Nein, eine so saftige Gewinnprognose wie RWE hat EnBW, der Versorger aus dem Süden, nicht vermeldet. Das Ergebnis ist im ersten Halbjahr leicht zurückgegangen, knapp über drei Milliarden Euro sollen es 2022 dennoch werden, ein Plus von zwei bis sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Die Ziele der Umlage sind eindeutig
Aber selbst wenn der Gewinn nicht so traumhaft ausfallen wird wie bei RWE, er ist immer noch satt. So satt, dass es wie Missbrauch erscheint, wenn EnBW, anders als RWE und auch Shell, nicht auf Geld aus der Gas-Umlage verzichtet, sondern stattdessen mitzunehmen scheint, was irgend geht – nicht, um eine Pleite zu verhindern, sondern um das Ergebnis abzusichern. Dabei heißt es in der Erläuterung der Bundesregierung zur Umlage-Verordnung doch so eindeutig und zweifelsfrei: „Ausgleichszahlungen an die Gasimporteure sollen ermöglicht werden, die ausreichen, um Insolvenzen zu verhindern, aber nicht zu einer Absicherung von Gewinnen auf Kosten der Verbraucher führen.“
Droht EnBW die Insolvenz?
Droht dem Riesen EnBW also eine Insolvenz? Klar, durch die Tochter VNG, den Gas-Importeur, hat der Konzern zweifellos Risiken im Portfolio. Man sei „im Gegensatz zu Mitbewerbern vom Ausfall der russischen Gasliefermengen durchaus betroffen“, heißt es vonseiten des Konzerns. In den Zahlen für das erste Halbjahr hat EnBW entsprechend auch ein Minus von rund 550 Millionen Euro verbucht, als Preis für die Ersatzbeschaffung.
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Aber es ist alles eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Und da ist es so, dass der scheidende EnBW-Chef Frank Mastiaux an der Gewinnprognose festgehalten hat.
Nicht einmal weniger Gewinn fürchtet er durch diese Verluste. Und noch Anfang Juli versicherte Mastiaux im WirtschaftsWoche-Podcast „Chefgespräch“: „Wenn man alles zusammennimmt und sich die Finanzmittelsituation der VNG anguckt, dann ergibt sich daraus keine unmittelbare Bestandsgefährdung.“ Eine drohende Insolvenz à la Uniper also? Nö, nicht wirklich.
Knapp 47 Prozent an EnBW gehören Baden-Württemberg
Klar, fix ist derzeit nichts, auch eine Analyse nicht. Für Unternehmen wie EnBW mögen sich neue Bewertungen ergeben: Es besteht das Risiko, von Rating-Agenturen abgewertet zu werden, von schwindelerregenden Margining-Forderungen zur Geschäftsabsicherung, und wer weiß schon, was Putin macht. Aber auf eine fundamental neue Bewertung der Situation hat bei EnBW auch in den vergangenen Tagen nichts hingedeutet.
Und so muss der Versorger, dessen Aktien zu knapp 47 Prozent dem Land Baden-Württemberg gehören und zu ebenfalls knapp 47 Prozent dem Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke – also Kommunen – sich fragen lassen, in wessen Interesse er handelt: Im Interesse der Verbraucher jedenfalls nicht, und im Geist der Umlage-Verordnung auch nicht. Vielleicht ist im Ländle weniger eine Gratismentalität das Problem als vielmehr eine Mitnahmementalität.
In Stuttgart müssen vor allem die Grünen Antworten geben
Ist die politisch verantwortbar? Pikant ist natürlich, dass es jetzt vor allem die Grünen sind, die in Baden-Württemberg die grün-schwarze Landesregierung anführen, die beantworten müssen, ob sie das Verhalten von EnBW für angemessen halten, Finanzminister Danyal Bayaz etwa sitzt im EnBW-Aufsichtsrat. Ausgerechnet von – grünen – Verbraucherschützern gibt es Kritik an Unternehmen, die die Umlage trotz guter Geschäftsaussichten nutzen, um sich abzupolstern. Und für die Bundesregierung, allen voran Wirtschaftsminister Robert Habeck, stellt sich die Frage, ob die ohnehin als handwerklich schlecht gemacht geltende Umlage-Verordnung noch einmal überarbeitet werden muss, um Missbrauch zu verhindern.
2,4 Cent: Umlage trifft alle Gaskunden
2,419 Cent pro Kilowattstunde werden vom 1. Oktober an als Aufschlag auf den ohnehin drastisch gestiegenen Gaspreis fällig. Die Bundesregierung will keine Mehrwertsteuer darauf erheben: Finanzminister Christian Lindner hatte auf EU-Ebene um eine Ausnahme gebeten, diese wurde aber abgelehnt. Viele Menschen sind betroffen, denn etwa die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland wird mit Gas beheizt.
Für einen Einpersonenhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 5000 Kilowattstunden bedeutet die Umlage ohne Mehrwertsteuer jährliche Zusatzkosten von rund 121 Euro. Mit wären es rund 144 Euro. Für einen Familienhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 20 000 Kilowattstunden liegen die Mehrkosten bei rund 484 Euro im Jahr. Kommt die Mehrwertsteuer hinzu, sind es 576 Euro.
Die Umlage gilt ab Anfang Oktober. Sie werde aber nicht unmittelbar auf den Rechnungen sichtbar, sondern mit etwas Zeitverzug, so das Wirtschaftsministerium. Ankündigungsfristen von vier bis sechs Wochen müssten eingehalten werden. Daher werde die Umlage wahrscheinlich erst im November oder Dezember erstmals auf den Rechnungen ausgewiesen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft rechnet allerdings damit, dass einige Versorger die Umlage schon ab dem 1. Oktober ihren Kunden in Rechnung stellen werden.
Die Umlage endet am 1. April 2024. Sie wird laut Wirtschaftsministerium monatlich abgerechnet und kann alle drei Monate angepasst werden. Die Ausgleichszahlungen bekommen die Importeure nur unter bestimmten Bedingungen. Abgerechnet werden können 90 Prozent der Mehrkosten. Noch bis Ende September müssen die Unternehmen alle Mehrkosten selbst tragen. Sollte Russland gar kein Gas mehr liefern, hält Habeck es für wahrscheinlich, dass die Umlage steigt.
Den Firmen, die in der Vergangenheit günstiges russisches Erdgas nach Deutschland importiert haben. Sie bekommen noch einen Bruchteil der vertraglich zugesicherten Liefermengen. Gleichzeitig haben sie ihren Abnehmern wie Stadtwerken genau dieses Gas versprochen. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, müssen sie kurzfristig Gas an der Börse teuer hinzukaufen. Die Folge: Bei den Importeuren sind erhebliche Verluste entstanden. Der Fortbestand der Unternehmen kann gefährdet sein. Beim größten Gasimporteur Uniper war die Lage so dramatisch, dass noch vor Einführung der Umlage ein milliardenschweres Rettungspaket nötig wurde. Habeck bezeichnete die Umlage als eine „bittere Medizin“. Die Alternative zu den Hilfsmaßnahmen wäre ein Zusammenbruch des deutschen Energiemarktes gewesen.
Russland macht technische Gründe dafür verantwortlich. Die Bundesregierung hält dies für vorgeschoben. Habeck sprach am Montag von einer „von russischer Seite verursachten künstlichen Energieknappheit“ im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Bundeskanzler Olaf Scholz sicherte den Bürgern erneut ein weiteres Entlastungspaket zu. „Wir lassen niemanden allein mit den höheren Kosten“, schrieb der SPD-Politiker auf Twitter und räumte gleichzeitig ein: „Es wird teurer – da gibt es kein drumherumreden. Die Energiepreise steigen weiter.“ Bisher seien schon staatliche Hilfen über 30 Milliarden Euro beschlossen worden. Habeck sagte, die Bundesregierung habe sich schon auf erste Schritte wie eine Ausweitung des Wohngeldes mit einem Heizkostenzuschuss verständigt. „Ich meine aber, dass weitere zielgenaue Entlastungen nötig sind. In dieser Krise müssen wir den demokratischen Konsens sozialpolitisch absichern.“
Zwölf Gasimporteure haben ihre Ersatzbeschaffungskosten angemeldet. Darunter sind Uniper, VNG und EWE. RWE und Shell wollen auf eine Kostenerstattung verzichten. Insgesamt haben die zwölf Unternehmen bis Anfang April 2024 zunächst rund 34 Milliarden Euro geltend gemacht, teilweise aufgrund von Schätzungen. Wirtschaftsprüfer und die Bundesnetzagentur sollen darauf achten, dass alles mit rechten Dingen zugeht.
Das ist noch nicht ganz klar und wird geprüft. Gegebenenfalls wird es noch Gesetzesänderungen geben. Habeck wies darauf hin, dass es auch viele Festverträge mit einer Preisanpassungsmöglichkeit für staatliche Abgaben gibt.
Neben der Beschaffungsumlage kommt im Herbst noch eine Gasspeicherumlage. Diese soll die Kosten ersetzen, die für die Extra-Einspeicherung von Erdgas zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit im Winter entstehen. Das Wirtschaftsministerium geht aber nicht davon aus, dass diese Umlage eine „relevante Größe“ erreichen wird.
Die Gasumlage wird nach Ansicht von Ökonomen zu einer Steigerung der Inflationsrate führen. So hält das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung eine Inflationsrate im vierten Quartal um die zehn Prozent für möglich. Experten der Commerzbank gehen von einer Steigerung der Teuerung bis Jahresende auf deutlich über neun Prozent aus.
Ja, alles ist, alles musste mit heißer Nadel gestrickt werden. Volles Verständnis. Aber mit etwas größerer Ruhe kann jetzt geprüft und nachgebessert werden.
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