Energiespeicher Wie der Strom auf Abruf funktioniert

Die Umstellung auf Ökostrom funktioniert nur mit Langzeitspeichern. Überall auf der Welt entwickeln Forscher spektakuläre Lösungen. Eine Rundreise zu Lande, zu Wasser und unter Tage.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Spektakuläre Stromspeicher für Flauten bei der Erzeugung von Ökostrom. Quelle: Illustration: Ilona Burgarth

Jochen Bards Revier ist eigentlich die raue See. Für den Atlantik und die Nordsee hat der Leiter des Bereichs Energieverfahrenstechnik am Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) schon schwimmende Windräder konzipiert. Aber in diesen Tagen hält sich der Brillenträger mit den markanten Geheimratsecken häufig weitab des Meeres auf, gehüllt in eine wärmende Windjacke. Und das ausgerechnet für das vielleicht spannendste Projekt seiner mehr als 20-jährigen Forscherkarriere. Am Bodensee, vor der Kulisse der Alpen, arbeitet der Ingenieur an Gewaltigem: riesigen Betonkugeln, die einmal genügend Strom speichern können sollen, um Großstädte tagelang mit Strom zu versorgen.

Für den ersten Modellversuch bietet der Bodensee ideale Bedingungen. 100 Meter Wassertiefe, berechenbares Wetter, überschaubare Logistikkosten: Später dann sollen die Kolosse auf dem Meeresgrund stehen.

Am 9. November ging es los: Ein Ponton, eine Art überdimensionales Floß, transportierte die 20 Tonnen schwere Kugel vom Ufer aufs Wasser, Arbeiter ließen sie an massiven Eisenketten langsam hinab. Die Technik ist Neuland: „Da werden die Hände schon einmal kurz feucht“, sagt Bard. Doch alles lief glatt. Inzwischen ist die Kugel, die wechselweise leergepumpt wird und wieder mit Wasser vollläuft und dabei über Generatoren Elektrizität produziert, an das örtliche Stromnetz angeschlossen.

Eine Rundreise der Ökostrom-Langzeitspeicher
Nordsee, Norwegen Quelle: Illustration: Ilona Burgarth
Bottrop, Deutschland Quelle: Illustration: Ilona Burgarth
Nevada, USA Quelle: Illustration: Ilona Burgarth
Toronto, Kanada Quelle: Illustration: Ilona Burgarth
Swansea, Wales Quelle: Illustration: Ilona Burgarth
Hamburg, Deutschland Quelle: Illustration: Ilona Burgarth

Die IWES-Forscher sind nicht die Einzigen, die auf ungewöhnlichen Wegen ein großes Problem der Energiewende lösen wollen. Der Ausbau der Erneuerbaren schreitet voran: Schon 2040 stellen Wind und Sonne global 42 Prozent der installierten Leistung von rund 13.000 Gigawatt (GW), schätzen Analysten von Bloomberg New Energy Finance. Umso mehr Speicher werden dann benötigt, um die Zeiten zu überbrücken, in denen der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Den Berechnungen zufolge werde 2040 eine Speicherkapazität von fast 1100 GW benötigt gegenüber 128 GW heute, um ein stabiles Stromnetz zu haben. Notwendige Investitionen: rund 250 Milliarden Dollar.

Kein Wunder also, dass sich etablierte Unternehmen ebenso wie Start-ups und Forscher mit Nachdruck auf die Entwicklung neuer Speichertechnologien stürzen. Die kühnsten und aussichtsreichsten Projekte sind von Kalifornien über Toronto bis Swansea über die ganze Welt geplant. Teils stehen sie noch auf dem Papier, teils werden sie schon erprobt. Ein Blick in die Zukunft der Elektrizität auf Abruf.

Windkraftakku am Meeresgrund

Was die IWES-Ingenieure um Bard am Bodensee einem Härtetest unterziehen, basiert auf einer Erfindung zweier deutscher Professoren. Wäre es nicht genial, dachten sich Horst Schmidt-Böcking von der Frankfurter Goethe-Universität und Gerhard Luther von der Uni Saarbrücken, den Strom von Windrädern, der gerade nicht benötigt wird, zu nutzen, statt die Rotoren abzustellen?

Ihre Idee: Hohlbälle mit Wasser gefüllt, die am Meeresboden liegen und über Stromleitungen mit den Windrädern verbunden sind. Deren Rotoren drehen weiter, auch wenn Energieüberschuss herrscht, und pumpen die Kugeln leer. Herrscht hingegen Mangel an Energie, könnte das Wasser mit großer Kraft über Turbinen zurück in die Kugeln schießen und dabei Strom erzeugen, auch wenn gerade kein Wind weht.

Die ersten Wochen haben bewiesen: Das Prinzip funktioniert. Laut Bard könnte eine Kugel von 30 Metern Durchmesser später einmal bis zu 100.000 Menschen zuverlässig mit Ausgleichsenergie versorgen. In Tiefen von 600 Meter und mehr zu Kosten von „deutlich unter zehn Cent je Kilowattstunde“, so Bard, weil der Druck der Wassersäule die Turbinen dann besonders schnell rotieren lässt. Global hat er für die Technik eine Gesamtspeicherkapazität von 893 Terawattstunden errechnet – rund die Hälfte mehr, als Deutschland im Jahr verbraucht.

Bard plant, bis 2020 mit dem Projektpartner Hochtief eine erste Testkugel auch im Meer zu versenken. Geeignet wäre zum Beispiel der Graben vor der Südwestküste Norwegens. Dann wäre der Ingenieur zurück in seinem Revier.

Großspeicher unter Tage

In Nordrhein-Westfalen träumt der grüne Umweltminister Johannes Remmel derweil davon, die Steinkohlezeche Prosper-Haniel in Bottrop nach der Schließung Ende 2018 in ein Untertagekraftwerk umzubauen, das 450.000 Haushalte mit Strom versorgen soll. Eine Machbarkeitsstudie hat ergeben, dass dies prinzipiell geht. Auf dem Gelände, so der Plan, soll ein künstlicher See entstehen. Wird Energie gebraucht, stürzen seine Wassermassen durch einen Schacht 600 Meter tief über Turbinen in ein Unterbecken und produzieren dabei Strom. Zu Zeiten, in denen zu viel davon im Netz ist, wird das Wasser hochgepumpt.

Quelle: Bloomberg New Energy Finance

Die Kosten von 250 bis 300 Millionen Euro für den unterirdischen Großspeicher lägen laut Remmel nicht höher als bei klassischen, rein oberirdisch betriebenen Pumpspeicher-Kraftwerken. Doch wegen der geringeren Eingriffe in die Natur sei die Akzeptanz in der Bevölkerung höher, glaubt der Grünenpolitiker. Wie der Duisburger Professor für Wasserbau und Gutachter André Niemann sieht er die weltweit einmalige Technik schon als Verkaufsschlager. „Sie würde enorme Strahlkraft für den Export entfalten.“

Zug-Power vom Hügel

Auf weltweite Aufmerksamkeit setzen auch die Manager des 2010 gegründeten Start-ups Advanced Rail Energy Storage (Ares) in Santa Barbara, 9000 Kilometer von Deutschland entfernt an der kalifornischen Pazifikküste. Ihr ziemlich verrückt klingendes Speicherkonzept: Elektroloks sollen mit überschüssigem Strom aus Solarkraftwerken tonnenschwere Güterzüge auf parallelen Gleisen mehrere Kilometer einen lang gestreckten Hügel hochziehen. Bei großer Nachfrage rollen die Loks talwärts, und ihre Generatoren speisen Strom ins Netz.

So weit sind andere Länder mit der Energiewende
Windrad Quelle: dpa
Eiffelturm in Paris Quelle: dpa
Brüssel Quelle: dpa
Bern Quelle: REUTERS
Prager Burg Quelle: dpa
Bratislava Quelle: dpa
Istanbul Quelle: Fotolia

Ares-Chef Jim Kelly, ein erfahrener Elektroingenieur mit forschem Kinnbart und 38-jähriger Berufserfahrung beim US-Energiekonzern Edison International, beteuert, sein Experiment sei äußerst seriös und schätzt, dass sein System die Kilowattstunde um rund 40 Prozent billiger anbieten kann als herkömmliche Pumpspeicherkraftwerke. Die Behörden in Kaliforniens Nachbarstaat Nevada teilen Kellys Zuversicht und haben neulich grünes Licht für ein erstes 55-Millionen-Dollar-Projekt in dem Wüstenland gegeben. Der Baustart ist Mitte nächsten Jahres.

Ballons unter Druck

Auf dem nordamerikanischen Kontinent, weit oben im kanadischen Toronto, verdient ein anderer Speicherrevolutionär schon Geld mit seiner Innovation. Am Grund des Lake Ontario hat Hydrostor-Chef Curtis VanWalleghem für das Energieunternehmen Toronto Hydro ein rundes Dutzend Ballons befestigt. Ist Strom billig, blasen Kompressoren sie auf; sind die Preise hoch, entweicht die Luft unter dem Druck des Wassers und treibt einen Stromgenerator an. „Dank der Preisdifferenz ist das ein sehr lohnendes Geschäft“, erläutert der jugendliche Hydrostar-Boss potenziellen Kunden, die er am liebsten hemdsärmelig an dem See herumführt.

Die größten Windkraft-Konzerne der Welt
Platz 15: Dongfang (China) Unter den 15 führenden Windkraft-Konzernen der Welt befinden sich gleich acht Unternehmen aus China. Das Reich der Mitte will mit sauberem Windstrom den Smog aus den Städten pusten. Im jüngsten Fünfjahresplan der Staatsregierung wird Klima- und Umweltschutz weiter forciert – mit hohen Förderungen für erneuerbare Energien. Einer der größten Profiteure dieser Entwicklung ist laut Berechnungen der Marktforschungsfirma FTI Consulting der Energiekonzern Dongfang.Marktanteil: 2,35 Prozent. Quelle: REUTERS
Platz 14: XEMC (China) Der Boom der Erneuerbaren Energien in Fernost nützt auch dem chinesischen Unternehmen XEMC. Der Elektrokonzern kaufte 2009 die niederländische Energiefirma Darwind und sicherte sich so wertvolles Know-how für die Herstellung von Windturbinen, der wichtigsten Komponente von Windkraftanlagen.Marktanteil 2,43 Prozent.   Quelle: REUTERS
Platz 13: Nordex (Deutschland) Rekordumsatz, sprudelnde Gewinne, volle Auftragsbücher: 2015 war für Nordex das beste Jahr in der Unternehmensgeschichte. Kern des Erfolgs der Hamburger sind sogenannte Schwachwindturbinen, die selbst in jenen Regionen noch sichere Erträge versprechen, in denen eigentlich kaum Wind weht. Mit einem Umsatz von 2,4 Milliarden Euro, 3300 Mitarbeitern und weltweit rund 7000 installierten Windkraftanlagen ist Nordex der viertgrößte deutsche Turbinenhersteller. Im globalen Ranking heißt das Platz 13. Aber die Hamburger könnten dank der Fusion mit dem spanischen Konkurrenten Acciona schon bald wieder in die Top-10 aufsteigen.Marktanteil: 2,73 Prozent. Quelle: dpa
Platz 12: Sewind (China) Die Windsparte des chinesischen Staatskonzerns Shanghai Electric produziert in zwei Fabriken jährlich mehr als 3000 Windräder. Besonders erfolgreich ist das Unternehmen mit seinen Anlagen auf hoher See. Im Segment Offshore-Wind zählt Sewind zu den fünf größten Herstellern. In Deutschland sind die Chinesen zudem am Maschinenbauer Manz AG beteiligt.Marktanteil: 3,10 Prozent.   Quelle: dpa
Platz 11: Senvion (Deutschland) In Europa, in den USA und in Kanada ist Senvion, Deutschlands drittgrößter Windkraftkonzern, bereits stark vertreten. Weil sich das globale Wachstum aber immer stärker in Richtung Schwellenländer verlagert, mussten die Hamburger ihre Strategie ändern. Um Geld für die Eroberung neuer Märkte einzusammeln, wagte sich Senvion 2016 in Frankfurt an die Börse. Der Sprung aufs Parkett klappte aber erst im zweiten Anlauf – das Geschäft mit grüner Energie ist eben längst kein Selbstläufer mehr.Marktanteil: 3,36 Prozent. Quelle: dpa
Platz 10: CSIC Haizhuang (China) Weltweit wurden noch nie so viele Windräder errichtet wie 2015. Fast die Hälfte der neu installierten Leistung von rund 63 Gigawatt entfällt dabei auf den chinesischen Markt. Weil in Fernost vornehmlich heimische Firmen wie CSIC Haizhuang zum Zug kommen, prägen die Chinesen zunehmend den Weltmarkt. Marktanteil: 3,41 Prozent. Quelle: dpa
Platz 9: Mingyang (China) Mehr als 99 Prozent ihrer errichteten Windräder haben chinesische Firmen 2015 in ihrer Heimat ans Stromnetz angeschlossen. Mingyang ist da keine Ausnahme – ebenso wie…Marktanteil: 3,50 Prozent. Quelle: PR

Als die Vordenker anfangs ihre Idee vorstellten, hätten viele sogenannte Experten mit den Augen gerollt, berichtet VanWalleghem. „Inzwischen nehmen sie uns ernst.“ Erst vor wenigen Wochen ist der global tätige Infrastruktur-Ingenieurdienstleister AECOM eine Partnerschaft mit Hydrostor eingegangen. Das Ziel: die internationale Vermarktung der Technologie.

Kraft der Gezeiten

Das weltweit ambitionierteste Projekt für grünen Speicherstrom plant das Unternehmen Tidal Lagoon Power in den Gewässern rund um Großbritannien. Es soll, so seine Befürworter, nicht nur sauberen Strom billiger als das geplante neue Atomkraftwerk Hinkley Point C liefern – die Megawattstunde für 65 statt gut 92 Britischen Pfund. Sondern fast ebenso konstant und überdies den Menschen in den betreffenden Küstenregionen Tausende neue Jobs bescheren, verspricht Firmenchef Mark Shorrock. Jeden Tag rechnet er nun damit, dass die britische Regierungschefin Theresa May den Bau eines 1,3 Milliarden Pfund teuren Prototypen in der Swansea-Bucht vor der walisischen Küste genehmigt.

Die besten Heimakkus - unter 5 kWh Kapazität

Die Tidal-Ingenieure wollen einen Teil der Bucht mit einem neun Kilometer langen Damm vom Atlantik abtrennen. Bei Flut strömt sein Wasser durch ein Maschinenhaus mit 16 Turbinen in die Lagune und bei Ebbe zurück. 14 Stunden lang produziert das Gezeitenkraftwerk so zuverlässig Strom. Wenn alles klargeht, soll es von 2019 an 155.000 Haushalte versorgen. Sechs Anlagen sind geplant. Sie könnten acht Prozent des britischen Strombedarfs decken.

Wärmelager für Windstrom

In Hamburg sind die Bagger angerückt. Dort wollen der Münchner Technologiekonzern Siemens und die Hamburg Energie das Angebot an Windstrom verstetigen, indem sie einen Teil in Wärme umwandeln. Diese soll in einem bestens isolierten Speicher bei Temperaturen von 600 Grad Celsius unter einer Steinschüttung vorübergehend aufbewahrt werden. Über eine Dampfturbine wird die Wärme dann wieder zu Strom.

Die besten Heimakkus - über 5 kWh Kapazität

Nach erfolgreichen Testläufen entsteht auf dem Gelände der Aluminiumhütte Trimet im Stadtteil Altenwerder derzeit ein erster vollständiger thermischer Speicher, der von kommendem Frühjahr an bis zu 36 MWh an Energie aufnehmen können soll. Siemens-Projektleiter Till Barmeier beschwört vor allem die hohe Wirtschaftlichkeit der Technologie, ohne allerdings konkrete Zahlen zu nennen.

Sonne im Tank

Der letzte Abstecher führt nach Dänemark. Das ehrgeizige Land will spätestens 2035 Wärme und Elektrizität zu 100 Prozent aus regenerativen Quellen beziehen – Speicher sind da ein Muss. Unter der industriellen Federführung der französischen Air Liquide errichtet es gerade in der norddänischen Handelsstadt Hobro am Mariagerfjord die größte Windgasanlage Europas. Rund 15 Millionen Euro nehmen die Beteiligten dafür in die Hand.

Sie wollen beweisen, dass die Umwandlung von Wasser per Elektrolyse in Wasserstoff oder unter Zugabe von Kohlendioxid (CO2) in Methan ein tragfähiges Geschäftsmodell ist. Der große Vorteil dieser Speicher: Die chemischen Grundstoffe können bei ausreichender Produktionskapazität in Strom zurückverwandelt werden oder als Kraftstoff Autos antreiben. Im emsländischen Werlte betreibt zum Beispiel Audi mit dem Anlagenbauer Etogas eine solche Anlage.

Kommt die Suche nach dem idealen Speicher für die Energiewende nicht etwas unkoordiniert daher? Bloomberg-New-Energy-Finance-Gründer Michael Liebreich sieht in der Vielzahl der Projekte kein Problem – im Gegenteil. „Wir brauchen alle Lösungsansätze, damit die Lichter niemals ausgehen“, sagt er.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%