Dieses Schicksal teilt der Süden Mississippis mit 19 Ölförderregionen in Louisiana, Texas, Oklahoma, Arkansas und Kansas. Wo noch vor wenigen Monaten regelrechter Ölrausch herrschte, hat der Kater das Zepter übernommen. Denn auch dort, so hat eine Analyse des Marktforschers Bloomberg New Energy Finance ergeben, ist das Bohren nach Öl ökonomisch sinnlos, solange das Barrel Öl weniger als 75 Dollar kostet.
„Bei 51,70 Dollar steht das Barrel nun“, sagt ein Handwerker, der seinen klapprigen Pick-up-Truck an der Exxon-Tankstelle am Ortsausgang von Liberty volltankt, beim Blick auf sein Smartphone. „Es wird dauern, bis die Dinge hier wieder anspringen.“ Aber dass es so kommt, dass Öl wieder so teuer sein wird wie vor einem Jahr, daran zweifelt er keinen Moment: „Jetzt ist eigentlich die beste Zeit für den Ort und für Firmen, um zu investieren und sich für den Boom zu rüsten.“
Die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas und Öl
Deutschland kann aus eigenen Quellen gut zehn Prozent seines Bedarfs decken. Der Rest wird überwiegend aus Norwegen (gut ein Viertel) und den Niederlanden (knapp ein Fünftel) geliefert. In unterirdischen Speichern wird im Regelfall der Bedarf für mindestens zwei Monate vorgehalten. Russland ist somit größter Lieferant beider Brennstoffe für Deutschland. Beim Gas bezieht auch die EU insgesamt rund ein Viertel ihres Verbrauchs aus Russland.
Die Hälfte des russischen Gases nimmt den Weg über die Ukraine. Da beide Länder schon häufig über Preise, Transitgebühren und Lieferungen stritten und zeitweise die Versorgung unterbrochen war, wurden in Europa Alternativen gesucht. So wurde die Pipeline Nord Stream, die von Russland über den Ostseegrund direkt nach Deutschland führt, gebaut. Sie ist nicht ausgelastet und könnte weiteres Gas aufnehmen, sollte über die Ukraine nicht mehr geliefert werden. Daneben strömt ein großer Teil des Brennstoffes auch über die Jamal-Pipeline über Weißrussland und Polen nach Deutschland.
Ein weiterer Weg wäre der Import von flüssigem Erdgas etwa aus dem Nahen Osten über Tanker nach Deutschland. In der Bundesrepublik gibt es aber kein Terminal zum Entladen. Auch eine Einfuhr etwa über Rotterdam spielt kaum eine Rolle.
Gas wird in Deutschland zum Heizen, für die Industrie und die Stromherstellung gebraucht. Letztere hat im Zuge der Energiewende an Bedeutung verloren, da die Kraftwerke durch Ökostrom-Anlagen verdrängt werden.
Daran ändert auch der Druck auf die Gaspreise weltweit nichts. Zwar steigt der Energiehunger in China und Indien. Auf der anderen Seite aber hat der Boom der Schiefergas-Gewinnung, dem sogenannten Fracking, die USA von Importen unabhängig gemacht. Das Land will nun sogar Gas ausführen. Auch die Ukraine wollte das Potenzial von Schiefergas nutzen und sich unabhängiger von Russland machen. Das erste Projekt zur Schiefergasförderung wurde Anfang 2013 zwischen der ukrainischen Regierung, dem Konzern Royal Dutch Shell und dem ukrainischen Partner Nadra geschlossen. Es geht um eine Fläche von der Größe des Saarlands. Der russische Gasmonopolist Gazprom hatte sich angesichts der Fracking-Konkurrenz zuletzt verstärkt bemüht, den Absatz nach Westeuropa zu sichern.
Russland ist auch Deutschlands größter Öllieferant. An Position zwei und drei liegen Großbritannien und Norwegen mit jeweils um die zehn Prozent. Auch Libyen, Nigeria und Kasachstan spielen ein Rolle. Gespeichert wird in Deutschland Öl für den Bedarf von mindestens 90 Tagen.
Der größte Teil des russischen Öls kommt über die Pipeline Druschba (Freundschaft) über Weißrussland und Polen ins brandenburgische Schwedt. Ein zweite Leitung führt über das Gebiet der Ukraine.
Öl wird als Treibstoff, für die Chemie, aber auch in vielen anderen Grundstoff-Industrien benötigt. Auch als Heizöl wird es in Deutschland oft eingesetzt. Der Preis ist nach jahrelangem Anstieg auf dem Weltmarkt etwas zurückgegangen. Die EU und Deutschland versuchen sich über den Einsatz von Biokraftstoffen und Elektroautos langfristig unabhängiger von Erdöl zu machen. Die Abhängigkeit bleibt aber für die kommenden Jahrzehnte hoch.
Die fünf Firmen, die in der Gegend Förderrechte im großen Stil erworben haben, senden indes ganz andere Signale. Im November verkündete die texanische Ölfirma Halcon, dass sie sich wegen des niedrigen Ölpreises aus dem Tuscaloosa Marine Shale zurückziehen und stattdessen auf Ölquellen in North Dakota und Texas konzentrieren werde. Dabei hatte erst im Juni der New Yorker Hedgefonds Apollo Global Management 150 Millionen Dollar in die Firma investiert, um die Aktivitäten in Mississippi anzukurbeln.
Der Wettbewerber Comstock ließ Anleger im Dezember wissen, dass der letzte Bohrturm in der Gegend abgebaut werde und die Firma erst zurückkehre, wenn der Ölpreis sich erholt habe. Das Unternehmen Goodrich Petroleum aus Texas, dessen Geschäft enorm vom Fracking in der Region abhängt, will zwar weiterhin dort tätig sein, hat seine geplanten Investitionen allerdings von 200 auf 100 Millionen Dollar halbiert.
Die Energiefirma Sanchez, ebenfalls aus dem Nachbarstaat Texas, hat zwar angekündigt, in diesem Jahr an drei Stellen im Bereich des Tuscaloosa Marine Shale zu bohren, doch bislang sind den Worten keine Taten gefolgt. Die kanadische Energiefirma Encana schließlich, die noch im Dezember gegenüber Investoren das enorme Potenzial des Ölfeldes beschworen hat, will sich offenbar erst einmal aus der Region zurückziehen.
Buchhalter im Ölrausch
Buchhalter McGehee, der sich seit der Ankündigung erster Bohrtrupps vor vier Jahren zum Fracking-Experten gemausert hat und heute Herausgeber der führenden Internet-Seite zum Tuscaloosa Marine Shale ist, kann all das nicht schocken. Er sieht Anzeichen, dass nicht alle Projekte in der Gegend auf Eis liegen. Am Ortseingang etwa hat Lubrizol, eine Ölfirma des Multimilliardärs Warren Buffett, ein riesiges Fabrikgelände angemietet.
Direkt gegenüber wird ein neues Fast-Food-Restaurant gebaut, und ein Stück weiter verwandelte ein Investor eine heruntergekommene Kfz-Werkstatt in ein modernes Zwischenlager für Ölbohrausrüstungen. „Für andere Städte sind solche Dinge nichts“, sagt McGehee, „aber für unseren kleinen Ort sind das bedeutende Investitionen. Und sie sagen mir: Viele glauben, dass es bald wieder bergauf geht.“
Sie glauben an das, was natürlich grundsätzlich durch die derzeitige Ölschwemme am Weltmarkt nicht außer Kraft gesetzt ist: Tendenziell werden die Rohstoffressourcen weniger, der Energiebedarf aber steigt. Eine Situation, die eigentlich langfristig nicht zu Dumpingpreisen für Energierohstoffe sorgen kann.
McGehee ist deswegen fest davon überzeugt, dass das Öl eines nicht sehr fernen Tages ein Segen sein wird – für Liberty, für die ganze Region und für seine Familie. Die McGehees haben ihren Landbesitz und die damit verbundenen Förderrechte in eine Holding eingebracht, und bei dieser Holding können Ölfirmen nun vorstellig werden und ihre Angebote unterbreiten. An vier Ölquellen auf dem Land der Familie wird bereits gefördert, an fünf Stellen wurden Bohrungen vereinbart und über zwei weitere wird gerade verhandelt. „Macht insgesamt elf Quellen, vorausgesetzt natürlich, dass irgendwann endlich wieder gebohrt wird“, meint McGehee.
Die Holding kassiert Pacht und ist als Eigentümerin der Förderrechte auch an den Erträgen der Quelle beteiligt. Die können ganz erheblich sein: Ölfirmen erzielten bis zum Versiegen einer Ölquelle 10, manchmal auch 20 Millionen Dollar Gewinn. Ein Fünftel davon steht den Eigentümern der Förderrechte zu. Diesen Betrag müssen sich allerdings oft Dutzende, manchmal Hunderte Landbesitzer teilen. Über seinen persönlichen Ertrag aus den vier Quellen verrät McGehee nur so viel: „Noch kann ich nicht vorzeitig in Ruhestand gehen.“