Der Krieg der Gewerkschaften fing wie so viele Kriege ganz harmlos an: Rund einhundert Mitarbeiter des Netzbetreibers Tennet sind von einer Gewerkschaft zur anderen gewechselt. Verdi verlor sie, die mächtige Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, kurz IG BCE, gewann sie. Das sah nach Mitgliederabwerbung aus, nach gezieltem Aderlass. „Es handelt sich um ein Organisations-Abgrenzungsverfahren, Leitungsunternehmen wie Tennet sind nach den Regeln des DGB bei Verdi anzusiedeln“, sagt Verdi-Gewerkschafterin Martina Sönnichsen zur WirtschaftsWoche.
Seit Jahren ringen Verdi und IG BCE um Macht und Einfluss bei den großen Energiekonzernen E.On, RWE, EnBW und Vattenfall. Da der Energiesektor einst, vor langen Jahrzehnten, staatlich war, gibt es viele Verdi-Mitglieder bei den Versorgern. Da diese vor noch mehr Jahren auch Bergbau betrieben, ist auch die IG BCE stark engagiert, die sich als eigentliche Energiegewerkschaft begreift – deswegen das E im Namen.
Neuausrichtung - So steht es um die Energiekonzerne
Umsatzanteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung: 2,0 %
Gewinnanteil vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen: 15,0%
Installierte Minikraftwerke in Deutschland: 4000
Unterstützung des Neugeschäfts durch Vorstandschef¹: *
Kooperationen mit anderen Unternehmen: 135
¹3 Sterne = groß, 1 Stern = gering
(Stand: Juni 2014)
Umsatzanteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung: 1,7 %
Gewinnanteil vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen: 4,5%
Installierte Minikraftwerke in Deutschland: 1300
Unterstützung des Neugeschäfts durch Vorstandschef¹: **
Kooperationen mit anderen Unternehmen: 90
¹3 Sterne = groß, 1 Stern = gering
Umsatzanteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung: 2,3 %
Gewinnanteil vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen: 10,0%
Installierte Minikraftwerke in Deutschland: 205
Unterstützung des Neugeschäfts durch Vorstandschef¹: ***
Kooperationen mit anderen Unternehmen: 50
¹3 Sterne = groß, 1 Stern = gering
Umsatzanteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung: k.A.
Gewinnanteil vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen: k.A.
Installierte Minikraftwerke in Deutschland: k.A.
Unterstützung des Neugeschäfts durch Vorstandschef¹: *
Kooperationen mit anderen Unternehmen: 300
¹3 Sterne = groß, 1 Stern = gering
Jahrelang ging es nur um Macht- und Pöstchenpoker zwischen den beiden Arbeitnehmerorganisationen. Es ging vor allem um Aufsichtsratsposten und Sitze in den mächtigen Kontrollgremien der Versorger, dem Präsidium, dem Investitionsausschuss und dem Personalausschuss, der über das Topmanagement bestimmt. Da wollten beide, Verdi und IG BCE, mitentscheiden.
Nun geht es nicht mehr um diesen Personal-Proporz, es geht ums Ganze. Es geht auch darum, dass sich IG BCE-Spitzenfunktionäre so häufig zur Energiepolitik äußern, im Fernsehen und in den Wirtschaftsmedien. Das stößt Verdi unangenehm auf. So hat Verdi nun sogar demonstrativ die tarifpolitische Zusammenarbeit mit der IG BCE beim Energieversorger RWE gestoppt. Verdi will die IG BCE vor dem Schiedsgericht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DBG) verklagen. Der Vorwurf: Die IG BCE will in den Mitgliedbestand von Verdi einbrechen und den Kontrahenten, der früher Mitstreiter war, an der Mitgliederbasis schwächen.
Ist alles eine Verschwörungstheorie?
Hinter der Vermutung, dass die IG BCE quasi feindlich die Mitglieder von Verdi absauge und zu sich hinziehe, steckt auch eine Quäntchen Verschwörungstheorie. Denn in der Energiewirtschaft gibt es eine außergewöhnlich hohe Loyalität der Beschäftigten mit den Arbeitgebern. Das liegt zum einen am immer noch traditionellen Korpsgeist der Energiewirtschaft, deren Beschäftigten gern an einem Strang ziehen, zum anderen auch an der außergewöhnlich guten Bezahlung in dieser Branche, bisher jedenfalls. Gesellschaftlicher Außendruck, Proteste in der Bevölkerung gegen Braunkohle-Luftverpester und die Anti-Atom-Bewegung haben die Beschäftigten bei in der Energiewirtschaft zudem zusätzlich zusammengeschweißt.
„Ein leitungsgebundenes Unternehmen ist klassisches Verdi-Terrain“, sagt Verdi-Frau Sönnichsen und spielt damit auf den Tennet-Fall an. Verdi ist auch sonst stark bei den großen Versorgern vertreten. Obwohl offiziell von den Gewerkschaften keine Angaben zu den Organisationsgraden gemacht werden, um die wahre Schwäche oder Stärke nach außen zu verschleiern, schätzen Insider den Verdi-Organisationsgrad bei RWE auf vier Fünftel der organisierten Beschäftigten. Das macht Mut, IG BCE in die Schranken zu verweisen.
Gegenüber der WirtschaftsWoche nimmt dazu der IG BCE-Vorstand Peter Hausmann Stellung: „RWE befindet sich in einer schwierigen Situation. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen Beschäftigungsperspektiven, darüber wird verhandelt. Um diese Verhandlungen zum Erfolg führen zu können, ist eine vernünftige Zusammenarbeit der Gewerkschaften erforderlich“ und fügt in Richtung Verdi hinzu: „Wer meint, Abgrenzungsfragen vor dem DGC-Schiedsgericht klären zu müssen, soll das tun. Wir sehen dem sehr gelassen entgegen.“
Die wichtigsten Regelungen im neuen EEG
Der Zubau bei Windanlagen an Land wird auf 2500 Megawatt (MW) pro Jahr begrenzt. Kommt mehr hinzu, sinkt die garantierte Einspeisevergütung schneller. Allerdings: Verstärkung vorhandener Anlagen zählt nicht dazu. Eine starke Einschränkung ist das nicht. Die echte Bremse wirkte beim Solarstrom.
In drei Jahren bekommen neue Anlagen keine garantierte und gesetzlich festgeschriebene Einspeisevergütung mehr. Dann müssen die Betreiber ihre Anlagen per Ausschreibung finanzieren, damit mehr Markt herrsche. Die Folgen: bisher unkalkulierbar.
Die Befreiung energieintensiver Betriebe von der EEG-Umlage bleibt erhalten. Entsprechend der neuen europäischen Beihilferegelung sind künftig 65 Branchen begünstigt. Unternehmen anderer Wirtschaftszweige können aber nachweisen, dass sie ebenfalls energieintensiv sind. Über 400 von bisher 2200 Betrieben fallen aus der vorteilhaften Regelung heraus.
Eigenerzeuger, die schon bisher ihren benötigten Strom selbst herstellen, müssen auch künftig keine EEG-Umlage zahlen. Wer jetzt neu einsteigt, ist aber mit der Hälfte dabei. Die Bundesregierung brandmarkt die Selbsthilfe als „Flucht aus der Solidarität“.
Auf absehbare Zeit steigen die Kosten für die erneuerbaren Energien weiter – und damit auch die EEG-Umlage. Denn der Zubau schreitet voran, und noch fallen nur ganz wenige Anlagen aus der 20-jährigen Vergütungsgarantie. Zielmarke bis 2017: sieben Cent pro kWh.
Trotz der zahlenmäßigen Übermacht von Verdi in vielen Energieunternehmen trauen viele Beschäftigten der IG BCE mehr zu, da diese Gewerkschaft stets auf Konsens und Verhandlung setzt. Dieser Verhandlungsstil wurde früher durch Arbeiterführer wie Hubertus Schmoldt und den konservativen Hermann Rappe verkörpert. Schmoldt war schon äußerlich von den Topmanagern in den Chefetagen schwer zu unterscheiden. Verdi dagegen, stark gestützt auf den Öffentlichen Dienst, ist mehr streikorientiert und streikfreudig. „Die Verdi-Leute haben stets auch die Trillerpfeife im Samsonite-Koffer“, ätzt ein Arbeitnehmervertreter bei E.On.
Leidtragende des Zwists sind die Mitglieder: Die Energiebranche befindet sich in einer der größten Krisen seit ihrem Bestehen. Die Energiewende saugt den Versorgern die Gewinne weg, der bevorzugte Ökostrom drückt in die Netze und legt fossile Kraftwerke lahm. Vor allem Gaskraftwerke laufen nur noch wenige Stunden im Jahr und bescheren den Konzernen Verluste, viele Kohlekraftwerke sind ebenfalls keine Gewinnbringer mehr. Und die Atomkraftwerke, jahrzehntelang das Rückgrat der Energiewirtschaft, müssen nach dem Energiewendebeschluss vor drei Jahren im Kabinett Merkel bis 2022 abgeschaltet sein. „Das ist pure Enteignung“ machen sich viele Energiemanager ihrer Verzweiflung über das wegbrechende Geschäftsmodell Luft.
„Wir machen uns Sorgen um die Gewerkschaften“
Folge des betriebswirtschaftlichen Desasters, dem kaum ein funktionierendes Neugeschäft entgegensteht: Die Stellen bei der Versorger werden geschleift. Tausende von Mitarbeitern bangen um ihre Jobs. Konzernzentralen sollen aufgelöst und Teilbereiche zusammengelegt werden. In den Kraftwerken sitzen viele Ingenieure tatenlos herum, weil sie in den stillstehenden Meilern nur zu Reparatur- und Wartungsarbeiten herangezogen werden.
Sanierungsprogramme bei den Versorgern sprießen wie Unkraut im Hochsommer. Noch gab es so viel Angst bei den sonst so sicheren und betulichen Versorgern. Ausgerechnet zu diesem brennenden Zeitpunkt liefern sich die Energiegewerkschaften einen Krieg um Mitglieder. So sind viele Verhandlungsgemeinschaften von Verdi und IG BCE ausgesetzt. Das Management weiß nicht mehr, mit wem es verhandeln soll.
„Wir haben alles versucht, uns mit Verdi zu einigen“, sagt ein hochrangiger Gewerkschafter von Verdi in diesen Tagen. „Dem Schiedsgerichtsverfahren sehen wir sehr gelassen entgegen“, sagt ein Vertreter der IG BCE. Es geht nicht nur um Mitgliederabwerbung oder die offensichtliche Wanderungsbewegung zwischen den beiden Gewerkschaften. Angeblich sind die Verdi-Mitglieder ganz ordentlich, erst nach Ende der Kündigungsfrist ihrer Mitgliedschaft, zur IG BCE hinübergewechselt. Verdi kontert, IG BCE „wildert“ in den Verdi-Revieren.
Verdi beansprucht für sich die Pole-Position bei den Arbeitnehmervertretungen in der Energiewirtschaft. Das liegt an den früher staatlichen Energieversorgern, die auch den Kommunen gehörten oder immer noch gehören. Bei RWE haben die Kommunen immer noch das Sagen im Konzern. Folglich zieht Verdi daraus den logischen Schluss seiner Vorherrschaft im Konzern. Bei der IG BCE sagt ein Funktionär der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Kleinkarierte innergewerkschaftliche Auseinandersetzungen sind jedenfalls alles andere als hilfreich“. Und ein Verdi-Arbeitnehmervertreter kontert: „Die IG BCE überzieht ihre Rolle“.
Ein Schiedsgerichtsverfahren des DGB ist keine Veranstaltung, die in zwei, drei Tagen über die Bühne geht. Die Uhren der Dachorganisation laufen langsam. Das heißt, bei den Versorgern werden die Pakete geschnürt ohne Tarifgemeinschaften und gemeinsame Verhandlungsgruppen von Verdi und IG BCE. Das allerdings muss nicht unbedingt die Arbeitnehmer schwächen, schätzt ein Betriebsrat die Lage ein. Denn das Management muss nun mit zwei Gewerkschaften verhandeln, die sich untereinander nicht grün sind. Folglich haben sie auch kein Interesse, sich rasch zu einigen, weil das nur beweisen würde, dass es auch ohne Tarifgemeinschaft geht. Das allerdings würde beide Arbeitnehmerorganisationen schwächen.
Verdi-Pressesprecherin Sönnichsen schätzt, dass das Schiedsgerichtverfahren eine lange Prozedur wird. Zur Zeit werde ein entsprechender Brief an den DGB formuliert, der das Verfahren in Gang setzen soll. „So etwas kann Monate dauern“, schätzt sie, „ich will meine Hand dafür nicht ins Feuer legen, aber in diesem Jahr kann man wohl nicht mehr mit einer Entscheidung rechnen.“
In den Top-Etagen der Energiekonzerne bemüht man sich, keine Schadenfreude zu zeigen. Ein Verlangsamungsprozess der Sanierungsbeschlüsse und des Stellenabbaus gefährdet nur zusätzlich das Überleben der ohnehin brüchigen Energiewirtschaft. Die Vorstände halten den Ball flach: „Wir machen uns Sorgen um die Gewerkschaften, eigentlich zum ersten Mal in unserem Leben“, sagt ein Energievorstand der WirtschaftsWoche.