Gestern, am Mittwoch, hat der Energieriese E.On in der Essener Zentrale seine Halbjahreszahlen verkündet. Die sind nicht schlecht, aber auch nicht richtig gut. Die Krise schlägt durch, die Beschaffungskosten für Strom und Gas sind gestiegen. E.On lebt seit einiger Zeit vor allem vom Netzgeschäft, den Entgelten, und vom Vertrieb von Energie, produziert selbst nur noch wenig Strom, etwa mit dem Kernkraftwerk Isar 2.
Als E.On-Chef Leonhard Birnbaum deshalb nach der Übergewinnsteuer gefragt wurde, machte er schnell klar, das er da raus ist, dass bei E.On von „Übergewinnen“ dank Krise derzeit keine Rede sein könne. „Unser Unternehmen“ sagte Birnbaum, „würde besser dastehen, noch stärker dastehen, wenn wir diese hohen Preise nicht hätten.“
Der deutsche Glückskonzern RWE
Ganz anders sieht das bei dem zweiten Essener Riesen aus: RWE. In der Bitterkeit der Energiekrise ist RWE so etwas wie der deutsche Glückskonzern. Denn nicht nur beflügeln hohe Großhandelspreise für Strom den Umsatz. Gleichzeitig bittet der grüne Wirtschaftsminister auf Knien und per Gesetz darum, dass Kohlekraftwerke aus der Reserve wieder ans Netz gehen, de facto mit open end. Und der Stress am Strommarkt – merci, la France! – führt dazu, dass die Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke – RWE hat eins im Emsland – täglich an politischem Momentum gewinnt.
7 Fragen zum Weiterbetrieb der Kernkraftwerke
Derzeit sind noch drei Atomkraftwerke am Netz: Emsland in Niedersachsen, Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg. Nach geltendem Recht müssen die drei Meiler spätestens am 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden. Zusammen erzeugten sie nach Angaben des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme in diesem Jahr rund 6,4 Prozent des Stroms in Deutschland. Erdgas trug im gleichen Zeitraum 10,1 Prozent zum Strommix bei, erneuerbare Energien hatten mit 51,6 Prozent den größten Anteil. Der in diesem Jahr durch Kernkraft erzeugte Strom könnte bei durchschnittlichem Verbrauch fast 4,5 Millionen Vier-Personen-Haushalte ein Jahr lang versorgen.
Stand: 26. Juli 2022
Erdgas, das knapp zu werden droht, wird tatsächlich vor allem zum Heizen eingesetzt. Es trägt aber auch rund 10 Prozent zur Stromproduktion in Deutschland bei. Wenn man länger auf Atomenergie setzen würde, könnte man also mehr Gas zum Heizen nutzen. Kerntechniker Thomas Walter Tromm vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) geht davon aus, dass der seit dem Jahreswechsel erzeugte Atomstrom genug Erdgas ersetzen kann, um pro Jahr etwa drei Millionen Einfamilienhäuser zu heizen. Umstritten ist allerdings, wie viel Strom die Atomkraftwerke mit ihren älteren Brennstäben überhaupt noch liefern könnten.
Rein technisch ist das aus Expertensicht nur möglich, wenn man bis zum kommenden Sommer neue Brennelemente bekommt. Bis dahin könnte ein sogenannter Streckbetrieb gefahren werden. Dann würden die AKW für einige Monate mit gedrosselter Leistung betrieben, so dass die Brennstäbe länger halten. Mehr Strom bekommt man dadurch allerdings nicht, die Produktion wird nur über eine längere Zeit gestreckt. Die Ministerien für Wirtschaft und für Umwelt gehen davon aus, dass neue Brennelemente frühestens in einem Jahr zur Verfügung stünden. Erst ab Herbst 2023 könne zusätzlicher Strom produziert werden, hieß es bereits im März in einem Prüfbericht der Ministerien. Außerdem sei fraglich, ob ausreichend Ersatzteile für den Betrieb und die Sicherheitssysteme vorhanden seien. Um eine Verlängerung rechtlich zu ermöglichen, müsste der Bundestag das Atomgesetz ändern. Denn Ende des Jahres erlöschen alle Betriebsgenehmigungen für Kernkraftwerke in Deutschland. Nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann bei einer Laufzeitverlängerung eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich sein, auch das Risiko müsste neu abgewogen werden.
Die Sicherheit von Kernkraftwerken muss in Deutschland alle zehn Jahre gründlich überprüft werden. Den letzten Termin 2019 hat man allerdings ausfallen lassen, weil die Meiler ja ohnehin 2022 abgeschaltet werden sollten. „Bei einem Weiterbetrieb nach dem 1.1.2023 wäre also die letzte Sicherheitsüberprüfung 13 Jahre alt, eine neue wäre zwingend geboten“, schreiben die Ministerien. So eine Prüfung könne Jahre dauern. Trotzdem seien die drei Anlagen sicherheitstechnisch auf einem hohen Niveau. Auch der Tüv Süd hat das Kraftwerk Isar 2 geprüft und keine Bedenken geäußert.
Die Kraftwerksbetreiber haben sich auch personell auf das Aus Ende 2022 eingerichtet. Sollen die Meiler länger laufen, bräuchten sie zusätzliche, gut ausgebildete Mitarbeiter. Die Ministerien gehen davon aus, dass man diese nur mit finanziellen Anreizen bekäme. Andere Experten meinen dagegen, mit dem Personal, das für den Rückbau vorgesehen war, könne man die Anlagen wohl auch weiter betreiben. Die Betreiber haben noch ein anderes Problem: Sie haben für den Atomausstieg Schadenersatz bekommen. Es ist ungeklärt, ob sie den in vollem Umfang behalten dürften, wenn die Meiler noch monatelang weiterlaufen.
Statt Atomkraftwerke länger zu betreiben könnte man auch wieder stärker auf Kohle setzen. Atomkraft-Befürworter argumentieren deshalb unter anderem auch mit dem Klimaschutz: AKW sind über den gesamten Lebenszyklus betrachtet für deutlich weniger Treibhausgas-Ausstoß verantwortlich als beispielsweise Gas- oder Kohlekraftwerke. Das lässt allerdings außer acht, dass es noch immer keine Lösung gibt, den hoch radioaktiven und gefährlichen Atommüll in Deutschland über Hunderte oder Tausende Jahre sicher zu lagern.
Im Süden Deutschlands gibt es kaum Windparks - und ihr Bau kommt nur schleppend voran. Zugleich fehlen Hochspannungsleitungen, die Strom effizient aus dem Norden transportieren könnten. In Bayern gibt es zugleich auch nur wenige Kohlekraftwerke, die die Stromproduktion übernehmen könnten. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) zufolge deckt allein das Atomkraftwerk Isar 2 schon 15 Prozent des bayerischen Strombedarfs. Das Risiko von winterlichen Versorgungsengpässen sei in Bayern daher größer als in anderen Bundesländern, argumentiert der dortige Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann. Im Extremfall müsse man über einen Weiterbetrieb einzelner AKW nachdenken – wenn Stromversorgung und Netzstabilität in Gefahr seien, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“. Aiwanger würde auch bereits abgeschaltete Meiler gern wieder hochfahren. Laut Wirtschaftsministerium müssten diese dann aber das komplette Genehmigungsverfahren mit zahlreichen Prüfungen durchlaufen und teils auch neu ausgestattet werden. „Ein Wiederanfahren der drei zum 31.12.2021 stillgelegten Kernkraftwerke kommt schon aufgrund der genehmigungsrechtlichen Situation (erloschene Betriebserlaubnis), die auch gesetzlich nicht rechtssicher geändert werden kann, nicht in Betracht“, heißt es im Prüfbericht.
Freilich ziert sich die Spitze. Aber klar ist auch: Wenn hier der Betrieb per Order aus Berlin gestreckt wird, wird RWE sich auch das satt entlohnen lassen. Läuft also. Und zwar so gut, das Konzernchef Markus Krebber schon vor ein paar Tagen die Prognose für das laufende Jahr angehoben hat. Am Donnerstag stellte er die Zahlen des ersten Halbjahres vor. In den ersten sechs Monaten konnte der Energiekonzern zulegen – hier summierte sich das bereinigte Ebitda im Kerngeschäft nun auf 2,36 (1,2) Milliarden Euro. Infolgedessen erwartet RWE für 2022 insgesamt einen bereinigten operativen Ertrag (Ebitda) von 5 bis 5,5 Milliarden Euro – rund 30 Prozent mehr als ursprünglich geplant.
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Dabei ist der lange gescholtene Großkonzern aus Essen nicht das einzige Unternehmen, das von der Krise profitiert. Auch kleinere Betreiber von Windkraft- und Solarparks, etwa der Hamburger Wind- und Solarparkbetreiber Encavis, blicken optimistisch auf das Jahr, streichen derzeit unerwartete Gewinne ein, befeuert durch die Art und Weise, wie auf dem Strommarkt der Preis bestimmt wird. Dort nämlich gilt das sogenannte Merit-Order-Prinzip. Dabei richtet sich der komplette Strompreis stets nach dem teuersten Kraftwerk, das zur Erzeugung der benötigten Energiemenge zugeschaltet werden muss. Das sind fast immer Gaskraftwerke – und deren Produktionspreise sind wegen der Gasknappheit dramatisch gestiegen. So kommt es, dass 100 Prozent des deutschen Stroms zu den Kosten der Gaskraftwerke abgerechnet wird, obwohl die gerade einmal 12 bis 15 Prozent zum Energiemix beitragen.
And the winner is: Die Erzeuger erneuerbarer Energien
Profitabel ist das besonders für jene, die Strom mit Wind und Sonne erzeugen. Die haben zwar für Windräder und Fotovoltaikanlagen Investitionskosten, aber dagegen verschwindend geringe Betriebskosten. Die Gewinnspanne ist riesig. „Immer dann, wenn Gaskraftwerke benötigt werden, steigt der Strompreis an der Börse sehr stark an“, sagt der Energiemarkt-Experte Lion Hirth, der an der Hertie School of Governance in Berlin als Professor lehrt, im WirtschaftWoche-Podcast „High Voltage“. „Das heißt, in diesen Stunden ist der Strompreis sehr viel höher. Und Anlagen, die keine Brennstoffkosten haben, also zum Beispiel Wind- oder Solarparks, die profitieren von den höheren Preisen. Die verdienen mehr, ohne dass sie höhere Kosten haben.“
Hier geht's zum Podcast-Gespräch mit Lion Hirth: Wer kann die Strompreise drücken?
Dieses Merit-Order-Prinzip wurde eingeführt, als die Europäische Union die Energiemärkte um die Jahrtausendwende liberalisierte. Damals aber lagen die durchschnittlichen Kosten pro Kilowattstunde mit vier oder fünf Cent meist unterhalb der Erzeugungskosten für erneuerbare Energie, die zwischen sieben und acht Cent pro Megawattstunde kosteten. Heute dagegen kostet die Kilowattstunde Strom aus dem Gaskraftwerk mit rund 30 Cent 7,5-mal mehr als damals, während der Erzeugungspreis für Windenergie bei acht Cent und für Atomstrom bei nur zwei Cent geblieben ist.
Damals wurde erneuerbare Energie noch mit der EEG-Umlage gefördert. Insgesamt, so schätzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), werden den Betreibern von Wind- und Solaranlagen allein in diesem Jahr neun Milliarden Euro als sogenannte „Windfall-Profits“ in den Schoß fallen; 2021 waren es „nur“ 1,75 Milliarden Euro. Auch für Braunkohle-Kraftwerksbetreiber entstehen erhebliche zusätzliche Profite. Würden alle Übergewinne garantiert unmittelbar in den Bau weiterer erneuerbarer Anlagen fließen, wäre der Sinn des Merit-Order-Prinzips noch immer gedeckt. Nur gibt es keine staatliche Handhabe, um das zu gewährleisten.
Dürfen die das?
Ist das alles zulässig? Ist das vertretbar? Dürfen die das? Gerade jetzt, da klar ist, dass die explodierenden Energiepreise Unternehmen und Verbraucher in den kommenden Monaten extrem belasten werden. Oder muss politisch umverteilt werden? Es gibt schon seit einer Weile Überlegungen, dass das so genannte „Design“ des Strommarkts geändert werden müsse, um die Kostenwirklichkeit vor allem bei den erneuerbaren Energien abzubilden. „Im Zuge des Ausbaus der erneuerbaren Energien werden wir ein neues Strommarktdesign erarbeiten“, heißt es auch im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Es gibt Papiere verschiedener Energiemarktexperten, auch von Wissenschaftlern der Leopoldina, in denen verschiedene Förder- und Preisbildungsinstrumente analysiert und geprüft werden. Aus der SPD gab es vor ein paar Wochen auch die Forderung, das Merit-Order-Prinzip doch zumindest für eine Weile auszusetzen.
Andere wollen weniger das Design anpacken, sondern eher die Gewinne der vermeintlichen Krisengewinner abschöpfen, per „Übergewinnsteuer“ – frei nach dem Vorbild anderer EU-Regierungen. Gerade führt etwa Spanien so eine Steuer auf die Rekorderträge von Energiekonzernen ein und folgt damit den Beispielen von Frankreich, Italien und Rumänien. Nur Deutschland zögert weiter, diese „Windfall Profits“ abzuschöpfen.