Wenn Bernell McGehee bis ganz ans Ende eines Waldweges gefahren ist, seinen braunen Geländewagen abgestellt hat und auf die offene Lichtung tritt, dann sieht er sie: die Erfüllung seines Traums. Beziehungsweise das, was er bisher dafür hielt.
Auf 70 Metern ragt ein Ölbohrturm in den Himmel, umringt von Lastwagen, Treibstofftanks, Wohncontainern und Baumaschinen. Hier ist McGehee in seinem Element. „Die Leute von der Erschließungsfirma haben senkrecht in den Schiefer gebohrt“, erklärt er, und seine Hand schraubt sich von oben nach unten durch die Luft, hält inne und schraubt waagerecht weiter: „Jetzt bohren sie horizontal.“ Mit dem Finger malt er zwei Linien in die Staubschicht auf der Heckscheibe. „Dann pressen sie Wasser in die beiden Bohrlöcher und sprengen das Gestein. Bumm.“
McGehee spreizt die Finger. „Dann kommt das Öl raus, bestes Louisiana Light Sweet. Diese Ölsorte ist so hochwertig, die können Sie direkt in den Tank Ihres Diesel füllen.“ Und nicht nur dem Tank tut dieses Öl Gutes. Sondern auch McGehees Konto. Der 700-Seelen-Gemeinde Liberty, in der er lebt. Dem ganzen Bundesstaat Mississippi. Das dachten sie hier, im Süden der Vereinigten Staaten, in den vergangenen Jahren jedenfalls; als die Ölpreise hoch waren und die Leute glaubten, aus unkonventionellen Quellen gewonnenes Öl bereite die Basis für eine neue Ära des Wohlstandes.
Nun aber sieht es hier, auf McGehees Lichtung, so aus: „Trinidad Rig Number125“ ist einer von neun Bohrtürmen in der Gegend. An zwei Türmen wird noch gearbeitet, der Rest ist stillgelegt. „In drei Monaten“, sagt McGehee, der als Buchhalter in Liberty arbeitet, „wird hier wahrscheinlich überhaupt nicht mehr gebohrt.“
Es wäre ein jähes Ende für den Fracking-Ölboom, der noch vor Kurzem Bevölkerung und Politik in Mississippi in Atem hielt und fünf Ölfirmen mit Tausenden von Arbeitern anlockte. Wer wie McGehee hier Land besitzt, sah sich schon als Ölbaron. Andere hofften auf das schnelle Geld als Vermieter, Handwerker, Restaurantbesitzer – oder Hotelier. Noch bevor der erste Tropfen Öl auf dem Land der Kommune gefördert wurde, überwiesen Ölfirmen 30 Millionen Euro für die Förderrechte.
Quelle 80 ist die Letzte
Nun aber, nachdem insgesamt 80 Quellen gebohrt wurden, ist Schluss. Schuld daran sind – da sind sich die Bewohner von Liberty einig – die Scheichs im fernen Saudi-Arabien. Sie fluten den Weltmarkt mit Öl, das dieser Tage statt weit über 100 Dollar pro Barrel, wie noch im vergangenen Herbst, um die 50 Dollar kostet. Mindestens 75 aber bräuchten die Förderer. Sinkt der Preis tiefer, übersteigen die Produktionskosten den Ertrag, und die Fracking-Firmen werden nervös. Sie frieren Investitionen ein, verzichten auf Bohrungen, warten auf bessere Zeiten oder ziehen ganz ab. Das Fracking-Märchen würde dann enden.
Liberty, das bislang nur als Schlachtfeld im amerikanischen Bürgerkrieg, als Tatort zweier Morde an Schwarzen während der Bürgerrechtsbewegung und als vorübergehender Wohnort der jüngeren Schwester von Popstar Britney Spears öffentlich in Erscheinung getreten war, wollte das Drehkreuz für die Erschließung eines der wichtigsten Ölfelder der USA werden. Tuscaloosa Marine Shale heißt das Ölvorkommen. Sieben Milliarden Barrel förderbares Öl lagern hier in über 3000 Meter Tiefe, eingeschlossen in 90 Millionen Jahre altes Schiefergestein.
Und damit ist auch schon ein Problem beschrieben: Während die Saudis ihr Öl einfach aus dem Boden pumpen können, knacken die Amerikaner ihre Schieferölvorkommen nur, wenn sie das Gestein anbohren und aufsprengen. Dieses Fracking ist nicht nur mitunter riskant für die Umwelt – es ist auch teuer. Angesichts der bis vergangenen Herbst gestiegenen Ölpreise war das kein Problem. Das Schieferöl katapultierte die USA im vergangenen Jahr an die Spitze der Öl produzierenden Länder. Mit elf Millionen Barrel pro Tag zogen die USA laut Bank of America an Russland und Saudi-Arabien vorbei.
Auch am Tuscaloosa Marine Shale könnte Fracking zum Multimilliarden-Business werden: Sieben Milliarden Barrel im Boden, multipliziert mit einem Verkaufspreis von 100 Dollar pro Barrel, macht 700 Milliarden Dollar. Theoretisch.
Praktisch versiegen Öl und Geld, wenn der Barrel-Preis 75 Dollar unterschreitet. Das wissen auch die Ölscheichs im fernen Saudi-Arabien. Sie können auch für unter 75 Dollar immer noch etwas am Barrel Öl verdienen – und sehen derzeit deswegen offenbar keinen Anlass, durch eine Drosselung der Fördermenge den weltweiten Ölpreis wieder in die Höhe zu treiben. Zumindest nicht in jene Höhen, auf denen sich das Fracking auf Ölfeldern wie jenem von Bernell McGehee wieder wirklich rentieren würde. Und so ist Liberty nun wieder das verschlafene Nest, das es vor dem kleinen Ölrausch immer war.
Hoffen auf die Rückkehr zum alten Ölpreis
Dieses Schicksal teilt der Süden Mississippis mit 19 Ölförderregionen in Louisiana, Texas, Oklahoma, Arkansas und Kansas. Wo noch vor wenigen Monaten regelrechter Ölrausch herrschte, hat der Kater das Zepter übernommen. Denn auch dort, so hat eine Analyse des Marktforschers Bloomberg New Energy Finance ergeben, ist das Bohren nach Öl ökonomisch sinnlos, solange das Barrel Öl weniger als 75 Dollar kostet.
„Bei 51,70 Dollar steht das Barrel nun“, sagt ein Handwerker, der seinen klapprigen Pick-up-Truck an der Exxon-Tankstelle am Ortsausgang von Liberty volltankt, beim Blick auf sein Smartphone. „Es wird dauern, bis die Dinge hier wieder anspringen.“ Aber dass es so kommt, dass Öl wieder so teuer sein wird wie vor einem Jahr, daran zweifelt er keinen Moment: „Jetzt ist eigentlich die beste Zeit für den Ort und für Firmen, um zu investieren und sich für den Boom zu rüsten.“
Die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas und Öl
Deutschland kann aus eigenen Quellen gut zehn Prozent seines Bedarfs decken. Der Rest wird überwiegend aus Norwegen (gut ein Viertel) und den Niederlanden (knapp ein Fünftel) geliefert. In unterirdischen Speichern wird im Regelfall der Bedarf für mindestens zwei Monate vorgehalten. Russland ist somit größter Lieferant beider Brennstoffe für Deutschland. Beim Gas bezieht auch die EU insgesamt rund ein Viertel ihres Verbrauchs aus Russland.
Die Hälfte des russischen Gases nimmt den Weg über die Ukraine. Da beide Länder schon häufig über Preise, Transitgebühren und Lieferungen stritten und zeitweise die Versorgung unterbrochen war, wurden in Europa Alternativen gesucht. So wurde die Pipeline Nord Stream, die von Russland über den Ostseegrund direkt nach Deutschland führt, gebaut. Sie ist nicht ausgelastet und könnte weiteres Gas aufnehmen, sollte über die Ukraine nicht mehr geliefert werden. Daneben strömt ein großer Teil des Brennstoffes auch über die Jamal-Pipeline über Weißrussland und Polen nach Deutschland.
Ein weiterer Weg wäre der Import von flüssigem Erdgas etwa aus dem Nahen Osten über Tanker nach Deutschland. In der Bundesrepublik gibt es aber kein Terminal zum Entladen. Auch eine Einfuhr etwa über Rotterdam spielt kaum eine Rolle.
Gas wird in Deutschland zum Heizen, für die Industrie und die Stromherstellung gebraucht. Letztere hat im Zuge der Energiewende an Bedeutung verloren, da die Kraftwerke durch Ökostrom-Anlagen verdrängt werden.
Daran ändert auch der Druck auf die Gaspreise weltweit nichts. Zwar steigt der Energiehunger in China und Indien. Auf der anderen Seite aber hat der Boom der Schiefergas-Gewinnung, dem sogenannten Fracking, die USA von Importen unabhängig gemacht. Das Land will nun sogar Gas ausführen. Auch die Ukraine wollte das Potenzial von Schiefergas nutzen und sich unabhängiger von Russland machen. Das erste Projekt zur Schiefergasförderung wurde Anfang 2013 zwischen der ukrainischen Regierung, dem Konzern Royal Dutch Shell und dem ukrainischen Partner Nadra geschlossen. Es geht um eine Fläche von der Größe des Saarlands. Der russische Gasmonopolist Gazprom hatte sich angesichts der Fracking-Konkurrenz zuletzt verstärkt bemüht, den Absatz nach Westeuropa zu sichern.
Russland ist auch Deutschlands größter Öllieferant. An Position zwei und drei liegen Großbritannien und Norwegen mit jeweils um die zehn Prozent. Auch Libyen, Nigeria und Kasachstan spielen ein Rolle. Gespeichert wird in Deutschland Öl für den Bedarf von mindestens 90 Tagen.
Der größte Teil des russischen Öls kommt über die Pipeline Druschba (Freundschaft) über Weißrussland und Polen ins brandenburgische Schwedt. Ein zweite Leitung führt über das Gebiet der Ukraine.
Öl wird als Treibstoff, für die Chemie, aber auch in vielen anderen Grundstoff-Industrien benötigt. Auch als Heizöl wird es in Deutschland oft eingesetzt. Der Preis ist nach jahrelangem Anstieg auf dem Weltmarkt etwas zurückgegangen. Die EU und Deutschland versuchen sich über den Einsatz von Biokraftstoffen und Elektroautos langfristig unabhängiger von Erdöl zu machen. Die Abhängigkeit bleibt aber für die kommenden Jahrzehnte hoch.
Die fünf Firmen, die in der Gegend Förderrechte im großen Stil erworben haben, senden indes ganz andere Signale. Im November verkündete die texanische Ölfirma Halcon, dass sie sich wegen des niedrigen Ölpreises aus dem Tuscaloosa Marine Shale zurückziehen und stattdessen auf Ölquellen in North Dakota und Texas konzentrieren werde. Dabei hatte erst im Juni der New Yorker Hedgefonds Apollo Global Management 150 Millionen Dollar in die Firma investiert, um die Aktivitäten in Mississippi anzukurbeln.
Der Wettbewerber Comstock ließ Anleger im Dezember wissen, dass der letzte Bohrturm in der Gegend abgebaut werde und die Firma erst zurückkehre, wenn der Ölpreis sich erholt habe. Das Unternehmen Goodrich Petroleum aus Texas, dessen Geschäft enorm vom Fracking in der Region abhängt, will zwar weiterhin dort tätig sein, hat seine geplanten Investitionen allerdings von 200 auf 100 Millionen Dollar halbiert.
Die Energiefirma Sanchez, ebenfalls aus dem Nachbarstaat Texas, hat zwar angekündigt, in diesem Jahr an drei Stellen im Bereich des Tuscaloosa Marine Shale zu bohren, doch bislang sind den Worten keine Taten gefolgt. Die kanadische Energiefirma Encana schließlich, die noch im Dezember gegenüber Investoren das enorme Potenzial des Ölfeldes beschworen hat, will sich offenbar erst einmal aus der Region zurückziehen.
Buchhalter im Ölrausch
Buchhalter McGehee, der sich seit der Ankündigung erster Bohrtrupps vor vier Jahren zum Fracking-Experten gemausert hat und heute Herausgeber der führenden Internet-Seite zum Tuscaloosa Marine Shale ist, kann all das nicht schocken. Er sieht Anzeichen, dass nicht alle Projekte in der Gegend auf Eis liegen. Am Ortseingang etwa hat Lubrizol, eine Ölfirma des Multimilliardärs Warren Buffett, ein riesiges Fabrikgelände angemietet.
Direkt gegenüber wird ein neues Fast-Food-Restaurant gebaut, und ein Stück weiter verwandelte ein Investor eine heruntergekommene Kfz-Werkstatt in ein modernes Zwischenlager für Ölbohrausrüstungen. „Für andere Städte sind solche Dinge nichts“, sagt McGehee, „aber für unseren kleinen Ort sind das bedeutende Investitionen. Und sie sagen mir: Viele glauben, dass es bald wieder bergauf geht.“
Sie glauben an das, was natürlich grundsätzlich durch die derzeitige Ölschwemme am Weltmarkt nicht außer Kraft gesetzt ist: Tendenziell werden die Rohstoffressourcen weniger, der Energiebedarf aber steigt. Eine Situation, die eigentlich langfristig nicht zu Dumpingpreisen für Energierohstoffe sorgen kann.
McGehee ist deswegen fest davon überzeugt, dass das Öl eines nicht sehr fernen Tages ein Segen sein wird – für Liberty, für die ganze Region und für seine Familie. Die McGehees haben ihren Landbesitz und die damit verbundenen Förderrechte in eine Holding eingebracht, und bei dieser Holding können Ölfirmen nun vorstellig werden und ihre Angebote unterbreiten. An vier Ölquellen auf dem Land der Familie wird bereits gefördert, an fünf Stellen wurden Bohrungen vereinbart und über zwei weitere wird gerade verhandelt. „Macht insgesamt elf Quellen, vorausgesetzt natürlich, dass irgendwann endlich wieder gebohrt wird“, meint McGehee.
Die Holding kassiert Pacht und ist als Eigentümerin der Förderrechte auch an den Erträgen der Quelle beteiligt. Die können ganz erheblich sein: Ölfirmen erzielten bis zum Versiegen einer Ölquelle 10, manchmal auch 20 Millionen Dollar Gewinn. Ein Fünftel davon steht den Eigentümern der Förderrechte zu. Diesen Betrag müssen sich allerdings oft Dutzende, manchmal Hunderte Landbesitzer teilen. Über seinen persönlichen Ertrag aus den vier Quellen verrät McGehee nur so viel: „Noch kann ich nicht vorzeitig in Ruhestand gehen.“
Abruptes Ende des Ölrauschs in North Dakota
2000 Kilometer nordwestlich von Liberty, in North Dakota, ist der Traum vom vorzeitigen Ruhestand für etliche Landbesitzer schon wahr geworden. In dem kargen Bundesstaat an der kanadischen Grenze wurden vor knapp zehn Jahren neue Schieferölvorkommen entdeckt und seither flächendeckend erschlossen.
Aus einem der ärmsten Bundesstaaten wurde schlagartig einer der reichsten. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt dort heute 30 Prozent über dem Landesdurchschnitt. Viele Landbesitzer verdienen Zehntausende Dollar pro Monat durch die Ölförderung, manche sogar einige Hunderttausend Dollar. So brachte der Boom jährlich Hunderte neue Millionäre hervor, sanierte den Haushalt des Staates und verdoppelte die Einwohnerzahl etlicher Dörfer und Städte.
North Dakota ist das, was die Menschen in Liberty im Hinterkopf haben, wenn sie vom Öl sprechen. Doch zugleich ist North Dakota den Menschen in Mississippi auch ein warnendes Beispiel. Denn so märchenhaft der Aufstieg in Zeiten teuren Öls war, so schmerzhaft droht der Absturz. Bei diesem Preis ist selbst die Förderung in North Dakota, wo die Bohrer leichter an das Öl kommen als in Mississippi, kaum kostendeckend.
Tausende Arbeiter in North Dakota hat der Ölpreisverfall in den vergangenen Wochen schon den Job gekostet. Allein der Förderkonzern Schlumberger entließ auf einen Schlag 9000 Mitarbeiter. Die Zahl der aktiven Bohrtürme sank auf den niedrigsten Stand seit fünf Jahren: 187 Bohrtürme gab es im Januar des vorigen Jahres, ein Jahr später waren es nur noch 161. „Im Juni werden es nur noch 50 sein“, meint Jim Arthaud, Chef der Firma MBI Energy Services, die die Ölförderer mit technischer Ausrüstung beliefert. „Dann werden 20 000 weitere Jobs weg sein.“
BASF zwischen den Fronten
Der graue Kasten ist breit und hoch wie ein Mehrfamilienhaus. Ohne ihn ginge in Amerikas größtem BASF-Standort in Geismar, Louisiana, nicht viel. Im Inneren der monströsen Anlage werden gewaltige Ströme von Erdgas in die Bestandteile Kohlenmonoxid und Wasserstoff zerlegt. Diese Gase wiederum schießen dann durch Rohre zu den verschiedenen Reaktoren und Produktionsstätten auf dem Gelände, wo sie zu Ausgangssubstanzen für Schaumstoffmatratzen, Zahnpasta, Pflanzenschutzmitteln oder Textilien weiterverarbeitet werden.
Der Verfall des Ölpreises kommt beim Verbraucher an
Das liegt im wesentlichen am Preisrutsch für Rohöl. Der Ölpreis hat sich jahrelang weitgehend in einem Preisband zwischen 100 und 115 Dollar für ein Barrel (159 Liter) der Nordsee-Sorte Brent bewegt. Diesen Korridor hat der Preis Anfang September verlassen und ist im Oktober nochmals kräftig abgestürzt, auf nur noch 85 Dollar. Die subjektive Wahrnehmung der Autofahrer, dass Benzin und Diesel immer teurer werden, wird von den Daten seit 2012 nicht mehr gedeckt.
Auf der Angebotsseite ist reichlich Öl vorhanden. „Die Reaktion der Produzenten lässt auf sich warten“, sagt der Hamburger Energieexperte Steffen Bukold. Saudi-Arabien, das innerhalb des Opec-Kartells sonst die Feinsteuerung des Marktes übernommen hat, will nicht allein seine Produktion kürzen. Dahinter steht ein Kampf um Marktanteile in Asien, wo für die Opec-Staaten die einzig wachsenden Absatzmärkte für ihr Öl liegen. Die Nachfrage nach Öl verläuft wegen der verhaltenen Weltkonjunktur zudem flau und kann den Preis nicht stützen.
Das ist mittelfristig denkbar, geht aber nicht so schnell. Manche Förderanlagen könnten unrentabel werden, wenn der Ölpreis noch weiter fällt und dauerhaft niedrig bleibt. Ob es dazu kommt, ist noch nicht absehbar. Zudem bekommen viele Förderländer - auch Russland - bei einem Ölpreis deutlich unter 100 Dollar ein Problem mit der Finanzierung ihres Staatshaushalts. Bislang allerdings liegt der durchschnittliche Ölpreis für 2014 immer noch bei 106 Dollar, nach 109 im Vorjahr. Das ist für die Ölländer noch kein schlechtes Jahr.
Nach dem Energiepreis-Monitor der European Climate Foundation sind die Preise für Energierohstoffe währungsbereinigt im September um 1,2 Prozent gefallen und gleichzeitig die Verbraucherpreise für Kraft- und Schmierstoffe um 0,4 Prozent gestiegen. Anders als in Frankreich und Italien. „Ein Teil des Anstiegs ist nur so zu erklären, dass fallende Rohstoffpreise nicht eins zu eins auf Verbraucherebene weitergegeben wurden“, heißt es in der Mitteilung der Stiftung. Die Branche bestreitet das: „Der harte Wettbewerb der Tankstellen in Deutschland sorgt dafür, dass der gesunkene Ölpreis über niedrigere Benzin- und Dieselpreise auch bei den Verbrauchern ankommt“, sagte ein Sprecher des Mineralölwirtschaftsverbandes (MWV) in Berlin.
Das kann niemand sagen. Schon bislang ist der Preisrückgang gebremst worden, weil der Euro gegenüber dem Dollar an Wert verloren hat. Für einen Euro bekommt ein Ölimporteur nur noch 1,28 Dollar, das sind 10 Cent weniger als vor ein paar Monaten. Deshalb braucht er mehr Euro, um die gleiche Menge Dollar für den Ölkauf aufzubringen. Fällt der Euro noch weiter, ist das schlecht für den Autofahrer. Der Ölpreis selbst hat nach unten vielleicht weniger Luft als nach oben. Gibt die Opec bei ihrer nächsten Sitzung im November ein klares Signal, dann kann der Preis auch schnell wieder in den alten Preiskorridor oberhalb von 100 Dollar zurückkehren, meint Ölexperte Bukold.
„Die Erdgas-Aufspaltung ist das Herzstück unseres Standortes“, sagt Tom Yura, BASF-Chef in Geismar, „denn sie liefert unsere wichtigsten Rohstoffe.“ Genau aus diesem Grund haben Yura und seine 1500 Mitarbeiter den Ölpreis nicht weniger genau im Blick als die Arbeiter auf den Ölfeldern von Mississippi und North Dakota. Die Perspektive allerdings ist eine andere: Je tiefer der Ölpreis sinkt, umso billiger wird in der Regel auch das Erdgas, und umso glücklicher ist Yura. Zumindest bis zu einer bestimmten Grenze.
„80 Prozent der gesamten Kosten des Standortes entfallen auf Erdgas und Öl“, meint Yura, „da können Sie sich ausrechnen, wie wir uns freuen, wenn der Ölpreis um ein, zwei Dollar pro Barrel sinkt.“
Auch hier sind die Folgen des Booms gut sichtbar: Dutzende Container beherbergen neue Mitarbeiter, für die in den vorhandenen Verwaltungsgebäuden kein Platz mehr war. „Wir nennen das unsere Bühne“, witzelt Yura. „Wer als Neuer hier eine gute Vorstellung gibt, darf nach einigen Jahren in ein richtiges Büro umziehen.“ In den vergangenen fünf Jahren hat BASF in Louisiana Investitionen von über 350 Millionen Dollar angekündigt und mehr als 100 neue Stellen geschaffen. Yura muss nicht lange überlegen, was der wichtigste Grund dafür ist: „Das Erdgas, das durch den Fracking-Boom so unglaublich billig wurde.“
Für Yura, der auch daran gemessen wird, ob die kostspieligen Erweiterungen seiner Anlagen rechtzeitig fertiggestellt werden, kommt es noch besser: Weil wegen der niedrigen Ölpreise Fracking-Projekte in Louisiana, Texas und Mississippi abgeblasen werden, bekommt er Bauleistungen nun schneller und günstiger. Auch bei der Suche nach eigenen Mitarbeitern konkurriert er nicht mehr so stark mit den Ölfirmen der Region.
Unlängst bewarben sich weit mehr als 1000 Techniker auf 20 ausgeschriebene Techniker-Stellen bei BASF. Bisher also überwiegen für die Deutschen die Vorteile des gedämpften Fracking-Booms.
Dennoch hofft auch Yura, dass die Ölpreise nicht auf Dauer unter dem Niveau bleiben, auf dem sich für die Förderer das Fracking lohnt. Denn Yura ist nicht maßlos. Er weiß: Stürzt der Ölpreis ins Bodenlose, schadet das auch seinem Arbeitgeber. „Die Fracking-Firmen sind eines unserer Erfolgsgeheimnisse“, sagt Yura. „Sie müssen so viel verdienen, dass sie am Markt bleiben und uns weiter so schön beliefern können.“