EnBW Frank Mastiaux - Ein Mann für alle Fallen

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Misere ohne Ende

Wo die Energiewende besser funktioniert
Im internationalen Vergleich gibt es kaum ein zweites Land, das sich derart ambitionierte Ziele zur Umstellung seines Energiesystems gesteckt hat wie Deutschland. Daher existiert auch kein Gesamtkonzept, das als Blaupause für die deutsche Energiewende dienen könnte. Dennoch kann Deutschland von anderen Ländern lernen. Eine Studie von McKinsey im Auftrag von Siemens stellt Beispiele aus verschiedenen Ländern vor und zeigt, was davon in welchem Umfang auch in Deutschland erfolgreich umgesetzt werden könnte. Die Fallbeispiele beziehen sich auf die wesentlichen Elemente der deutschen Energiewende entlang der Energiewertschöpfungskette: Stromerzeugung, Verteilung oder Balancierung von Angebot und Nachfrage sowie Steigerung der Energieeffizienz. Quelle: dpa
Dänemark, Niederlande, Brasilien - Versteigerung von WindparksDer Ausbau von Solar und Windkraft wird die Regierung bis 2020 rund 30 Milliarden Euro kosten. Eine Möglichkeit, den Kostenanstieg zu drosseln, wäre eine Anpassung der Förderung, zum Beispiel durch Auktionierung von Windparkprojekten – wie in Brasilien, Dänemark oder den Niederlanden praktiziert. So kann erreicht werden, dass Windparks an windreichen Standorten mit einer geringeren Vergütung auskommen. Würden in Deutschland die infrage kommenden Windparkprojekte in Zukunft versteigert, könnten allein im Jahr 2020 rund 0,7 Milliarden Euro an Förderkosten eingespart werden. Quelle: dpa
China – bessere Nutzung von AbwärmeAbwärme lässt sich bei Temperaturen ab circa 300 Grad Celsius zur Stromerzeugung nutzen. In Deutschland gibt es unter anderem in der Zement- und Glasindustrie weitere Potenziale, die andere Länder beziehungsweise Pilotanlagen in Deutschland bereits nutzen: So wurden in China in den  vergangenen zehn Jahren knapp 30 Zementwerke mit entsprechenden Anlagen ausgestattet oder werden aktuell umgerüstet. Durch Nachrüsten der in Deutschland infrage kommenden Werke könnten hier im Jahr 2020 etwa 2 TWh Strom erzeugt und so eine Megatonne CO2 eingespart werden. Die Investitionen würden sich bereits nach rund drei Jahren amortisieren, so die Autoren der Studie. Quelle: REUTERS
Shanghai – bessere TransformatorenJetzt wird es technisch, aber im Grunde simpel. Transformatoren sind  für die Stromversorgung unverzichtbar, da elektrische Energie nur mittels Hochspannungsleitungen über weite Entfernungen wirtschaftlich sinnvoll transportiert werden kann; der Betrieb von Elektrogeräten ist aber nur mit Nieder- und Kleinspannung praktikabel und sicher. Transformatoren haben einen magnetischen Kern, meist Eisen, man kann aber auch so genannte amorphe Metalle verwenden. Sie haben bessere magnetische Eigenschaften und senken Übertragungsverluste im Netz.  In Shanghai konnten die Leerlaufverluste der ausgetauschten Transformatoren um 80 % reduziert werden konnten. Allein die Ausstattung der in Deutschland bis 2020 neu zu installierenden Transformatoren mit amorphen Kernen könnte die Übertragungsverluste im Stromnetz im Jahr 2020 um 0,2 TWh reduzieren. Dies entspricht der Stromproduktion von circa 65.000 Aufdach-Solaranlagen. Durch die Einsparungen  würden sich die erforderlichen Investitionen nach circa elf Jahren amortisieren. Quelle: dpa
Schweden – mehr WärmepumpenEine Wärmepumpe entzieht zum Beispiel dem Boden oder der Luft unter Aufwendung mechanischer oder elektrischer Energie thermische Energie und stellt diese zur Raumheizung zur Verfügung. Momentan sind in Schweden bei 9,5 Mio. Einwohnern 1 Mio. Wärmepumpen installiert, gegenüber circa  0,5 Mio. Wärmepumpen in Deutschland bei rund 81 Millionen Einwohnern. Der Ausbau zusätzlicher 0,7 Millionen Wärmepumpen in Deutschland bis 2020 würde zu einer Senkung des Primärenergiebedarfs um 18 PJ und zu einer Senkung der CO2-Emissionen um 0,6 Mt für das Jahr 2020 führen.Foto: "Tourismusverband Westschweden Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
USA – Stromnachfrage besser steuernDie Stromerzeugung aus Wind und Sonne schwankt wetterabhängig sehr stark. Das belastet das Netz. Die Schwankungen lassen sich durch eine flexiblere Stromnachfrage ausgleichen. Im Nordosten der USA hat man dazu einen Markt für temporäre Nachfragereduzierung geschaffen. Zu Spitzenzeiten reduzieren Stromkunden ihren Verbrauch freiwillig und erhalten hierfür eine Vergütung. Bei diesem Fallbeispiel wurde die Spitzenlast in einem Markt, der größer als der deutsche ist, um circa 8 % reduziert. Würde Deutschland in ähnlicher Weise allein seine industrielle Nachfrage flexibilisieren, könnten 2020 etwa 0,5 Milliarden Euro eingespart werden. Das entspricht den jährlichen Betriebskosten von zwei großen Kohlekraftwerken. Quelle: AP
Los Angeles – LED-StraßenbeleuchtungInternational hat eine Reihe von Städten den Austausch der klassisch verwendeten Natrium-Hochdrucklampen durch LED s vorangetrieben. In den USA installierte zum Beispiel Los Angeles von 2009 bis 2013 in 146.000 Ampeln und Straßenleuchten mit LED. Mit Investitionen von rund 45 Millionen Euro konnte eine Reduzierung des Stromverbrauchs von rund 60 % erreicht werden. Quelle: Presse

In seinem Job sei das Problem Politik doppelt schwierig, sinniert Mastiaux und wagt einen vorsichtigen Fingerzeig an die christdemokratisch und grün angehauchte Fraktion in seinem Aufsichtsrat. „Die Anteilseigner der Landesregierung im Aufsichtsrat trennen zwischen der Verantwortung für das Land und den parteipolitischen Farben.“ Er fordert das auch ein.

Ohne sich durchzulavieren, wird Mastiaux als EnBW-Chef kaum überleben. Dass er bisher kaum Windräder gebaut hat, relativiert er und meint: „Nicht alle baden-württembergischen Windräder müssen von EnBW errichtet werden.“ Mastiaux weiß zu gut, wie schnell er es sich mit einflussreichen Politikern verscherzen kann, wenn er mit Windrotoren die Augenweiden in Tourismusregionen stören würde.

Mastiaux hat es nicht leicht in Deutsch-Südwest. Er ist weder Württemberger noch Badener, er stammt aus dem Ruhrpott. Darum versucht er sich gar nicht erst auf Schwäbisch, noch viel weniger auf Berater-Denglisch. Stattdessen ist er bemüht, den kumpelhaften Typ zu geben, ansonsten aber Klartext zu reden.

Viel anderes bleibt Mastiaux auch nicht. Denn sein Handlungsspielraum ist ziemlich eng. 2011 verbuchte EnBW wegen der Abschaltung zweier Blöcke der Atommeiler in Neckarwestheim und Philippsburg schlagartig einen Verlust in Höhe von 900 Millionen Euro. Es folgte ein Jahr mit 2,3 Milliarden Euro Überschuss vor Zinsen, Abschreibungen und Steuern. Vor der Energiewende waren die Gewinne dreimal so hoch.

Und die Misere nimmt kein Ende. In den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 2013 brach der ohnehin schmale Gewinn um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein, weil EnBW nicht ausreichend Strom absetzen konnte. Besserung ist kaum in Sicht. Neben seinen beiden Atommeilern, die zum Auslaufen verdammt sind, verfügt Mastiaux noch über 43 Kohlekraftwerksblöcke, die allesamt unwirtschaftlich sind.

Das ist prekär, denn EnBW versorgt nicht das dünn besiedelte flache Land, sondern eines der industriellen Zentren Deutschlands mit mittelständischen Weltmarktführern und Großunternehmen wie Audi, Bosch oder Porsche. Gelingt der Ausstieg aus der Atomkraft nicht, ohne gleichzeitig für eine grüne und sichere Alternative zu sorgen, gefährdet Mastiaux die Jobs, die dem Ländle eine Spitzenposition in Deutschland beschert haben.

„Wir müssen rasch neue Erlösquellen erschließen“, doziert Mastiaux. Um das Vabanquespiel zu illustrieren, nimmt Mastiaux einen Kugelschreiber und skizziert mit schnellen Strichen die Gewinnentwicklung von EnBW bis 2020. Der Überschuss der konventionellen Kraftwerke vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen von 1,2 Milliarden Euro 2012 wird bis 2020 auf läppische 300 Millionen Euro zurückgehen. Die riesige Lücke von 900 Millionen sollen die erneuerbaren Energien schließen, die fast dreimal so viel Einnahmen bringen sollen, sowie Anlagen zur dezentralen Energieversorgung. So will es der grüne Kretschmann. Mastiaux wird kämpfen müssen, um das zu erreichen.

Als Nächstes heißt es aber, alles zu unternehmen, um wenigstens einem Teil seiner Kohle- und Gaskraftwerke eine Geschäftsgrundlage zu verschaffen: indem er die Bundesregierung überredet, den Meilern Einnahmen zu verschaffen, auch wenn sie nur als Reserve bereitstehen.

Wie, das hat Mastiaux vor der Wahl schon Kanzlerin Angela Merkel vorgetragen: Wer unsteten Ökostrom produziert, soll Zertifikate erwerben, um damit die fehlende Versorgungssicherheit bei Betreibern fossiler Kraftwerke auszugleichen. Ob die Regierungschefin und ihr neuer Wirtschafts- und Energieminister die Idee gut finden, wird die Neujustierung der Energiewende zeigen.

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