Energiewende und Gewerkschaften Arbeiterführer kämpfen gegen sich selbst

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„Wir machen uns Sorgen um die Gewerkschaften“

Folge des betriebswirtschaftlichen Desasters, dem kaum ein funktionierendes Neugeschäft entgegensteht: Die Stellen bei der Versorger werden geschleift. Tausende von Mitarbeitern bangen um ihre Jobs. Konzernzentralen sollen aufgelöst und Teilbereiche zusammengelegt werden. In den Kraftwerken sitzen viele Ingenieure tatenlos herum, weil sie in den stillstehenden Meilern nur zu Reparatur- und Wartungsarbeiten herangezogen werden.

Sanierungsprogramme bei den Versorgern sprießen wie Unkraut im Hochsommer. Noch gab es so viel Angst bei den sonst so sicheren und betulichen Versorgern. Ausgerechnet zu diesem brennenden Zeitpunkt liefern sich die Energiegewerkschaften einen Krieg um Mitglieder. So sind viele Verhandlungsgemeinschaften von Verdi und IG BCE ausgesetzt. Das Management weiß nicht mehr, mit wem es verhandeln soll.

„Wir haben alles versucht, uns mit Verdi zu einigen“, sagt ein hochrangiger Gewerkschafter von Verdi in diesen Tagen. „Dem Schiedsgerichtsverfahren sehen wir sehr gelassen entgegen“, sagt ein Vertreter der IG BCE. Es geht nicht nur um Mitgliederabwerbung oder die offensichtliche Wanderungsbewegung zwischen den beiden Gewerkschaften. Angeblich sind die Verdi-Mitglieder ganz ordentlich, erst nach Ende der Kündigungsfrist ihrer Mitgliedschaft, zur IG BCE hinübergewechselt. Verdi kontert, IG BCE „wildert“ in den Verdi-Revieren.

Verdi beansprucht für sich die Pole-Position bei den Arbeitnehmervertretungen in der Energiewirtschaft. Das liegt an den früher staatlichen Energieversorgern, die auch den Kommunen gehörten oder immer noch gehören. Bei RWE haben die Kommunen immer noch das Sagen im Konzern. Folglich zieht Verdi daraus den logischen Schluss seiner Vorherrschaft im Konzern. Bei der IG BCE sagt ein Funktionär der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Kleinkarierte innergewerkschaftliche Auseinandersetzungen sind jedenfalls alles andere als hilfreich“. Und ein Verdi-Arbeitnehmervertreter kontert: „Die IG BCE überzieht ihre Rolle“.

Ein Schiedsgerichtsverfahren des DGB ist keine Veranstaltung, die in zwei, drei Tagen über die Bühne geht. Die Uhren der Dachorganisation laufen langsam. Das heißt, bei den Versorgern werden die Pakete geschnürt ohne Tarifgemeinschaften und gemeinsame Verhandlungsgruppen von Verdi und IG BCE. Das allerdings muss nicht unbedingt die Arbeitnehmer schwächen, schätzt ein Betriebsrat die Lage ein. Denn das Management muss nun mit zwei Gewerkschaften verhandeln, die sich untereinander nicht grün sind. Folglich haben sie auch kein Interesse, sich rasch zu einigen, weil das nur beweisen würde, dass es auch ohne Tarifgemeinschaft geht. Das allerdings würde beide Arbeitnehmerorganisationen schwächen.

Verdi-Pressesprecherin Sönnichsen schätzt, dass das Schiedsgerichtverfahren eine lange Prozedur wird. Zur Zeit werde ein entsprechender Brief an den DGB formuliert, der das Verfahren in Gang setzen soll. „So etwas kann Monate dauern“, schätzt sie, „ich will meine Hand dafür nicht ins Feuer legen, aber in diesem Jahr kann man wohl nicht mehr mit einer Entscheidung rechnen.“

In den Top-Etagen der Energiekonzerne bemüht man sich, keine Schadenfreude zu zeigen. Ein Verlangsamungsprozess der Sanierungsbeschlüsse und des Stellenabbaus gefährdet nur zusätzlich das Überleben der ohnehin brüchigen Energiewirtschaft. Die Vorstände halten den Ball flach: „Wir machen uns Sorgen um die Gewerkschaften, eigentlich zum ersten Mal in unserem Leben“, sagt ein Energievorstand der WirtschaftsWoche.

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