätte Erdöl dann ausgedient.

Wenn die Biospritproduktion weltweit konsequent ausgebaut würde, ohne die Nahrungsmittelproduktion zu gefährden, könnte damit etwa die Hälfte des weltweiten Bedarfs gedeckt werden, schätzt Professor Martin Kaltschmitt vom Deutschen Biomasseforschungszentrum in Leipzig. Das ist für ihn allerdings eher ein theoretischer Wert. Denn dann bliebe für die Wärme- und Stromproduktion nichts mehr übrig.

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