Gasknappheit Wir sind alle Uniper!

Uniper stellt Strom aus Kohle und Gas her, doch letzteres wird knapp. Quelle: Bloomberg

Eine Gewinnwarnung von Uniper lässt die Aktie des Stromerzeugers abstürzen. Dem Unternehmen fehlt Gas aus Russland. Die Misere ist Vorbote für den bevorstehenden Ernst der Lage der Nation. Wir brauchen jetzt mehr Zusammenhalt – und weniger Kubickismus. Ein Kommentar.

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Rund 20 Prozent im Minus. So stark ist der Aktienkurs von Uniper in den Keller gerauscht, nachdem der Stromerzeuger gestern eine Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht hatte. Seit dem 14. Juni, also bereits seit mehr als zwei Wochen, erhält Uniper nur 40 Prozent der vereinbarten Gasmenge von Gazprom. Das Unternehmen aus Düsseldorf könne seine Gewinnziele für das erste Halbjahr 2022 nun nicht mehr erreichen. Und: Uniper gebe „bis auf Weiteres keinen neuen Ausblick“.

Der Uniper-Schock erfasst die Börse – und er sollte uns allen zu denken geben. Die Düsseldorfer erzeugen Strom aus Kohle und Gas und zählen zu den drei großen Gashändlern in Deutschland. Uniper steht also an der Front, wenn es um die Auswirkungen der Gasknappheit in Deutschland geht. Wenn Uniper ein Problem bekommt, dann können wir uns ausrechnen, was bald auf Endverbraucher und Gewerbekunden zukommt: steigende Strompreise und höhere Heizkosten.

Dass die nächsten Monate ungemütlich werden, das wissen wir alle. Die große Unbekannte ist: Wen von uns kostet sie die Existenz?

Am 11. Juli beginnt eine mehrwöchige Revision der Pipeline Nord Stream 1. Die von Russland nach Deutschland geleitete Gasmenge sinkt dann wie geplant auf Null. Aber steigt sie danach auch wieder wie geplant? Keiner weiß, ob Wladimir Putin ein weiteres Mal einen technischen Vorwand nutzt, um uns kaltzustellen. Deutschland könnte im Winter das Gas ausgehen – wenn wir nicht radikal sparen.

Völlig unterschätzt wird in der öffentlichen Wahrnehmung, wie tiefgreifend die Wertschöpfungsketten miteinander verwoben sind, wie stark die konjunkturellen Bremsspuren wären, wenn Firmen einzelne Produkte nicht mehr liefern könnten, weil ihnen das Gas fehlt. BASF als größter Gasverbraucher in Deutschland stellt wichtige Vorprodukte für alle Industrien her. Aurubis aus Hamburg produziert Kupferkathoden und -produkte etwa für die Windkraftindustrie. Und die 200 Gießereien in Deutschland, die Motorblöcke etwa für die Automobilindustrie formen, warnen: „Stellt man uns das Gas ab, wird kein Auto mehr gebaut.“

Ein Besuch in einer Papierfabrik hat mir vor Kurzem vor Augen geführt, wie destabilisierend selbst ein vermeintlich unbedeutendes Unternehmen aus Bayern sein kann. Die Firma produziert Papierrollen, auf denen etwa Toilettenpapier gewickelt wird. Ist das Unternehmen damit systemrelevant? Auf den zweiten Blick sehr wohl. Denn auf größeren Papierrollen, die diese Firma herstellt, lassen Lebensmittelhersteller ihr Verpackungsmaterial anliefern. Ohne Rollen könnte keine Folie verschickt werden und ohne Folien gäbe es keine frisch verpackten Käse- und Wurstscheiben an der Supermarkttheke.

Hören Sie hier den WirtschaftsWoche-Podcast „High Voltage“, in dem Papierfabrik-Chef Jürgen Schaller seine Sorgen wegen eines möglichen Gas-Stopps schildert

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat kürzlich zum Energiesparen aufgerufen. Seitdem wissen wir, dass Habeck Kurzduscher ist. Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki von der FDP konterte: „Ich dusche so lange, bis ich fertig bin.“ Das ist die typische, kubickische als Liberalität getarnte Ignoranz und Rücksichtslosigkeit der alten FDP-Garde. Wir alle können uns den überkommenen FDP-Egoismus nicht mehr leisten.



Seit Jahresbeginn haben deutsche Verbraucher 14 Prozent weniger Gas verbraucht – wegen des warmen Wetters, aber auch wegen der ersten persönlichen Sparanstrengungen. Im Mai hat Deutschland sogar mehr als ein Drittel weniger Gas verbraucht als im Mai 2021. Mehr als ein Drittel! Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft vermutet: „Die Appelle zum Energiesparen oder persönlich motivierte Einspareffekte spielen eine Rolle.“ Offenbar haben das die meisten von uns verstanden.

Die wirtschaftlichen Einschläge kommen näher. Wir sind irgendwie alle Uniper!

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