Richard Huber, 56, ist kein lauter, polternder Typ. Eher ruhig, bedacht, freundlich. So, wie man es sich für einen wünscht, der dafür sorgen soll, dass Strom und Gas zuverlässig ins Haus kommen. Im Kern ist das Hubers Job. Er ist Leiter des Betriebs bei Netze BW, dem Verteilnetzbetreiber in Baden-Württemberg, zuständig für rund 1350 Mitarbeitenden und über 7600 Kilometer Hochspannungsleitungen, knapp 28.000 Kilometer Mittelspannungsnetz, 60.000 Kilometer Niederspannungsleitungen, dazu Gasleitungen.
Zerreißt ein Bagger beim Graben aus Versehen eine Stromleitung, fällt irgendwo der Strom aus, dann sind es Hubers Leute in der 110-Kilovolt-Schaltleite hier in Esslingen am Neckar, die das sehen. Dann klingelt in der Zentrale ein Telefon, dann blinkt’s auf einem Bildschirm oder auf der großen Display-Wand, vor der die „Operatoren“ hier sitzen. Die wissen in so einem Fall genau, was zu tun ist, welche Techniker-Kollegen sie alarmieren müssen, um sofort auszurücken – im Hinterhof der Warte stehen weiße Transporter, manche mit Leiter auf dem Dach. Hubers Leute wissen auch, welche Leitungen sie im Ernstfall aus dem System nehmen müssen, per Mausklick.
„Angespannter war es nie“
Kleine Krisen, Bagger, Unwetter, das ist in Esslingen Alltag, Tagesgeschäft, Routine. Das kennen sie schon lange. Das können sie. Nur das, was jetzt auf sie zukommt, das ist neu, das kennen sie nicht: ein sehr besonderer deutscher Winter. Huber, der Elektroingenieur, hat seit 30 Jahren mit Netzen zu tun. Mal mit den großen Stromautobahnen, jetzt, seit Langem mit den Verteilnetzen vor Ort. Er ist krisenerprobt, mehr noch: Er ist auch Leiter des Notfall-Managements für Netze BW.
Im vergangenen Winter erst hat er für den Fall vorgesorgt, dass so viele Mitarbeitende an Corona erkranken, dass nicht mehr genügend da sind, um die Stromnetze zu überwachen und zu warten. Alles machbar. Aber jetzt? „Angespannter war es in meinem Berufsleben noch nie“, sagt er. Und: Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiere, werde „höher eingeschätzt als jemals zuvor“.
Seine Leute arbeiten derzeit nicht nur in Warten oder versuchen, kaputte Leitungen zu reparieren. Sie haben auch Termine in Städten und Gemeinden in der Region, sprechen vor, um für den Fall der Fälle vorzubauen, das bis vor Kurzem Unvorstellbare, dass in Deutschland über einen längeren Zeitraum Strom und Gas ausfallen. Sie kontaktieren Gemeinden, um Wärmehallen und Suppenküchen vorzubereiten und sicherzustellen, dass diese Zufluchtsorte mit Energie versorgt werden, wenn's drauf ankommt.
Er muss das Unvorstellbare vorbereiten
Wärmehallen? Suppenküchen? Im Ernst? Huber sagt, er selbst „tue sich schwer damit“, solche Katastrophenszenarien mit Deutschland zu verbinden. Aber sein Job sei es eben, dann möglichst vorbereitet zu sein, wenn das scheinbar Undenkbare geschehe. „Wir bereiten uns schon seit dem 24. Februar, dem Tag des Angriffs, auf alle Eventualitäten vor“, sagt Huber.
Geschäftsführer-Sitzungen, Krisenstäbe, das alles reiht sich seither in selbst für Huber ungekannter Dichte aneinander. Wenn die Bundesregierung, Robert Habeck, der Wirtschafts- und Klimaminister (Grüne) das große Ganze im Blick hat oder haben sollte, wenn die Politik den Rahmen für eine sichere Versorgung schaffen muss, für Kohlekraftwerke und – freilich umstrittene – Atomkraftwerke, dann sind es Leute wie Richard Huber, die mit diesen Gegebenheiten vor Ort umgehen, schauen müssen, wie weit sie damit kommen – und was zu tun ist, wenn es nicht reicht.
Enterprise und Gummibaum-Bürowirklichkeit
Huber führt in einen zweistöckigen Bürobau, gut gesichert von Stahlzäunen mit Stacheldraht obendrauf, von Kameras überwacht, an manchen Stellen auch mit Fenstern mit schusssicherem Glas. Hier ist die Leitstelle für die 110-Kilovolt-Leitungen untergebracht. In welchem Stockwerk, das darf man nicht schreiben. In einem anderen Stockwerk jedenfalls richten sie gerade ein Krisenzentrum ein. Zur Sicherheit. Die Leitwarte selbst ist eine Mischung aus Raumschiff Enterprise und deutscher Gummibaum-Bürowirklichkeit: Vorne das wandhohe Display mit den regionalen Schaltkreisen, dem Lastfluss-Diagramm und einer Ampel für die Blackout-Gefahr, die von den Kollegen von Transnet BW gespeist wird, dem Übertragungsnetzbetreiber.
Direkt vor der Wand, flankiert von mannshohem, grünen, nun ja, Büroschilf, stehen die Schreibtische der „Operatoren“, insgesamt knapp 30, die hier im Drei-Schicht-Betrieb wachen. Es sind freundliche, schwäbelnde Technik-Profis, die hier binnen Sekunden ganzen Orten den Strom abklemmen können. Ihre Festnetz-Telefone funktionieren auch, wenn der Strom hier ausfällt. Muss ja so sein. Ihr Job ist es nicht nur, im Notfall einzugreifen, sondern vor allem, den jeweils nächsten Tag zu planen, zu gucken: Wo kann es schwierig werden? Wo gibt es Baustellen? Wie wird das Wetter?