Energieversorger Rekordgewinne bei RWE: Muss der Staat jetzt eingreifen?

Möglichst pietätvoll erfolgreich: Windräder in der Nähe des RWE-Kraftwerks Niederaußem. Quelle: imago images

Verbraucher und Unternehmen ächzen unter den Energiekosten. Gleichzeitig fahren der Essener Stromproduzent RWE und Betreiber von Wind- und Solarparks traumhafte Gewinne ein. Muss jetzt in den Markt eingegriffen werden?

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Gestern, am Mittwoch, hat der Energieriese E.On in der Essener Zentrale seine Halbjahreszahlen verkündet. Die sind nicht schlecht, aber auch nicht richtig gut. Die Krise schlägt durch, die Beschaffungskosten für Strom und Gas sind gestiegen. E.On lebt seit einiger Zeit vor allem vom Netzgeschäft, den Entgelten, und vom Vertrieb von Energie, produziert selbst nur noch wenig Strom, etwa mit dem Kernkraftwerk Isar 2.

Als E.On-Chef Leonhard Birnbaum deshalb nach der Übergewinnsteuer gefragt wurde, machte er schnell klar, das er da raus ist, dass bei E.On von „Übergewinnen“ dank Krise derzeit keine Rede sein könne. „Unser Unternehmen“ sagte Birnbaum, „würde besser dastehen, noch stärker dastehen, wenn wir diese hohen Preise nicht hätten.“

Der deutsche Glückskonzern RWE

Ganz anders sieht das bei dem zweiten Essener Riesen aus: RWE. In der Bitterkeit der Energiekrise ist RWE so etwas wie der deutsche Glückskonzern. Denn nicht nur beflügeln hohe Großhandelspreise für Strom den Umsatz. Gleichzeitig bittet der grüne Wirtschaftsminister auf Knien und per Gesetz darum, dass Kohlekraftwerke aus der Reserve wieder ans Netz gehen, de facto mit open end. Und der Stress am Strommarkt – merci, la France! –  führt dazu, dass die Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke – RWE hat eins im Emsland – täglich an politischem Momentum gewinnt.

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Freilich ziert sich die Spitze. Aber klar ist auch: Wenn hier der Betrieb per Order aus Berlin gestreckt wird, wird RWE sich auch das satt entlohnen lassen. Läuft also. Und zwar so gut, das Konzernchef Markus Krebber schon vor ein paar Tagen die Prognose für das laufende Jahr angehoben hat. Am Donnerstag stellte er die Zahlen des ersten Halbjahres vor. In den ersten sechs Monaten konnte der Energiekonzern zulegen – hier summierte sich das bereinigte Ebitda im Kerngeschäft nun auf 2,36 (1,2) Milliarden Euro. Infolgedessen erwartet RWE für 2022 insgesamt einen bereinigten operativen Ertrag (Ebitda) von 5 bis 5,5 Milliarden Euro – rund 30 Prozent mehr als ursprünglich geplant.

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Dabei ist der lange gescholtene Großkonzern aus Essen nicht das einzige Unternehmen, das von der Krise profitiert. Auch kleinere Betreiber von Windkraft- und Solarparks, etwa der Hamburger Wind- und Solarparkbetreiber Encavis, blicken optimistisch auf das Jahr, streichen derzeit unerwartete Gewinne ein, befeuert durch die Art und Weise, wie auf dem Strommarkt der Preis bestimmt wird. Dort nämlich gilt das sogenannte Merit-Order-Prinzip. Dabei richtet sich der komplette Strompreis stets nach dem teuersten Kraftwerk, das zur Erzeugung der benötigten Energiemenge zugeschaltet werden muss. Das sind fast immer Gaskraftwerke – und deren Produktionspreise sind wegen der Gasknappheit dramatisch gestiegen. So kommt es, dass 100 Prozent des deutschen Stroms zu den Kosten der Gaskraftwerke abgerechnet wird, obwohl die gerade einmal 12 bis 15 Prozent zum Energiemix beitragen.

And the winner is: Die Erzeuger erneuerbarer Energien

Profitabel ist das besonders für jene, die Strom mit Wind und Sonne erzeugen. Die haben zwar für Windräder und Fotovoltaikanlagen Investitionskosten, aber dagegen verschwindend geringe Betriebskosten. Die Gewinnspanne ist riesig. „Immer dann, wenn Gaskraftwerke benötigt werden, steigt der Strompreis an der Börse sehr stark an“, sagt der Energiemarkt-Experte Lion Hirth, der an der Hertie School of Governance in Berlin als Professor lehrt, im WirtschaftWoche-Podcast „High Voltage“. „Das heißt, in diesen Stunden ist der Strompreis sehr viel höher. Und Anlagen, die keine Brennstoffkosten haben, also zum Beispiel Wind- oder Solarparks, die profitieren von den höheren Preisen. Die verdienen mehr, ohne dass sie höhere Kosten haben.“

Hier geht's zum Podcast-Gespräch mit Lion Hirth: Wer kann die Strompreise drücken?

Dieses Merit-Order-Prinzip wurde eingeführt, als die Europäische Union die Energiemärkte um die Jahrtausendwende liberalisierte. Damals aber lagen die durchschnittlichen Kosten pro Kilowattstunde mit vier oder fünf Cent meist unterhalb der Erzeugungskosten für erneuerbare Energie, die zwischen sieben und acht Cent pro Megawattstunde kosteten. Heute dagegen kostet die Kilowattstunde Strom aus dem Gaskraftwerk mit rund 30 Cent 7,5-mal mehr als damals, während der Erzeugungspreis für Windenergie bei acht Cent und für Atomstrom bei nur zwei Cent geblieben ist.

Damals wurde erneuerbare Energie noch mit der EEG-Umlage gefördert. Insgesamt, so schätzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), werden den Betreibern von Wind- und Solaranlagen allein in diesem Jahr neun Milliarden Euro als sogenannte „Windfall-Profits“ in den Schoß fallen; 2021 waren es „nur“ 1,75 Milliarden Euro. Auch für Braunkohle-Kraftwerksbetreiber entstehen erhebliche zusätzliche Profite. Würden alle Übergewinne garantiert unmittelbar in den Bau weiterer erneuerbarer Anlagen fließen, wäre der Sinn des Merit-Order-Prinzips noch immer gedeckt. Nur gibt es keine staatliche Handhabe, um das zu gewährleisten.

Dürfen die das?

Ist das alles zulässig? Ist das vertretbar? Dürfen die das? Gerade jetzt, da klar ist, dass die explodierenden Energiepreise Unternehmen und Verbraucher in den kommenden Monaten extrem belasten werden. Oder muss politisch umverteilt werden?  Es gibt schon seit einer Weile Überlegungen, dass das so genannte „Design“ des Strommarkts geändert werden müsse, um die Kostenwirklichkeit vor allem bei den erneuerbaren Energien abzubilden. „Im Zuge des Ausbaus der erneuerbaren Energien werden wir ein neues Strommarktdesign erarbeiten“, heißt es auch im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Es gibt Papiere verschiedener Energiemarktexperten, auch von Wissenschaftlern der Leopoldina, in denen verschiedene Förder- und Preisbildungsinstrumente analysiert und geprüft werden. Aus der SPD gab es vor ein paar Wochen auch die Forderung, das Merit-Order-Prinzip doch zumindest für eine Weile auszusetzen.

Andere wollen weniger das Design anpacken, sondern eher die Gewinne der vermeintlichen Krisengewinner abschöpfen, per „Übergewinnsteuer“ – frei nach dem Vorbild anderer EU-Regierungen. Gerade führt etwa Spanien so eine Steuer auf die Rekorderträge von Energiekonzernen ein und folgt damit den Beispielen von Frankreich, Italien und Rumänien. Nur Deutschland zögert weiter, diese „Windfall Profits“ abzuschöpfen.

„Herumdoktern an der Preisfindung löst nichts“

„Wir müssen uns als Gesellschaft überlegen, wie wir mit der Situation umgehen“, sagt Rechtsanwalt Sebastian Igel, Vorstand der energiewirtschaftlich ausgerichteten Beratungsfirma von der Energie-Admin AG in Hannover. Der Staat gebe Milliarden an Steuergeldern, um Uniper zu retten und ein Energiekostenausgleichsprogramm für energieintensive Unternehmen zu stemmen; zugleich zahlten die Stromverbraucher Milliarden für überhöhte Strompreise: „Spiegelbildlich aber gibt es Unternehmen, die extrem von ‚Windfall Profits‘ profitieren, derentwegen die staatlichen Stützungsmaßnahmen auch erforderlich wurden – was liegt näher, als diese rein zufällig erzielten Mehreinnahmen abzuschöpfen, um Staatshaushalt und Stromverbraucher zu entlasten?“

Experten sind sich weitgehend einig, dass am Merit-Order-Prinzip zur Organisation des Strommarktes festgehalten werden sollte. „Wir stecken in einer Energiekrise, aber nicht in einer Krise des Strommarktdesigns“, sagt etwa Hertie-School-Professor Lion Hirth. „Alles Herumdoktern an der Preisfindung auf dem Strommarkt ist im allerbesten Fall Symptombekämpfung und keine Lösung des Problems.“ Und auch bei der Umsetzbarkeit einer Übergewinnsteuer gibt es Zweifel.

Das DIW hat deshalb schon lange eine Alternative zur Übergewinnsteuer in der Schublade: Es schlägt vor, dass der Bund mit den Anbietern erneuerbarer Energien Differenzverträge abschließt, um die durch die Regulierung des Strommarkts  zu viel verdienten Gewinne abzuschöpfen:  „Die würden sie nicht nur gegen niedrige Preise absichern, sondern auch zur Rückzahlung außerplanmäßiger Gewinne verpflichten“, sagt Karsten Neuhoff, Leiter Klimapolitik beim DIW, „Das würde die Strompreise stabilisieren und reduzieren.“ Schon 2018 veröffentlichte Neuhoff die erste Studie zu dem Thema – noch hat die Politik das Konzept aber nicht aufgegriffen.

Zerstören Eingriffe das Vertrauen von Investoren?

Lion Hirth sieht ein weiteres Problem bei zu starken staatlichen Eingriffen: Sie hätten das Zeug, das Vertrauen der Investoren in den Standort Deutschland zu beeinträchtigen. „Wenn die deutsche Bundesregierung und der deutsche Staat eine Reputation bekommen, die da lautet: Wir sind hier als Unternehmen nicht sicher. Immer dann, wenn es mal gut läuft, dann werden uns die Gewinne durch neu eingeführte Steuern weggenommen. Und wenn es schlecht läuft, dann sitzen wir in der Tinte. Dann werden diese Unternehmen Risikoaufschläge auf ihre Kapitalkosten berücksichtigen und dementsprechend weniger investieren oder eher an anderen Standorten investieren.“ Dabei sei derzeit nichts wichtiger als Investitionen vor allem in den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien, der Windkraft und der Fotovoltaik.

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RWE hat immerhin versprochen, in diese Richtung zu gehen. „Growing Green“ heißt die im vergangenen Jahr vorgestellte Strategie mit massiven Ausbauzielen bei den Erneuerbaren. Auch hohe Investitionen hat Krebber versprochen. Erzwingen kann die allerdings niemand.

Hören Sie hier im Podcast „High Voltage“, wie Energiemarkt-Experte Lion Hirth die aktuelle Strompreis-Entwicklung beschreibt – und den einzigen Ausweg aus der Krise skizziert.

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