Energieversorger Grün und erfolgreich? Wie will E.On das schaffen, Herr Birnbaum?

Seit April ist Leonhard Birnbaum E.On-Chef. Quelle: imago images

Auf dem Kapitalmarkttag präsentiert erstmals der neue Chef des Energieriesen E.On die Strategie. Ins Grüne soll's gehen, klar. Und hoch hinaus, auch klar. Nur: Wo genau soll das Wachstum herkommen?

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Grün, grün, grün sind alle meine Farben. Grün, grün, grün, ist alles, was ich hab‘. Darum lieb‘ ich, alles, was so grün ist, weil mein Schatz (m/w/d) ein Energieversorger ist. So oder so ähnlich könnten, in leichter Abwandlung des Kinderlieds, ganze Chöre von Vorstandsvorsitzenden, PR- und Marketingexperten derzeit singen.

Denn nie war die erklärte Liebe zum Grünen und zum künftigen grünen Geschäft größer, auch in der Energiewirtschaft. In der vergangenen Woche erst präsentierte RWE-Chef Markus Krebber seine Strategie für den geplanten Wandel vom Schmuddelkind zum Vorzeige-Klimaschützer. Nun ist Krebbers Essener Nachbar Leonhard Birnbaum dran. Seit April ist Birnbaum E.On-Chef. Gut sieben Monate hatten er und sein Team Zeit, die Zukunftspläne festzuzurren. Jetzt ist Showtime und Ex-McKinsey-Berater Birnbaum erläutert das erste Mal aus eigener Verantwortung, wo er den Konzern in den nächsten Jahren genau hinführen will. Damit ist das sein erster Gipfel – das erste Mal steht er ganz oben und zeigt den Weg durch Täler und Höhen. Unklar ist lediglich, wie hoch dieser Gipfel bei E.On liegt: Ist es ein Hügel, ein Mittelgebirge, oder ein Achttausender?

Das mit dem Gipfel und der Bergsteigerbegrifflichkeit mag als Bild etwas abgegriffen und überstrapaziert erscheinen. Aber in Birnbaums Fall trifft es den Sachverhalt. Denn der 54-Jährige ist nicht nur ein drahtiger Bergsteiger voller bisweilen etwas nervös wirkender Energie. Nein, auch E.Ons jüngst gestartete Marketing-Kampagne setzt voll auf die Berge, auf Emporkommen und den Schutz der Natur. E.Ons wichtigstes Marketing-Gesicht ist dabei kein geringerer als Reinhold Messner höchstpersönlich, der sagenumwobene Südtiroler, einer, der die Welt kennt, die Berge, die Härten – und für die Grünen sogar schon mal im Europaparlament saß.

Mit Messner hat Birnbaum nicht nur die italienische Staatsbürgerschaft gemein, sondern auch die Leidenschaft für die Berge. In einem bemerkenswerten „FireSideChat“ – hier passt das von E.On gewählte Bild nicht – sitzt Birnbaum mit Messner, dem „Legendary Mountaineer and Environmentalist“ im Pitztal in Tirol und sinniert über die Rolle der Energiewirtschaft bei der Klimawende. Es geht um den schwindenden Permafrost in den Alpen, resultierenden Steinschlag, schwindende Gletscher. Ein Gespräch auf Augenhöhe, getrieben von der Sorge ums Klima. „Nur in Technologie und Innovation besteht Hoffnung“, sagt Birnbaum da. Und: „Ich finde es super, dass ich für eine Firma arbeite, die als Produkt die Basis für moderne Gesellschaften bereitstellt. Ohne uns gibt’s keine moderne Gesellschaft. Das haben wir in der Coronazeit gesehen. Die ganzen Intensivbetten: Ohne Strom sind die nichts wert. Da kannst Du so viele haben, wie du willst. Erfolgreicher Kampf gegen den Klimawandel ist natürlich primär eine erfolgreiche Energiewende.“ E.On wandele sich „zum Partner der europäischen Dekarbonisierung“, schreibt Birnbaum in einem LinkedIn-Post.

Wie sich diese Partnerschaft nun genau in der neuen E.On-Strategie niederschlägt, wird Birnbaum am Dienstag in Essen skizzieren. Schriftlich hat E.On schon am Morgen veröffentlicht, was geplant ist: 22 Milliarden Euro Investitionen bis 2026 in Energienetze, 5 Milliarden Euro für den Ausbau des Kundengeschäfts. Die genaue Botschaft wird Birnbaum persönlich erläutern.

Dabei hat E.On ein schwieriges Jahrzehnt hinter sich, geprägt von der anhaltenden Diskussion über den Ausstieg aus der Atomkraft, geprägt aber auch von einem spektakulären Asset-Tausch mit Konkurrent RWE. Der erhielt die Sparte erneuerbare Energien von E.On. Im Gegenzug erhielt E.On die Netze aus dem RWE-Bestand. Seither ist die Aufteilung zumindest zwischen diesen beiden Konzernen klar: RWE produziert die Energie, E.On kümmert sich um Netze und das Vertriebsgeschäft.

Wo kommen neue, grüne Wachstumsgipfel her?

Für E.On ist es nicht leicht, eine atemberaubende Wachstumsstory zu erzählen. Ein Großteil des Geschäfts mit den Verteilernetzen ist reguliert. Auf den ersten Blick ist es schwierig, hier plötzliche, große Sprünge zu machen. Fünf, sechs Prozent Wachstum unterm Strich wären da ein Erfolg. Das Vertriebsgeschäft eröffnet zwar andere Möglichkeiten. Aber die Konkurrenz ist groß, in Großbritannien etwa mit Octopus Energy. Zumindest hat E.On es zuletzt geschafft, sein zuvor defizitäres britisches Vertriebsgeschäft wieder auf Kurs zu bringen.

Die Quartalszahlen, die Birnbaum vor ein paar Tagen präsentieren konnte, fielen auch eher positiv aus. Das kühlere Wetter im vergangenen Jahr und die wirtschaftliche Erholungsphase nach den ersten Coronawellen, dazu Sparmaßnahmen. Das alles sorgte im Vertriebsgeschäft für Zuwächse. Erhebliche Einnahmen von rund 500 Millionen Euro verzeichnete E.On zuletzt durch die staatliche Kompensation für den Ausstieg aus der Atomkraft. Analysten bewerten E.On wegen alldem vorsichtig optimistisch. UBS-Analyst Sam Arie etwa schreibt: „Wir sehen den Kapitalmarkttag als positiven, wenn auch nicht game-changing Katalysator – außer wenn ein sehr großes und schnell wirksames Kostenprogramm verkündet würde.“

Die Kernfrage lautet: Wie wird Birnbaum Wachstum ausbuchstabieren? In einem englischsprachigen Podcast hat er schon vor einigen Monaten Kernpunkte einer Strategie skizziert. Er sagte der Branche „Jahrzehnte des Wachstums“ voraus, denn schließlich stelle man hier ja „zweifellos das Fundament der modernen Gesellschaft zur Verfügung“. „Die Elektrifizierung lässt ganze Sektoren in unsere Richtung schwenken.“ Birnbaum sagte, er sehe drei Prioritäten: „Wachstum ist Priorität Nummer eins. Nachhaltigkeit, die das Wachstum antreibt, ist Priorität Nummer zwei. Und Nummer drei ist Digitalisierung. Wer sein Geschäft nicht digitalisieren kann, der sollte es nicht betreiben.“ Die Ankündigung von Dienstagmorgen geht genau in diese Richtung.

Nur: Was heißt das konkret? An welchen Stellen wird Birnbaum welche Beträge in den Ausbau der Netze investieren? Wo setzt er Schwerpunkte bei der Digitalisierung, bei dem umfassenden Einbau so genannter Smart Meter, intelligenter Messgeräte? Und was genau plant er, um die Netze und Transportwege wasserstofffähig zu machen?

Erst vor wenigen Tagen hat Birnbaum gemeinsam mit Katherina Reiche, Chefin der E.On-Tochter Westenergie, einen Plan vorgestellt, um Wasserstoff in das Ruhrgebiet zu bekommen. Wasserstoff sei das „neue Grubengold“, sagte Birnbaum markig. Aber es wird dauern, bis dieses Grubengold ausgebeutet werden kann. Eine Investitionsentscheidung bei diesem Projekt soll nicht vor 2023 getroffen werden.

Viel hängt, das hat Birnbaum zuletzt immer wieder gesagt, von der Politik ab, die Genehmigungsverfahren beschleunigen und finanzielle Rahmenbedingungen setzen muss, in Deutschland, aber auch in Europa. „Ohne die Infrastruktur scheitert die Energiewende“, sagte Birnbaum beim Kongress des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BdEW) in Berlin im September. „Und ohne bessere Genehmigungsverfahren scheitert der Ausbau der Infrastruktur, der Ausbau der Erneuerbaren ebenfalls. Aus meiner Sicht müssen wir noch wesentlich intensiver über die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Energiewende sprechen – sowohl auf europäischer Ebene als auf deutscher Ebene.“ Als Vizepräsident des europäischen Branchenverbands „Eurelectric“ ist Birnbaum auch auf EU-Ebene aktiv und sichtbar.

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An diesem Dienstagvormittag geht es zunächst weniger um die Gesetze, die die anderen erlassen, als vielmehr darum, was genau Birnbaum vorhat, welche Berge er genau erklimmen will, wie genau er in den Chor der grünen Energie-Manager einstimmt.

Mehr zum Thema: Smarte Thermostate könnten sich als Regulatoren der klimaneutralen Wirtschaft etablieren – wenn da nicht die Probleme mit der Lebensdauer und die fehlenden Anreize für Immobilienbesitzer wären.

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