Es wird Sommer und nicht jeder Kraftwerksdirektor sieht dieser Jahreszeit mit Gelassenheit entgegen. Nicht weil weniger Strom verbraucht wird und der Minderverbrauch die Meiler ausbremst, sondern weil Quallen, die sich immer stärker vermehren, in die Rohrsysteme der Kühlanlagen eindringen und dort einen Pfropfen bilden. Diese setzen dann das Kraftwerk Schach Matt. Deutsche Kraftwerke sind weniger betroffen, weil sie an Flüssen liegen, in die das Glibbergetier nicht vordringt. Aber weltweit haben viele Kraftwerke ihren Standort direkt am Meer, weil das Meerwasser das beste Kühlwasser ist. Doch die Abwärme, die durch das Rohrsystem ins Wasser geleitet wird, werden auch viele Wasserplagen geradezu magisch angezogen. Teilweise müssen die Kühlrohre aufgebrochen werden und die Quallenmasse mit Baggern herausgehoben werden. Eine kostspielige und vor allem eklige Angelegenheit.
So haben Quallen vor Monaten ein schottisches Kraftwerk außer Betrieb gesetzt. Gleich zwei Reaktoren des Atomkraftwerks Torness bei Dunbar an schottischen Südküste musste heruntergefahren werden, weil tausende von Quallen und auch Algen die Filtersysteme dichtmachten. Der Betreiber EdF-Energy war alarmiert und ließ aufwändige Fangnetze vor den Abwärmerohren installieren. Mit Schaufeln musste die gallerartige Masse weggeschafft werden. Im Atomkraftwerk Hinkley-Point im Südwesten Englands fand sich zwischen der Quallen-Algen-Mischung eine quietschlebendige Robbe, die dort auf Nahrungssuche war. Das AKW konnte erst nach Wochen wieder in Betrieb genommen werden. In Schweden passierte im vergangenen Jahr Ähnliches. Das Kernkraftwerk Oskarshamm 340 Kilometer südlich von Stockholm wurde im Sommer 2013 von einer Quallen-Invasion heimgesucht. Der Betreiber musste den 1400-Megawatt-Block abschalten. Und auch in Israel wurde ein Kraftwerksblock ausgebremst. Im Kraftwerk Hadera an der Mittelmeerküste setzten sich Quallenschwärme fest und bildeten einen festen Korken im Kühlsystem. „Wir wurden von Quallen angegriffen“, erklärte der blasse Kraftwerksdirektor dem örtlichen Fernsehen. Hadera wurde umgehend abgeschaltet.
Quallen haben zwar einen hohen Wassergehalt (95 Prozent), aber der Rest besteht aus einer gallertartigen Masse, aus denen das Verdauungssystem, der Schirm und die Fangarme bestehen. Als auf den Philippinen vor zehn Jahren ein Kraftwerk wegen einer Qualleninvasion ausfiel und eine nahegelegene Stadt ins Dunkle fiel, fürchteten die örtlichen Behörden schon einen Militärputsch. Pro Sekunden wurden 200 Tiere mit dem Kühlwasser angesaugt. Mit 50 Lastwagen wurden die Quallen dann zu einer Gift-Deponie abtransportiert. Zur Zeit werden neue Filtersysteme entwickelt, die der größer werdenden Quallenplage vor den Kraftwerken wirksam begegnen soll. Ob es funktioniert, wird der kommende Sommer zeigen.