Energieversorger Der Bluff mit den steigenden Strompreisen

 Als Grund für Preisanstiege nennen die Stromversorger gleichlautend die gestiegenen Beschaffungskosten. Aber stimmt das überhaupt? Die Zweifel an der Erklärung wachsen. Quelle: dpa

Viele Kunden müssen wegen Preiserhöhungen mehr für Strom zahlen – oft 60 Euro im Jahr. Angeblich wegen steigender Beschaffungskosten. Nur erklärt deren Anstieg allenfalls eine halb so hohe Preiserhöhung.

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Solche Briefe trudelten zum Jahreswechsel bei vielen Haushalten ein: Zum 1. Februar 2019 müsse man den Strompreis anheben, teilte der Anbieter Greenpeace Energy seinen Kunden im Dezember 2018 mit. Grund dafür: steigende Beschaffungskosten, etwa an der Strombörse. „Im letzten Jahr sind diese Börsenpreise stark gestiegen – von Oktober 2017 bis Oktober 2018 um fast 60 Prozent.“ Zwar kaufe der Ökostromanbieter seinen Strom gar nicht an der Börse ein. Aber kein Kraftwerksbetreiber verkaufe seinen Strom unterhalb des Börsenniveaus. Daher „müssen auch wir mehr für Strom aus sauberen Kraftwerken bezahlen“, schrieb das Hamburger Unternehmen. Jüngst gab in der Berliner Hauptstadt der lokale Grundversorger Vattenfall bekannt, die Preise zum 1. Juni anzuheben: um 4,5 Prozent in der Grundversorgung, einer Art Basisstromtarif. Auch er berief sich auf die steigenden Preise an der Energiebörse.

Steigende Strompreise – überall in Deutschland. Mit 29,42 Cent je Kilowattstunde (kWh) hätten die von Privathaushalten gezahlten Strompreise im Frühjahr einen neuen Höchststand erreicht, teilte das Vergleichsportal Verivox Ende März mit. 2018 hätte der Preis laut Verivox im Schnitt 27,82 Cent betragen. Bereits im Januar, Februar und März hätten rund zwei Drittel der 826 Grundversorger, also etwa die lokalen Stadtwerke, die Preise erhöht – im Schnitt um fünf Prozent. Ein Drei-Personen-Haushalt mit einem Verbrauch von 4000 kWh müsse dann etwa 60 Euro mehr pro Jahr zahlen. Für April und Mai hätten über 60 weitere Grundversorger Preisanhebungen angekündigt, ebenfalls um rund fünf Prozent. „Der Anstieg wird sich auch in den kommenden Monaten weiter verfestigen“, erwartet Valerian Vogel, Energieexperte bei Verivox. Als Grund für die Preisanstiege nennen die Versorger gleichlautend die gestiegenen Beschaffungskosten.

Aber stimmt das überhaupt? Die Zweifel an der Erklärung wachsen. Zwar sind die Beschaffungskosten tatsächlich gestiegen, aber längst nicht so stark, dass sie die Preisanstiege erklären könnten. Nur eine etwa halb so hohe Preiserhöhung lässt sich über die höheren Ausgaben der Stromversorger begründen. Und Verbraucherschützer weisen daraufhin, dass die Anbieter in früheren Phasen mit sinkenden Beschaffungskosten die Vorteile auch nicht an die Kunden weitergereicht hätten. Der Verdacht drängt sich auf, dass sie ihre Marge auf Kosten der Kunden ausweiten wollen.

Zahlen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zeigen, wie stark die Ausgaben der Versorger zuletzt gestiegen sind. Demnach haben die Kosten für Beschaffung und Vertrieb 2019 zwar um 10,6 Prozent angezogen, doch sie machen nur gut 20 Prozent des Strompreises aus. Auf eine Kilowattstunde umgerechnet entspricht dies einem Plus von 0,66 Cent. Steuern, Abgaben und Umlagen sind leicht gesunken (-0,2%), die Netzentgelte um 1,4% gestiegen. Unter dem Strich ergibt sich so ein Anstieg um 0,75 Cent je Kilowattstunde – ein prozentualer Anstieg um 2,5 Prozent. Selbst im längerfristigen Rückblick, also zu 2017, lässt sich nur ein Preisanstieg von 3,2 Prozent erklären.

Für einen Privathaushalt heißt das: Bei 4000 kWh dürfte die Stromrechnung dieses Jahr eigentlich nur um 30 Euro steigen. Tatsächlich wollen die Stromanbieter aber 60 Euro mehr haben. Und das, obwohl die Strom-Großhandelspreise seit Herbst 2018 sogar wieder etwas gesunken sind. Regional können sich noch Unterschiede ergeben. Beispiel Berlin: Dort sind die Netzentgelte – also die Gebühren für die Nutzung der Stromnetze, die Versorger den Kunden weiterreichen – 2019 nicht gestiegen, sondern leicht gesunken. Ein Haushalt mit 4000 kWh Stromverbrauch sollte daher eigentlich nur etwa 25 Euro mehr im Jahr zahlen müssen. Tatsächlich aber fordert Vattenfall in der Grundversorgung nun 54 Euro zusätzlich – mehr als das Doppelte.

Eigentlich gilt der Strommarkt als hart umkämpft. Der Wettbewerb sollte dazu führen, dass Anbieter keine überhöhten Preise verlangen können. Doch das stimmt nur begrenzt. Nach den aktuellsten Zahlen der Bundesnetzagentur beziehen nur 31 Prozent aller Haushalte ihren Strom von einem anderen Anbieter als dem lokalen Grundversorger. 69 Prozent sind also Kunden bei ihrem Stadtwerk. Knapp 28 Prozent aller Haushalte sind dort sogar im Grundversorgungstarif, der meist besonders teuer ist. Die Wechselquote sei zuletzt nur leicht gestiegen, merkt die Bundesnetzagentur an. Dabei lohne der Wechsel für Haushalte.

„Die meisten Verbraucher haben keine Lust, sich um ihre Stromtarife zu kümmern. Leider nutzen noch immer zahlreiche Anbieter diese Tatsache und berechnen ihren treuen Kunden mehr als neuen Kunden“, sagt Arik Meyer vom Berliner Start-up SwitchUp. Es will sich für Kunden um den Stromanbieter-Wechsel kümmern und fortlaufend darauf achten, einen günstigen und fairen Stromtarif auszuwählen. Denn ein günstiger Preis allein muss dem Kunden noch nicht nutzen. Aufsehenerregende Pleiten, wie zu Jahresbeginn beim Discount-Stromanbieter BEV, dürften einige Haushalte davon abschrecken, den Anbieter zu wechseln. Tarifoptimierer – wie SwitchUp oder auch das Hamburger Start-up Wechselpilot – hatten die BEV wegen einiger Auffälligkeiten schon früh aussortiert. Gängige Vergleichsportale, wie Verivox und Check24, hielten hingegen noch bis kurz vor der Pleite am Anbieter fest und vermittelten ihm Kunden.

Die Tarifoptimierer wollen von den aktuell steigenden Strompreisen nun profitieren und mehr Kunden überzeugen. „Vor allem in Zeiten steigender Strom- und Gaspreise möchten wir Verbrauchern eine Lösung anbieten, mit der sie Kosten sparen können“, sagt Maximilian Both, Gründer und Geschäftsführer von Wechselpilot. Dabei solle der Aufwand für den Kunden minimal bleiben, so das Versprechen. Wechselpilot berechnet den Kunden 20 Prozent Gebühr auf deren Ersparnis durch den Anbieterwechsel. SwitchUp ist für Kunden kostenlos, finanziert sich aus Provisionen der Anbieter. Grundsätzlich könnte dies zu einem Interessenskonflikt führen, weil SwitchUp keinen Anreiz hätte, Anbieter auszuwählen, die keine Provisionen zahlen. Das Start-up gibt aber an, auch solche Anbieter auszuwählen, wenn sie sich für den Kunden am besten eignen. Zudem bietet es Kunden eine kostenlose rechtliche Unterstützung, sollte es Probleme mit dem Anbieter geben.

Die jüngsten Preiserhöhungen und deren fragwürdige Begründung dürften den Tarifoptimierern neuen Zulauf bescheren.

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