Folgen von Ölembargo und Tankrabatt „Der Run auf die Tankstellen wird historisch“

Droht nun der Dieselschock? Quelle: imago images

Was bedeutet das Ölembargo der EU für deutsche Tankstellen? Duraid El Obeid, der Vorsitzende des Bundesverbands Freier Tankstellen, erwartet heftige Preisausschläge, harte Zeiten für Pächter – und Probleme am 1. Juni.

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WirtschaftsWoche: Herr El Obeid, Sie sind Vorsitzender des Bundesverbands Freier Tankstellen. Gleichzeitig betreiben Sie 140 Tankstellen unter der Marke Sprint im Großraum Berlin. Die EU hat nun ein Ölembargo verabschiedet. Geht Ihnen bald der Kraftstoff aus?
Duraid El Obeid: So weit ist es nicht, aber wir machen uns große Sorgen. Wir schließen mit unseren Lieferanten zwar Einjahresverträge ab und ich gehe davon aus, dass die Händler und Raffinerien uns die zugesagten Mengen an Kraftstoffen wie Diesel und Benzin liefern. Aber natürlich wäre ein Ölembargo auf russisches Rohöl nicht ohne Folgen. Die Raffinerien in Schwedt und Leuna würden zumindest zeitweise definitiv weniger Mineralöl liefern können. Das träfe auch uns.

Haben Sie Vorsorge getroffen?
Ja. Wir haben uns Transportkapazitäten für die nächsten Monate im Voraus gesichert, etwa auf Binnenschiffen und Kesselwagen auf der Schiene. Damit haben wir vor vier Wochen begonnen. Das würde es uns erlauben, Mineralöl etwa aus Hamburg nach Berlin zu transportieren. So wollen wir sicherstellen, dass unsere Sprint-Tankstellen in und um Berlin dauerhaft Kraftstoffe verkaufen können. Solche Vorsorgepläne sind ein echtes Novum.

Inwiefern?
Die Sprint-Gruppe ist seit mehr als 40 Jahren eine inhabergeführte Tankstellenkette. Wir kaufen in der Regel immer so viel ein, wie wir verkaufen. Wir wissen aus Erfahrung sehr genau, wie hoch der Absatz an unseren Tankstellen sein wird. Er schwankt in der Regel zwischen minus und plus fünf Prozent. Deshalb können wir die Absatzmengen recht gut im Voraus kalkulieren und entsprechende Mengen ordern. Unser Business funktioniert wie ein Uhrwerk.

Duraid El Obeid ist der Chef der Berliner Tankstellenkette Sprint. Quelle: Presse

Kaufen Sie auch bei den Raffinerien PCK in Schwedt und Total Mitteldeutschland in Leuna ein, wo ausschließlich russisches Rohöl raffiniert wird?
Von dort kaufen wir sogar den Großteil unserer Mineralöle, etwa 40 bis 45 Prozent. Der Bezug aus PCK ist etwas kleiner als aus Leuna. Bislang läuft der Nachschub wie vereinbart. Der Vertrag mit PCK etwa läuft seit November 2021. Nur Mehrmengen konnten wir zuletzt nicht bestellen.

Das EU-Embargo wirkt schleichend über mehrere Monate. Sollte Putin den Ölhahn abrupt abdrehen und das Rohöl sofort versiegen lassen, dürften kurzfristig gar keine Produkte etwa aus Schwedt kommen. Werden Sie die Menge einfach so woanders einkaufen können?
Ich bin mir sicher, dass wir die Mengen sehr wahrscheinlich woanders einkaufen können. Der Markt ist sehr beweglich. Das Problem wird sein, die Schiffs- und Zugladungen zu löschen. Das Tanklager etwa in Seefeld bei Berlin ist via Pipeline an die PCK Raffinerie in Schwedt angebunden. Auf einen Ansturm von Zügen, Schiffen und Tankwagen ist das Lager gar nicht vorbereitet. Vor allem der 1. Juni könnte richtig dramatisch werden.

Warum?
Die Bundesregierung führt dann den Tankrabatt ein. Diesel wird dann 17 Cent und Benzin 36 Cent pro Liter für den Kunden preiswerter. Die Leute werden daher Ende Mai darauf verzichten, ihre Autos voll zu tanken, sie kommen dann am 1. Juni. In dieser Zeit brauchen alle Tankstellen noch mehr Kraftstoff. Der Run auf die Tankstellen wird historisch. Dabei haben wir sogar noch Glück. Als Tankstellenkette sind wir ein bevorzugter Kunde der Speditionen und Raffinerien. Problematisch wird es für die Kleinunternehmer.

Inwiefern?
Es gibt zahlreiche Kleinunternehmen, die nur ein oder zwei Tankstellen betreiben. Sie sichern sich das Mineralöl in der Regel nicht über Jahresverträge, sondern kaufen Diesel und Benzin über die Spotmärkte. Das ist zunehmend schwieriger geworden. Der Spotmarkt wurde vor gut zwei Monaten geschlossen. Jetzt beziehen sie Mineralöl von Händlern oder direkt von Mineralölkonzernen. Aber ohne Einkaufsmacht sind sie darauf angewiesen, was sie am Markt bekommen können. Die Einkaufspreise sind hoch, die Banken fordern für Kredite zur Vorfinanzierung mehr Sicherheiten. Das könnte die Tankstellenbetreiber doch sehr unter Druck setzen.

Laufen freie Tankstellen dann auch irgendwann leer?
Es wird in nächster Zeit sicher einige Tankstellen geben, die vorübergehend entweder nicht ausreichend oder nicht rechtzeitig Mineralöl auf dem Markt werden einkaufen können. Ob sie dann gar kein Benzin oder Diesel mehr anbieten können? Das weiß man nicht. Sie würden dann sicher die Preise anheben. Leerstände werden aber meines Erachtens nicht nur freie Tankstellen treffen.

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Werden die Preise insgesamt steigen?
Davon ist auszugehen. Allein die Logistikkosten machen Mineralöle teurer. Wenn die Kraftstoffe künftig via Tankwagen von weiter her angeliefert werden müssen, dann wird sich das natürlich in den Preisen niederschlagen.

Ihre Prognose…
Wir werden bald wieder Preise über zwei Euro pro Liter für Benzin sehen, vielleicht 2,20 Euro pro Liter.

Lesen Sie auch: Das Ölembargo der EU trifft bei der Leitungsinfrastruktur auf eine geteilte Republik. Der Rostocker Hafen wird nun zum Nadelöhr für die Ölimporte nach Ostdeutschland – und braucht bald mehr Tiefgang.

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