
Es war eine gönnerhafte Geste. „Lieber Herr Mastiaux, ich begrüße Sie recht herzlich“, sagte E.On-Chef Johannes Teyssen vom Podium in Richtung Publikum, als er die Jahresbilanz präsentierte. Dort unten stand – im sportlichen Outfit ohne Krawatte, aber sonst ganz brav – Frank Mastiaux, der seit Kurzem die Expansion des Düsseldorfer Energieriesen in Schwellenländer wie Brasilien und Indien vorantreiben sollte.
Die Szene vor einem Jahr in Düsseldorf ist überholt. Nicht nur, dass der heute 48-jährige Ex-E.On-Manager vom 1. Oktober an ganz oben sitzen wird: beim drittgrößten deutschen Versorger, dem baden-württembergischen Energiekonzern EnBW. Mastiaux steht zugleich vor einer Aufgabe, gegen die sein Job beim Marktführer E.On ein Frühlingsspaziergang war.
Energiekonzern vor dem Umbruch
Der Aufsteiger übernimmt von seinem glücklosen Vorgänger Hans-Peter Villis die Regentschaft über ein Energieunternehmen, das vor dem dramatischsten Umbruch seiner Geschichte steht. Schwer getroffen von den Abschaltung zweier Kernanlagen im Zuge des Atomausstiegs, muss EnBW um seine stolze Eigenständigkeit fürchten. Zugleich obliegt es EnBW, das pulsierende Industrieland Baden-Württemberg ausreichend mit Strom zu versorgen, wenn in den nächsten Jahren weitere AKWs vom Netz müssen. Gelinge dies nicht, sagt ein ehemaliger Kollege von Mastiaux bei E.On ganz ohne Häme, „dann muss sich EnBW die Existenzfrage stellen“.
Damit tritt Mastiaux wohl den schwierigsten Job der Branche an. Denn im Vergleich zu E.On und dem Branchenzweiten RWE in Essen liegt EnBW auf wichtigen Feldern im Hintertreffen. Dem Konzern mit Doppelsitz in Stuttgart und Karlsruhe bricht seit einigen Monaten das Geschäftsmodell weg: zu viele Atommeiler; Strom aus Wind und Sonne nur in homöopathischen Dosen; ein taufrischer Gasvertrag mit dem russischen Lieferanten Novatek in einer Zeit, in der Massen von Windstrom den Betrieb von Gaskraftwerken auf Sparflamme drücken; totale Fehlanzeige beim zukunftsträchtigen Flüssiggas, während E.On bereits bei Terminals in Rotterdam und Livorno eingestiegen ist.
Die EnBW-Geschäftsfelder
Den größten Anteil am EnBW-Geschäft macht das Stromnetz und der Stromvertrieb aus. Hierauf entfielen im Geschäftsjahr 57,2 Prozent des Umsatzes. Der Ertrag stieg von 10,2 Milliarden Euro im Jahr 2010 um 5,4 Prozent auf 10,7 Milliarden.
29 Prozent macht das Geschäft mit Stromerzeugung und Stromhandel am EnBW-Umsatz aus. Dort verzeichnete der Konzern 2011 den größten Umsatzsprung. Erwirtschaftete der er damit 2010 noch 4,8 Milliarden Euro, waren es vergangenes Jahr 13,1 Prozent mehr (5,4 Milliarden).
Gas ist mit einem Umsatzanteil von 9,7 Prozent das drittgrößte Geschäft für EnBW. In diesem Segment verzeichnete der Konzern im Geschäftsjahr 2011 den niedrigsten Umsatzanstieg. Der Ertrag kletterte um 1,7 Prozent auf 1,8 Milliarden Euro (2010: 1,8 Milliarden Euro).
Die kleinste Geschäftseinheit sind nach Ertrag die Energie- und Umweltdienstleistungen. Sie machten mit ihren 780,4 Millionen Euro im Jahr 2011 einen Umsatzanteil von 4,1 Prozent aus. Immerhin stieg der Umsatz der Sparte am zweithöchsten (9,7 Prozent). 2010 erwirtschaftete die Einheit noch 711,2 Millionen Euro.
Beunruhigte Großkunden
Die Herkulesaufgabe, vor der Mastiaux steht, ist die teure und riskante Entwöhnung von der Kernenergie. Denn der Ausstieg aus der Atomkraft trifft keinen deutschen Versorger so schwer wie EnBW. Bis zur Atomkatastrophe im japanischen Fukushima ruhte sich der Regionalriese auf seiner stabilen Basis aus vier Atomkraftwerksblöcken aus, jeweils zwei in Neckarwestheim und Philippsburg. 57 Prozent der Umsätze stammten bis dahin aus diesen Meilern. Industrielle Großabnehmer wie Daimler, Bosch und bedeutende Mittelständler wie Trumpf wurden auf diese Weise so sicher mit Strom versorgt wie schwäbische Besenwirtschaften mit dem Ländles-Rotwein Trollinger.

Als Mastiaux’ Vorgänger 2009 ankündigte, den Atomanteil am Umsatz bis 2020 um sieben Punkte auf 50 Prozent senken zu wollen, galt das als ehrgeiziges Unterfangen. Gleichzeitig hatte Villis angekündigt, den Anteil der Kohle- und Gaskraftwerke sachte auf 30 Prozent und von Wind, Wasser und Sonne auf 20 Prozent zu erhöhen.
Würde Mastiaux sich weiter an die Vorgaben halten, wäre EnBW in wenigen Jahren nicht mehr lebensfähig. Denn ein solcher Aufbruch in die atomfreie Zukunft ist schon durch die Gegenwart überholt, weil Wind, Wasser und Sonne bereits zu 20 Prozent zur Stromversorgung beitragen.