Foodwatch-Chef Thilo Bode "Ich mag Döner, kaufe aber keinen"

Foodwatch-Chef Thilo Bode über Parallelen zwischen der Finanzbranche und der Ernährungsindustrie, über gutes Essen und über den Missstand, dass noch immer mehr Gammelfleisch angeboten wird, als uns lieb ist.

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Foodwatch-Chef Thilo Bode Quelle: Bernd Jonkmanns (laif)

WirtschaftsWoche: Herr Bode, wenn wir über Ernährung sprechen, dann sollte man bei sich selbst anfangen...

Thilo Bode: ...und jetzt wollen Sie sicher auch noch wissen, was ich heute Morgen gefrühstückt habe.

Und?

Ich habe einen Obstsalat, einen Joghurt, zwei Käsebrote und einen Tee zu mir genommen. Aber ich habe auch schon tiefgefrorenes und anschließend in der Mikrowelle erwärmtes Rührei gegessen. In der Bahn heißt das „Rührei Naturell“.

Das muss ja großen Eindruck auf Sie gemacht haben.

Hat es. Es verdeutlicht nämlich das größte Problem der Branche.

Nun sind wir aber gespannt.

Es wird immer öfter Scheinqualität suggeriert. Das "Rührei Naturell" ist nur ein Beispiel von vielen. Heute werden Wellness-Tee-Getränke verkauft, die nur Mini-Mengen Tee-Extrakt und vor allem Zucker und Aromastoffe enthalten. Oder roher Schinken, der aus Muskelteilen zusammengeklebt ist, ohne dass der Verbraucher es erfährt. Die mangelnde Transparenz in der Lebensmittelbranche ähnelt der Undurchsichtigkeit der Finanzindustrie.

Hunderte Seiten Verkaufsprospekt sind bei Leberwurst eher selten.

Wenn Sie ein Finanz-Zertifikat kaufen, können sie dessen Eigenschaften kaum überblicken, ohne ein Experte zu sein. Genauso ist es bei den Lebensmitteln. Oder verstehen Sie noch die Angaben auf den Verpackungen? Woher sollen Verbraucher wissen, dass auf einer Pastete "ohne Geschmacksverstärker" draufstehen darf, obwohl das gesundheitlich umstrittene Glutamat – getarnt als "Hefeextrakt" – enthalten ist? Das ist legale Täuschung.

Andererseits müssten die Menschen nach Gammelfleischskandalen und Dioxin-Diskussionen wissen, dass billiges Supermarktfleisch problematisch ist. Wollen sich die Verbraucher täuschen lassen? 

Wir haben noch nicht festgestellt, dass Verbraucher getäuscht werden wollen. Außerdem hat Lebensmittelsicherheit beim Fleisch nichts mit teuer oder billig zu tun. Auch billiges Fleisch muss sicher sein. So wie beim Polo die Bremsen genauso sicher sein müssen wie beim großen BMW.

Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass sich Menschen mit mehr Informationen besser ernähren.

Ziel der Transparenz ist es, dass Verbraucher wissen, was sie kaufen, und sich bewusster – gern auch besser – ernähren können. Bei Eiern hat sich gezeigt, dass Transparenz etwas verändert. Seit hier die Haltungsform gekennzeichnet wird, kauft kaum ein Mensch noch Käfigeier, obwohl die mit Abstand am billigsten sind.

Aber nicht jeder hat das Geld für Gourmet-Fleisch.

Das ist richtig. Doch im Lebensmittelmarkt gilt auch: Teuer muss nicht gut sein, und billig muss nicht schlecht sein. Der Preis ist kein Indikator für die Qualität.

Also kein Döner für Herrn Bode? 

Ich mag Döner, kaufe aber keinen, weil ich nicht weiß, was da wirklich drinsteckt, und weil es mir der Dönerverkäufer auch nicht sagt beziehungsweise sagen kann. Trotz aller Skandale hat sich die Lebensmittelbranche nicht verändert.

Was Foodwatch am Leben hält. Wo sehen Sie den nächsten großen Skandal? 

Foodwatch kämpft im Grunde jeden Tag dafür, sich selbst überflüssig zu machen. Dazu müssen wir den Lebensmittelmarkt aber grundlegend verändern. Die alltägliche Situation auf diesem Markt, vor allem auch auf dem Futtermittelmarkt, das ist der Skandal an sich. Mit Sicherheit befindet sich beispielsweise mehr Gammelfleisch im Umlauf, als uns lieb ist. Die meisten Skandale der Vergangenheit hatten mit Tierfutter zu tun. Im aktuellen Dioxinfall sickert immer mehr durch, dass Hersteller regelmäßig zu hoch mit Dioxin, belastete Futtermittelzutaten verwenden. Und zwar wissentlich: Offenbar testen die Unternehmen sehr viel mehr auf Dioxin als man denkt – nicht jedoch, um zu hoch belastete Chargen auszusortieren, sondern, um sie zu verdünnen. Das ist illegal, aber kaum nachweisbar, wenn die Belastung des Endprodukts, also im Mischfutter oder später im Ei, unter den Grenzwerten bleibt. Dadurch bleibt Dioxin jedoch in der Nahrungskette.

Eine Situation, die sich bei steigenden Rohstoffpreisen verschärfen wird.

Mit Sicherheit. Die Versuchung, minderwertige Rohstoffe einzusetzen, ist bei den laxen Vorschriften viel zu groß.

Selbst ein Biosiegel ist offenbar kein Schutz. Im Mai 2010 kam dioxinverseuchtes, falsch getrocknetes Biogetreide aus der Ukraine. Wie sieht die Lösung aus? 

Futtermittelhersteller müssen verpflichtet werden, jede einzelne Futtermittelzutat auf Dioxin zu testen, die Ergebnisse für die Behörden zu dokumentieren und nachzuweisen, dass zu hoch belastete Chargen entsorgt wurden.

Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner sagt, solche Kontrollen gäbe es längst.

Das ist falsch. Diese Verpflichtung gibt es nicht. Sonst hätte Frau Aigner diese Forderung nicht auf Druck von Foodwatch in ihrem Aktionsplan übernommen. Es ist auch kein Wunder, dass diese skandalösen Zustände herrschen. Frau Aigners Ministerium ist doch nichts anderes als ein Klientelministerium für die Agrar- und Lebensmittellobby. Frau Aigner vertritt daher qua Amt die Lobby der Futtermittelhersteller.

Zu einer besseren Information gehört eine bessere Kennzeichnung. Wie würde die aussehen? 

Transparenz liegt vor, wenn man die Qualität von Produkten schnell vergleichen kann. Die Nährstoffgehalte von Lebensmitteln, also Zucker, Salz und Fett, sollten zum Beispiel in Form der Lebensmittelampel dargestellt werden. Beim Fleisch könnten Herkunft, Rasse und Art der Fütterung Grundlage verschiedener Qualitätsklassen sein. Was "bessere Kennzeichnung" heißt, kann politisch verschieden interpretiert werden. Aus unserer Sicht ist wichtig: Sie muss einfach und verständlich sein, auch für Menschen, die keine Dreisatzrechnung beherrschen.

Ein Foodwatch-Report kommt zu dem Ergebnis, dass man nur dann wirksam das Klima schützt, wenn man sich ohne Fleisch ernährt. Wollen Sie uns das Schnitzel verbieten? 

Nein. Es gilt, mit Fakten zu zeigen, dass der Fleischkonsum gesellschaftlich gesehen höher ist, als es uns guttut.

Leben Sie vegan?

Nein. Ich esse gerne Fleisch – aber selten. Die Devise muss sein: "Zurück zum Sonntagsbraten". Und ich kaufe bei einem Schlachter, bei dem ich die Qualität selber nachprüfen kann.

Gibt es denn kein Menschenrecht auf Steak? 

Jedenfalls nicht in All-You-Can-Eat-Mengen. Heute isst jeder Deutsche durchschnittlich 90 Kilogramm Fleisch pro Jahr. Um uns nachhaltig zu ernähren, müssen wir mit bedeutend weniger auskommen. Das wäre übrigens auch gut für unsere Gesundheit.

Viele Experten bezweifeln, dass sich die wachsende Weltbevölkerung ohne Gentechnik ernähren lässt.

Kein seriöser Vertreter, selbst die Gentechnik-Saatgutindustrie, wird behaupten, dass man mit Gentechnik den Welthunger überwinden kann. Gentechnik ist ein Kostenmanagementprogramm der Industrie, das die Kosten der Unkraut- und Insektenbekämpfung verringert.

Doch das traditionelle Saatgut wirft weniger ab. Eine durch Gentechnik noch widerstandsfähigere Pflanze, die mit weniger Dünger auskommt, wäre doch ein Segen für Entwicklungsländer.

Seit Jahren macht die Gentechnikindustrie Versprechungen dafür und hält sie nicht ein. Die Landwirte in der Dritten Welt verfügen über hervorragend angepasstes Saatgut. Die Ernährungskrise lösen wir nicht durch Versprechungen oder Saatgut, für das die Bauern zusätzlich noch Patentzahlungen entrichten müssen und sich in die Abhängigkeit von Großkonzernen begeben. Damit werden wir den Welthunger nicht besiegen.

Für ein Happy End wären wir auch nicht zu Ihnen gekommen.

Das gibt es derzeit auch nicht. Weder in der Dritten Welt noch bei uns. Nicht einmal im Biosupermarkt geht es immer ehrlich zu. Nehmen wir die – inzwischen vom Markt genommene – Biolimonade "Beo Heimat Apfel und Birne" von Carlsberg, die noch nie einen Apfel oder eine Birne gesehen hat. Sie durfte sich Bio nennen, weil Zucker und Gerstenmalzextrakt nach Biorichtlinien hergestellt wurden. Die Lebensmittelshow, die uns überall vorgespielt wird, ist, gemessen an unserem Zivilisationsgrad, ein absolutes Unding. Aber Sie wollen sicher noch zum Abschluss einen Verbrauchertipp.

Unbedingt.

Wenn Verbraucher etwas ändern wollen, dann müssen sie sich zusammenschließen, sich wehren und sich nichts mehr gefallen lassen. 

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