„Füllstände der Gasspeicher historisch tief“ Schützt eine Gasreserve vor Russlands Willkür?

Dauerhaft unter 10 Prozent: Außenanlagen von Deutschlands größtem Erdgasspeicher in Rehden in Niedersachsen Quelle: REUTERS

Gazprom liefert zu wenig, die deutschen Gas-Speicher sind schlecht gefüllt. Sebastian Bleschke, Geschäftsführer des Speicher-Verbands, über knappe Reserven, russische Eigner – und Robert Habecks Pläne.

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Herr Bleschke, Sie sind Geschäftsführer der Initiative Energien Speichern (INES), dem Branchenverband der Erdgas-Speicher-Unternehmen. Anfang dieser Woche war der Füllstand in deutschen Speichern bei etwa 46 Prozent. Beunruhigt Sie das?
Zumindest ist das für diese Jahreszeit historisch tief. Wenn man sich die letzten zehn Jahre ansieht, hatten wir Mitte Januar einen durchschnittliche Füllstand von etwa 73 Prozent. Jetzt liegen wir fast 30 Prozentpunkte unter dieser Marke.

Deutschland hat das größte Erdgas-Speichervolumen in Europa und weltweit das viertgrößte, nach den USA, Russland und der Ukraine. Wie viel dieser Speicherkapazität gehört dem russischen Staatskonzern Gazprom oder einer seiner Töchter?
Etwa 20 bis 25 Prozent der Speicherkapazitäten in Deutschland, das kann man unterschiedlich berechnen, weil der Speicher Haidach der Gazprom-Tochtergesellschaft Astora in Österreich liegt, aber mit dem deutschen System eng verbunden ist. In Rehden in Niedersachsen betreibt Astora Deutschlands größten Erdgas-Speicher.

Welche Rolle spielt Rehden?
Na ja, der Speicher ist der Elefant im Raum. Rehden alleine macht deutlich über 16 Prozent der deutschen Speicherkapazitäten aus. Seit dem zweiten Quartal des vergangenen Jahres war dieser Speicher kaum mehr als 10 Prozent gefüllt, Anfang dieser Woche lag die Füllmenge bei 5,85 Prozent.

Wir haben jetzt Mitte Januar. Noch ist das ein verhältnismäßig warmer Winter. Womit rechnen Sie? Wie werden sich die Füllstände weiter entwickeln?
Seit dem 5. Januar sind wieder umfangreiche Ausspeicherungen vorgenommen worden. In nur zwei Wochen ist der Füllstand von 54 auf 46 Prozent stark abgesunken. Was das für die Versorgungssicherheit bedeutet, ist aktuell schwer absehbar. Der Gasmarkt ist aber sicher gut beraten, sorgsam mit den aktuell knappen Reserven umzugehen.

Das Bundeswirtschaftsministerium sagt: Ja, die Füllstände sind niedrig. Aber wir haben das sehr genau im Blick, die Versorgungssicherheit ist nicht gefährdet. Woran machen Sie die knappen Reserven fest?
2015 hat das Bundeswirtschaftsministerium ein Gutachten in Auftrag gegeben und veröffentlicht, in dem Mindestfüllstände für bestimmte Risikoszenarien angegeben sind, Stichtag: 1. Februar. Das Ergebnis: Bei einer sieben Tage dauernden Extremkälte ist ein Füllstand von 40 Prozent nötig. Um das Eintreten einer Versorgungslücke zu vermeiden, bei einer dauerhaften Kälte von 30 Tagen ein Füllstand von 50 Prozent. Bei einem politischen Konflikt, etwa wenn Russland in einem Normalwinter seine Gaslieferungen einstellt, sei ein Mindestfüllstand entsprechend des Gutachtens von 60 Prozent notwendig, um einen Versorgungsengpass zu verhindern. Eine neuere Expertise zu erforderlichen Speicherfüllständen seitens der Bundesbehörden ist mir nicht bekannt.

Der Stichtag ist der 1. Februar? Der ist ja bald. Und? Was erwarten Sie: Wie werden die Speicher bis dahin gefüllt sein?
Wird bei gleichbleibendem Tempo ausgespeichert, liegt der Füllstand Anfang Februar bei deutlich unter 40 Prozent, vielleicht sogar unter 35 Prozent. Es ist offensichtlich, dass keiner der im Gutachten des Bundeswirtschaftsministeriums benannten Füllstände dann gewährleistet wäre. Aber der Gasmarkt ist hochkomplex. Ob dadurch die Versorgungssicherheit tatsächlich gefährdet ist, lässt sich nur schwer vorhersagen.

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von Nele Husmann

Vor ein paar Tagen hat die Trading Hub Europe zwei Sonderausschreibungen auf ihrer Seite veröffentlicht, so genannte Long-Term-Options. Die THE ist die Marktgebietsverantwortliche für den deutschen Gasmarkt. In Abstimmung mit dem Wirtschaftsministerium und der Netzagentur kauft die THE jetzt also Gas ein, um das System stabil zu halten, für Februar und für März. Ist das etwas Besonderes?
Das ist die zweite Sonderausschreibung innerhalb kürzester Zeit, eine weitere gab’s im Dezember. Das ist schon ein ungewöhnlicher Vorgang, der die Unruhe zeigt, die aktuell offenbar auch im Bundeswirtschaftsministerium vorhanden sein muss, was die Füllstände anbelangt.

Ist das eine Panikreaktion?
Von Panik würde ich nicht sprechen. Aber hier wird zumindest aktuell der Versuch unternommen, mitten im Winter bei einer angespannten Marktlage eine kleine Gasreserve für das Ende des Winters aufzubauen. Zwar waren die Ausschreibungen von THE bislang gedeckt, allerdings zu extrem hohen Preisen. Dabei hätte durchaus die Möglichkeit bestanden vorausschauender zu Handeln. Bereits im September haben wir als INES empfohlen, die Long-Term-Options frühzeitiger auszuschreiben.

Eine kleine Gasreserve mag zu wenig sei, um den großen Bedarf abzudecken. Robert Habeck hat angesichts der Füllstände ja aktuell eine nationale Reserve angeregt, auch die SPD dringt darauf. Kann das die Probleme lösen?
Ich will es mal ganz deutlich sagen: Ich kann mir schwer vorstellen, dass Großhandelspreise von über 180 EUR, wie wir sie im Dezember gesehen haben, noch durch die Angebotsseite definiert sind. Vielmehr scheint die Nachfrageseite in diesen Momenten preissetzend zu sein. Industriekunden haben ihre Anlagen gedrosselt oder ganz abgeschaltet, weil sie zu den Gaspreisen nicht mehr wirtschaftlich produzieren konnten oder können. Der Markt kam also durch eine Nachfragereduktion ins Gleichgewicht. Nun kann auf der einen Seite gesagt werden, dass der Markt funktioniert, weil er diese Preissignale ausgesendet hat. Auf der anderen Seite ist aber durchaus die Frage zu stellen, was wir unter einer sichere Gasversorgung, auch der Industriekunden verstehen. Insofern teile ich zunächst einmal die Aussage von Bundesminister Habeck, dass er in der Beantwortung dieser Frage eine politische Aufgabe sieht. Ohne Zweifel wirken gut gefüllte Speicher sich positiv auf die Bezahlbarkeit und Sicherheit der Gasversorgung aus. Wenn Minister Habeck sagt, dass er die Möglichkeiten verbessern möchte, für den nächsten Winter vorzusorgen, damit die Gasspeicher gut gefüllt sind, ist das also ebenso nachvollziehbar.

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Aber was halten Sie konkret von dem Vorschlag einer nationalen Gasreserve? Was sollte beachtet werden?
Natürlich stellt eine nationale Gasreserve zunächst einmal sicher, dass Gas in Speichern ist. Die damit verbundenen Kosten sind allerdings sehr hoch. Die Gasmärkte sind aufgrund der Heizperiode stark saisonal geprägt. Es macht aus meiner Sicht keinen Sinn, im Sommer große Gasvorräte analog zur strategischen Ölreserve aufrechtzuerhalten und damit auch zu bezahlen. In dieser Hinsicht hat eine Verpflichtung der Lieferanten Vorteile. Lieferanten könnten dazu verpflichtet werden, Gasmengen in Speichern für den Winter vorzusorgen. Damit das auch wirklich passiert, könnte diese Verpflichtung stellvertretend durch den Marktgebietsverantwortlichen THE umgesetzt werden. Die Lieferanten würden dann nur den finanziellen Beitrag leisten müssen. Diese Vorsorgepflicht könnte dann zum Ende des Winters immer wieder auslaufen und würde keine Kosten im Sommer verursachen. Im Übrigen hat ein Gutachten des Bundeswirtschaftsministerium aus dem Jahr 2015 bereits belegt, dass eine Lieferantenverpflichtung weniger Kosten verursacht als eine nationale Gasreserve.

Aber muss der Staat hier wirklich in den Markt eingreifen?
Bei der Suche nach geeigneten Lösungen sollten die Auswirkungen auf den Gasmarkt beachtet werden. Der Eingriff sollte möglichst minimalinvasiv erfolgen und die liberalisierten Marktstrukturen nicht im Grundsatz aushebeln. Beispielsweise sollte der Markt nicht aus der Pflicht entlassen werden, Gas zu beschaffen und vorzusorgen, indem entflochtene Netzbetreiber diese Aufgabe übernehmen. Vielmehr sollte die Politik dem Markt Leitplanken bei der Beschaffung setzen, die eine Wiederholung der aktuell angespannten Situation auf dem Gasmarkt verhindern.

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