Der Energiekonzern E.ON hat im hart umkämpften deutschen Strom- und Gasvertriebsgeschäft zugelegt. „Wir haben im ersten Halbjahr netto über 50.000 Strom- und Gaskunden gewonnen“, sagte die Vorsitzende der Geschäftsführung von E.ON Energie Deutschland, Victoria Ossadnik, in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview. Nach Angaben des Branchenverbandes BDEW hierzulande rund 1280 Stromlieferanten und etwa 970 Gasvertriebsunternehmen, von denen viele überregional antreten, müssen auch klassische Versorger wie E.ON, die RWE-Tochter Innogy oder EnBW um jeden Kunden kämpfen.
„Die Erwartungen der Kunden ändern sich“, sagt die Managerin, die im Frühjahr von Microsoft Deutschland zu E.ON wechselte. „Versorgungssicherheit spielt eine immer größere Rolle, gerade auch nach den Insolvenzen einiger Anbieter in den vergangenen Jahren.“ Wenn ein Geschäftsmodell nur darauf basiere, billigeren Strom in einem Gebiet zu verkaufen, werde sich das nicht durchsetzen. Der Anspruch der Kunden sei heute ein anderer als noch vor drei, vier Jahren. Mit rund sechs Millionen Strom- und Gaskunden in Deutschland gehört E.ON zu den größten Energieunternehmen des Landes.
„Die Kunden wollen mehr als Strom“, erläutert die 50-Jährige, die auch schon für den Software-Konzern Oracle tätig war und beim Industriegasekonzern Linde im Aufsichtsrat sitzt. „Wir liefern nicht mehr nur Strom und Gas, sondern Produkte, die den Kunden Mehrwerte rund um Energie bieten, das Zuhause intelligent machen und für die dezentrale Energieversorgung rüsten.“ Dazu gehöre das ganze Thema Smart Home, begonnen bei intelligenten Rauchmeldern, über Solar- und Windanlagen bis zur Ladetechnik für Elektroautos.
Irrsinn oder Methode – Stromfirmen kassieren bei Einsparung
„Wir wollen den Kunden dabei helfen, Energie zu sparen.“ Was zunächst wie einer Widerspruch klingt („Stromversorger hilft Kunden dabei, das eigene Hauptprodukt nicht zu benötigen“), gehört inzwischen zum Geschäftsmodell vieler Anbieter, weil die Kundenwünsche sich in Richtung Nachhaltigkeit verändert haben. Und dies zahlt sich offenbar aus. Nach den Worten von E.ON-Chef Johannes Teyssen sind die Margen im Beratungsgeschäft für Energieeinsparung höher als in der Energieproduktion. E.ON will sich vermutlich auch deshalb auf das Geschäft mit dem Vertrieb von Strom und Gas, den Netzen und auf Kundenlösungen konzentrieren und aus der Produktion aussteigen. Mit der bis Ende 2019 geplanten Übernahme der Vertriebs- und Netzgeschäfte von Innogy wird der Konzern dabei zu einem europäischen Champion.
Im Vertriebsgeschäft überbieten sich viele Versorger mit Bonuszahlungen für Wechselwillige. Mehrere hundert Euro sind dabei keine Seltenheit. Auch E.ON ist dabei. „Wir sind auch in Vergleichsportalen“, sagt Ossadnik. Ziel sei es aber nicht, reine Schnäppchenjäger anzulocken, sondern die Kunden auf Dauer zu halten. Dazu gehörten auch Zusatzangebote wie Ladestationen für Elektroautos. „Unser nächster großer Wachstumsbereich wird die Elektromobilität sein.“ Die Kunst sei es, den jeweiligen Kunden über den passenden Weg zu begegnen und den entsprechenden Tarif zu bieten. Jüngere Leute wollten etwa von Strom aus Atom, Kohle oder Gas nichts mehr wissen. „Die jüngere Generation bis 35 will auf jeden Fall Ökostrom haben.“