Energie Wie deutsche Traditionsunternehmen die Umwelttechnik entdecken

Siemens, Bosch, E.on: Großunternehmen, die mit grüner Energietechnik einst wenig anfangen konnten, investieren nun massiv. Sie beschleunigen Innovationen und treiben den Umbruch der gesamten Industrie voran.

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Windenergie liegt im Trend: Umspannstation des Nordsee-Windparks Alpha Ventus

Auf zweierlei können sich die rund 25.000 Bewohner der Äußeren Hebriden verlassen: auf das feuchtmilde Wetter und auf gewaltige Wellen. Manchmal erreichen die Brecher dort – fast 100 Kilometer nordwestlich von Schottland – eine Höhe von zehn Metern. Weniger als zwei Meter sind es nie. Damit sind die Inseln ideal für Wellenkraftwerke.

Das ebenso stetige wie starke Auf und Ab des Wassers macht sich nun der Essener Stromriese RWE zunutze. Über seine britische Tochter Npower Renewables beginnt der deutsche Energiekonzern dort in diesen Tagen mit dem Bau des Siadar Wave Energy Project. Es ist, mit einer Leistung von vier Megawatt, das bisher größte Kraftwerk der Welt, das die Energie der Wellen zur Stromproduktion nutzt.

Die Technik stammt vom Wasserkraft-Spezialisten Voith Hydro aus dem schwäbischen Heidenheim, einem Joint Venture von Voith und Siemens. Ein Prototyp des Kraftwerks, das die schottische Voith-Hydro-Tochter Wavegen entwickelt hat, liefert seit rund acht Jahren auf der schottischen Insel Islay Strom. Wenn das neue Kraftwerk auf den Hebriden betriebsbereit ist, lassen sich damit 1.500 Haushalte, rund ein Fünftel der Inselbevölkerung, mit Strom versorgen – kontinuierlich und vor allem deutlich umweltfreundlicher als Dieselgeneratoren.

Grüne Wasserkraft statt blauer Dieselschwaden – die neue Kraftwerkstechnik auf den Hebriden ist nur ein Beispiel für die Vehemenz, mit der deutsche Technologieunternehmen und Stromerzeuger derzeit auf den Spitzenplatz bei grüner Energietechnik streben. Ob Wellen-, Wind- und Sonnenenergie oder Biomasse – das Potenzial der erneuerbaren Energiequellen ist schier unerschöpflich. Und es gibt kaum ein Segment, in dem deutsche Unternehmen nicht die technische Entwicklung vorantreiben.

Grüne Energietechnik: Chance statt Risiko

Mittelständler und Spezialhersteller machen mit Innovationen im Zukunftsmarkt der grünen Energietechnik schon seit Jahren gute Geschäfte. Nun eifern ihnen große Anlagenbauer und international tätige Energieversorger nach. Lange hatten sie sich gegen den Einsatz erneuerbarer Energien gesperrt, weil diese wegen ihrer unregelmäßigen Verfügbarkeit die Versorgungssicherheit zu gefährden drohten.

Voith, wie Siemens seit Langem in der klassischen Wasserkraftwerkstechnik aktiv, hat bereits vor Jahren die neuen grünen Energietechnologien für sich entdeckt. So bauen die Heidenheimer außer auf den Hebriden unter anderem vor der südkoreanischen Küste gemeinsam mit der RWE-Umwelttochter Innogy ein Unterwasserkraftwerk, das die dortige Meeresströmung nutzt. Außerdem liefert Voith zentrale Komponenten – vor allem Turbinen – für zahlreiche Kraftwerke, die die Energie gestauten Wassers oder von Flüssen nutzen. Selbst im Geschäft mit Windenergieanlagen mischen die Schwaben inzwischen mit.

Dass grüne Energietechnik viel mehr Chance denn Risiko ist und dass Deutschland auf keinen Energieträger verzichten kann, auch nicht auf die erneuerbaren, gehört inzwischen zum Credo der gesamten Branche. „Für uns sind konventionelle Kraftwerke, Kernenergie und erneuerbare Energien keine Gegensätze, sondern gleichberechtigte Teile eines zukunftsfähigen, sicheren und wirtschaftlichen Energiemix“ sagt Hans-Peter Villis, Vorstandsvorsitzender des Karlsruher Versorgers Energie Baden-Württemberg (EnBW). „Wir planen, in den nächsten Jahren für jeden Euro, den wir in neue konventionelle Kraftwerke stecken, einen Euro in den Ausbau der erneuerbaren Energien zu investieren.“ So soll der Anteil des Stroms, den EnBW aus grünen Quellen gewinnt, bis zum Jahr 2020 von heute 11 auf 20 Prozent ansteigen.

Spitzenplatz für Energie (Zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Auch Siemens hat große Pläne. Bereits heute erwirtschaften die Münchner mit 19 Milliarden Euro rund ein Viertel ihres Umsatzes mit grüner Technologie – von Energietechnik bis hin zu umweltschonenden Motoren. Für 2011 peilt Vorstandschef Peter Löscher für dieses Geschäftsfeld 25 Milliarden Euro an. Einer von Löschers größten Hoffnungsträgern ist die in Bremen angesiedelte Konzerntochter Siemens Wind Power. Das Unternehmen ist durch Übernahme des dänischen Herstellers Bonus Energy und der deutschen AN Windenergie entstanden. Bei Offshore-Windparks gehört Siemens Wind Power inzwischen zu den Weltmarktführern.

Gerade die Stromerzeugung vor der Küste ist ein Geschäft mit riesigem Potenzial. Denn theoretisch reichte die Strommenge, die sich durch Kraftwerke im, am und auf dem Meer erzeugen ließe, aus, um den gesamten Weltenergiebedarf zu decken.

Für Siemens ist das Engagement bei erneuerbaren Energien eine Rückbesinnung auf alte Ideen. 2001 hatte das Unternehmen, das jahrelang weltgrößter Hersteller von Solarzellen und -modulen war, seine deutschen und amerikanischen Aktivitäten an Shell verkauft. Der Konzern sah in der Fotovoltaik keine Zukunft mehr. Eine Entscheidung, die der damalige Siemens-Forschungschef Hermann Requardt, heute Chef des Siemens-Bereichs Medizintechnik, im Rückblick kritisch sieht: „Das war im Nachhinein gesehen vielleicht nicht so geschickt.“

Umdenken bei Siemens und Bosch

Vielleicht sogar ein schwerer Fehler. Entsprechend energisch steuern die Verantwortlichen nun um. Vor wenigen Wochen beteiligte sich Siemens – im Bereich erneuerbare Energien lange nur noch als Lieferant von Turbogeneratoren und Leittechnik für Solarkraftwerke tätig – mit 28 Prozent an dem italienischen Unternehmen Archimede Solar Energy. Die Italiener stellen Spezialtechnik für Solarkraftwerke her, sogenannte Receiver. Darin wird Öl oder Luft durch Sonnenwärme erhitzt, die von unzähligen Spiegeln auf den Receiver konzentriert wird. Große Chancen hat die Technik vor allem in Spanien, Nordafrika, Nahost und in den USA, wo zahlreiche nahezu rund um die Uhr laufende Solarkraftwerke entstehen.

Auch branchenfremde Unternehmen wie der Elektronikkonzern Bosch setzen neuerdings große Hoffnungen in die Technik grüner Stromproduktion – als Brücke in die Zukunft. Vor knapp einem Jahr kauften die Stuttgarter für rund eine Milliarde Euro die Ersol Solar Energy, die Solarzellen und -module herstellt. Deren Geschäft will Bosch nun massiv ausbauen: Mehr als 500 Millionen Euro will der Konzern bis 2012 in die Produktionsanlagen im thüringischen Arnstadt investieren. 1.100 neue Arbeitsplätze sollen entstehen.

Wind drängt nach vorn (Zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Bosch verfolgt mit seinem Engagement zwei Ziele. Zum einen will das Unternehmen die Abhängigkeit von der Fahrzeugindustrie verringern. Während Bosch 2004 125 Millionen Euro mit erneuerbaren Energien umsetzte – nicht einmal ein halbes Prozent vom Umsatz –, war es im vergangenen Jahr bereits eine Milliarde Euro. Das sind gut zwei Prozent vom Umsatz.

Zum anderen sieht Bosch eine große Zukunft für Elektroautos, allerdings nur, „wenn wir die zusätzlich erforderliche Energie aus möglichst emissionsfreien Quellen beziehen“, so Siegfried Dais, stellvertretender Vorsitzender der Bosch-Geschäftsführung und unter anderem für Ersol zuständig. Die Thüringer produzierten 2008 Solarzellen mit einer Spitzenleistung von fast 150 Megawatt. Durch den Ausbau wird sich die Kapazität auf 630 Megawatt erhöhen.

Selbst Heizungshersteller setzen jetzt auf Solartechnik, wie etwa Stiebel Eltron. Das niedersächsische Unternehmen steckt rund 100 Millionen Euro in die Entwicklung und Produktion einer neuartigen polykristallinen Solarzelle. Die Forschungsarbeiten laufen am Institut für Solarenergieforschung in Hameln.

Anders als üblich sind bei den innovativen Modulen die Kontakte, über die der Solarstrom entnommen wird, auf der Rückseite befestigt, sodass die komplette Vorderseite zur Stromproduktion zur Verfügung steht. Damit steigt der Wirkungsgrad der Zellen um etwa ein Drittel auf mehr als 20 Prozent an. Eine so hohe Effizienz erreichen derzeit nur Solarzellen aus sehr viel teurerem einkristallinem Silizium.

Vaillant holt auf

Das Geschäft will sich auch der Stiebel-Eltron-Konkurrent Vaillant nicht entgehen lassen. Zwar setzte das Remscheider Unternehmen bisher primär auf Wärmepumpen und Solarkollektoren zur Warmwasserproduktion. Doch nun rücken auch bei Vaillant Solarzellen zur Stromerzeugung in den Fokus. Zudem hat das Unternehmen ein neues Bohrverfahren zur Erschließung von Erdwärme präsentiert.

Das GeoJetting genannte System wurde am Bochumer Geothermie-Zentrum entwickelt. Es arbeitet statt mit einem Bohrmeißel mit Wasser höchsten Drucks. „Das senkt die Bohrkosten um bis zu 30 Prozent“, sagt Ralf-Otto Limbach, Geschäftsführer der Vaillant Group.

Jüngster Coup: Gemeinsam mit Honda entwickeln die Remscheider ein Kleinkraftwerk, das im Keller von Ein- und Zwei-Familien-Häusern Strom und Wärme produziert. Gespeist wird es mit Methan, das künftig zu einem – wenn auch kleinen – Teil aus Biomasse gewonnen wird. Die Strategie zahlt sich aus. 2004 setzte Vaillant im Bereich erneuerbarer Energie 23 Millionen Euro um, 2008 waren es bereits 161 Millionen. Der Gesamtumsatz in Deutschland lag bei rund 400 Millionen Euro.

Wenig verwunderlich, dass angesichts solcher Geschäftspotenziale die meisten großen Unternehmen, die mit Energieerzeugung zu tun haben, nun mit Vehemenz in den boomenden Sektor drängen.

So bietet MAN Ferrostaal aus Essen, das seit Oktober vergangenen Jahres der Investmentgesellschaft Ipic aus Abu Dhabi gehört, gemeinsam mit dem Erlanger Unternehmen Solar Millennium den Bau solarthermischer Kraftwerke an. Mit der Aachener Solitem entwickeln die Essener Systeme zur Kühlung mit Sonnenenergie.Der Münchner Chiphersteller Infineon Technologies wiederum baut seine Produktion von Leistungshalbleitern aus, die den Strom aus Windenergieanlagen und Solarkraftwerken in Drehstrom umwandeln.Das Unternehmen a+f, in Würzburg ansässige Tochter des Werkzeugmaschinenherstellers Gildemeister, stellt Systeme her, die Solarzellen stets exakt auf die Sonne ausrichten, um den Ertrag zu maximieren.Schott Solar betreibt neben seinen Produktionsstätten für Solarzellen und -module bereits zwei Fabriken, in denen praktisch alle weltweit benötigten Absorberrohre hergestellt werden, in denen in solarthermischen Kraftwerken die Sonnenwärme eingefangen wird.Die österreichische General-Electric-Tochter Jenbacher entwickelt Motoren speziell zur Verbrennung von Biogas. Zu den Konkurrenten zählt der finnische Konzern Wärtsilä, der auch Motoren für einen Betrieb mit Pflanzenöl anbietet.

Einen ganz anderen Ansatz zur Nutzung erneuerbarer Energien verfolgt unterdessen das Unternehmen Phytolutions, das die Meeresforscherin Claudia Thomsen, der Unternehmer Stefan Rill und die JCBS Holding, eine Beteiligungsgesellschaft der Jacobs University Bremen, 2008 in Bremen gegründet haben.

Aquafarmen helfen, Kohlendioxid zu reduzieren

Auch Thomsen setzt auf Energie aus dem Wasser – wenn auch nur indirekt. Sie will Algen züchten und die Biomasse zur Energiegewinnung oder Treibstoffherstellung nutzen. Immerhin ist der Ertrag von Algen bei gleicher Produktionsfläche um bis zu 20-mal größer als bei Biomasse, die auf dem Land wächst. Nun geht es darum, kostengünstige Techniken zur Zucht und Nutzung in Aquafarmen zu entwickeln.

Algen binden Kohlendioxid. Zum Beispiel das in den Abgasen von Kraftwerken. Der Essener Energiekonzern RWE betreibt in Niederaußem bei Köln eine Forschungsanlage, in der Abgase aus dem dort laufenden größten Braunkohle-Kraftwerksblock der Welt zur Algenfütterung verwendet werden. Ähnliche Tests hat Meeresforscherin Thomsen bereits mit dem Düsseldorfer Energieversorger E.On an einem Steinkohlekraftwerk in Hamburg gemacht – und dabei erleichtert festgestellt, dass sich die Lebewesen nicht einmal durch Schadstoffe in den Abgasen abschrecken lassen.

„Algen“, freut sich Bernhard Fischer, Vorstandsmitglied von E.On Energie, über den vielseitigen Energieträger, „taugen eben nicht nur für Sushi.“

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