Es wird die angespannte Beziehung zwischen Russland und der Ukraine weiter belasten: Der russische Energiekonzern Gazprom hat am Montag seine Erdgaslieferungen in das Nachbarland verringert. Zugleich warnte Gazprom davor, dass dies auch die Liefermenge nach Europa beeinflussen könnte.
Laut Gazprom hatte die Ukraine die Zahlung einer Tranche von rund zwei Milliarden Dollar für die vergangenen Gaslieferungen versäumt, deren Frist am Montag abgelaufen war. Wie so oft beschuldigen sich beide Konfliktparteien gegenseitig, die Verantwortung für die aktuelle Eskalation im Gasstreit zu tragen.
Die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas und Öl
Deutschland kann aus eigenen Quellen gut zehn Prozent seines Bedarfs decken. Der Rest wird überwiegend aus Norwegen (gut ein Viertel) und den Niederlanden (knapp ein Fünftel) geliefert. In unterirdischen Speichern wird im Regelfall der Bedarf für mindestens zwei Monate vorgehalten. Russland ist somit größter Lieferant beider Brennstoffe für Deutschland. Beim Gas bezieht auch die EU insgesamt rund ein Viertel ihres Verbrauchs aus Russland.
Die Hälfte des russischen Gases nimmt den Weg über die Ukraine. Da beide Länder schon häufig über Preise, Transitgebühren und Lieferungen stritten und zeitweise die Versorgung unterbrochen war, wurden in Europa Alternativen gesucht. So wurde die Pipeline Nord Stream, die von Russland über den Ostseegrund direkt nach Deutschland führt, gebaut. Sie ist nicht ausgelastet und könnte weiteres Gas aufnehmen, sollte über die Ukraine nicht mehr geliefert werden. Daneben strömt ein großer Teil des Brennstoffes auch über die Jamal-Pipeline über Weißrussland und Polen nach Deutschland.
Ein weiterer Weg wäre der Import von flüssigem Erdgas etwa aus dem Nahen Osten über Tanker nach Deutschland. In der Bundesrepublik gibt es aber kein Terminal zum Entladen. Auch eine Einfuhr etwa über Rotterdam spielt kaum eine Rolle.
Gas wird in Deutschland zum Heizen, für die Industrie und die Stromherstellung gebraucht. Letztere hat im Zuge der Energiewende an Bedeutung verloren, da die Kraftwerke durch Ökostrom-Anlagen verdrängt werden.
Daran ändert auch der Druck auf die Gaspreise weltweit nichts. Zwar steigt der Energiehunger in China und Indien. Auf der anderen Seite aber hat der Boom der Schiefergas-Gewinnung, dem sogenannten Fracking, die USA von Importen unabhängig gemacht. Das Land will nun sogar Gas ausführen. Auch die Ukraine wollte das Potenzial von Schiefergas nutzen und sich unabhängiger von Russland machen. Das erste Projekt zur Schiefergasförderung wurde Anfang 2013 zwischen der ukrainischen Regierung, dem Konzern Royal Dutch Shell und dem ukrainischen Partner Nadra geschlossen. Es geht um eine Fläche von der Größe des Saarlands. Der russische Gasmonopolist Gazprom hatte sich angesichts der Fracking-Konkurrenz zuletzt verstärkt bemüht, den Absatz nach Westeuropa zu sichern.
Russland ist auch Deutschlands größter Öllieferant. An Position zwei und drei liegen Großbritannien und Norwegen mit jeweils um die zehn Prozent. Auch Libyen, Nigeria und Kasachstan spielen ein Rolle. Gespeichert wird in Deutschland Öl für den Bedarf von mindestens 90 Tagen.
Der größte Teil des russischen Öls kommt über die Pipeline Druschba (Freundschaft) über Weißrussland und Polen ins brandenburgische Schwedt. Ein zweite Leitung führt über das Gebiet der Ukraine.
Öl wird als Treibstoff, für die Chemie, aber auch in vielen anderen Grundstoff-Industrien benötigt. Auch als Heizöl wird es in Deutschland oft eingesetzt. Der Preis ist nach jahrelangem Anstieg auf dem Weltmarkt etwas zurückgegangen. Die EU und Deutschland versuchen sich über den Einsatz von Biokraftstoffen und Elektroautos langfristig unabhängiger von Erdöl zu machen. Die Abhängigkeit bleibt aber für die kommenden Jahrzehnte hoch.
Trotz der möglichen lückenhaften Lieferungen aus Russland sieht die deutsche Politik die Gasversorgung nicht gefährdet. Schließlich verfügen wir hierzulande über die größten Gasspeicher Europas. Und die sind in Vorbereitung auf den anstehenden Winter bereits zu mehr als 90 Prozent gefüllt.
Nicht nur bei den Lieferungen, auch bei den Gasreserven ist Deutschland abhängig von Russland: Bereits ein Viertel der unterirdischen Gasbunker befindet sich unter Kontrolle russischer Unternehmen. Zwar betonen Regierung und Betreiber, die Versorgung sei gesichert. Doch das aktuellste Beispiel aus der Ukraine unterstreicht wieder, wie Russland Gas als politisches Druckmittel einsetzt.
Gazprom übernimmt Deutschlands größten Gasspeicher
Auch der größte deutsche Gasspeicher in Rehden bei Bremen ist bald in russischer Hand. Von dort aus könnten 2,2 Millionen Haushalte ein Jahr lang mit Gas versorgt werden. Im Zuge eines Tauschgeschäfts des bisherigen Betreibers BASF und Gazprom fällt Rehden an die Russen. BASF bekommt dafür Lizenzen zur Gasförderung in Sibirien. Abgeschlossen ist der Deal noch nicht, laut einem BASF-Sprecher soll es aber noch im Herbst so weit sein.
Die Opposition kritisiert das passive Verhalten der Bundesregierung bei dem Tauschgeschäft. „Damit können russische Staatskonzerne explizit gegen die Ziele der Versorgungssicherheit politischen Druck ausüben“, sagt der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Oliver Krischer. Mit einem Einschreiten der Politik ist nicht mehr zu rechnen: Die EU-Kommission hat den Deal bereits im Dezember 2013 abgesegnet.
An dem zweitgrößten Gasspeicher in Europa im österreichischen Haidach ist Gazprom mit einem Drittel beteiligt. Über Tochtergesellschaften und Beteiligungen halten die Russen Anteile an dem Speicher im ostfriesischen Etzel und der im Bau befindlichen Anlage in Peissen. Der Gasspeicher in Jemgum, ungefähr 50 Kilometer von Etzel entfernt, wird auch vollständig an Gazprom fallen.
Grund hierfür ist das Unternehmen Wingas, bislang ein Gemeinschaftsunternehmen der BASF-Tochter Wintershall und der Gazprom-Tochter Gazprom Germania. Der russische Konzern wird Wingas im Gegenzug für die Förderrechte in Sibirien vollständig übernehmen – und damit auch die Kontrolle über die Gasspeicher Rehden und Jemgum.
Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), hält den privaten Betrieb der wichtigen Gasreserven für problematisch. „Da haben wir im Krisenfall nicht die Möglichkeit, drauf zuzugreifen“, sagte Kemfert im ARD-Morgenmagazin. „Gerade in Krisenzeiten macht es Sinn, dass man auch über die Gasspeicher verfügen kann.“