Gasversorgung Dem Tempo wird jetzt viel geopfert, was früher undenkbar war

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) besuchte am Donnerstag Wilhelmshaven und unterzeichnete Pachtverträge für vier schwimmende Terminals, sogenannte Floating Storage and Regasification Units (FSRU). Quelle: Florian Güßgen für WirtschaftsWoche

Was zählt ist Tempo. In diesem Geist hat Robert Habeck in Wilhelmshaven am Donnerstag ein Schiff bestiegen, schwimmende LNG-Terminals gemietet – und einen griechischen Milliardär bei einer Party glücklich gemacht.

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Um 8.35 Uhr an diesem Morgen ist es in der Nordsee vor Wilhelmshaven, etwa auf Höhe der Schleuse Hooksiel, soweit. Ein lang gezogenes Tuten aus einem Schiffshorn, kurze Pause, dann erfolgt auf der Ramme „Kurt“ der erste Rammschlag, direkt vor dem Anleger. Ein metallischer, lauter Schlag ist das. Und es folgen weitere. Wumms. Wumms. Schon Weihnachten soll hier das erste schwimmende LNG-Terminal Deutschlands liegen, es trägt den Namen „Esperanza“ – Hoffnung. Deswegen muss es ab jetzt immer weiter gehen.

Robert Habeck, der Wirtschafts- und Klimaminister beobachtet den ersten Rammschlag aus nächster Nähe, vom Ausflugsschiff „Harle Kurier“ aus, in Begleitung von Lokal- und Landespolitikern, Unternehmenslenkern wie dem Chef von Uniper, und zig Kameras und Fotoapparaten, Journalisten. Es ist ein großes Zeichen, dass Habeck hier und jetzt setzen möchte. Der erste Rammschlag, das heißt doch, physisch: Es geht los mit dem Flüssigerdgas, dem LNG, in Deutschland. Und zwar jetzt. Erst am Abend zuvor, exakt um 22.45 Uhr, ist die Ramme hier angekommen. Früher ging es also wirklich nicht.

In der niedersächsischen Hafenstadt hatten Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und der niedersächsische Energieminister Olaf Lies zum Fototermin geladen. Quelle: Florian Güßgen für WirtschaftsWoche

Ein Spruch für die Wikipedia-Ewigkeit

Das mit der Zeit ist wichtig, und auch, dass Habeck sie nicht verstreichen lässt, sondern sie füllt, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute – und zwar mit Versuchen, wegzukommen aus dieser so verfluchten Energieabhängigkeit von Russland, mit Versuchen, sich möglichst bald aus dem Klammergriff Wladimir Putins zu lösen, diesem entwürdigenden Widerspruch ein Ende zu bereiten, dass die Deutschen einerseits moralisch hochwertig das Morden in der Ukraine verdammen, aber andererseits Putins Gas kaufen müssen, damit die Wirtschaft nicht implodiert und die Wohnzimmer nicht kalt werden. Olaf Lies (SPD), der niedersächsische Bau- und Energieminister ist an diesem Morgen auch auf dem Boot, genauso wie sein Kollege, Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU).

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Genau genommen fahren die beiden derzeit sehr viel auf Ausflugsschiffen, um künftige Standorte für LNG-Terminals zu inspizieren. Erst vor wenigen Wochen waren sie in Stade. Dort schon sprach Lies von der „neuen Deutschlandtempo“, die nun angestrebt werden müsse. Und auch in Wilhelmshaven lässt Lies keine Gelegenheit aus, diese, offensichtlich eigene, Wortschöpfung zu erwähnen, zu prägen, sie mit sich zu verknüpfen. Wenn Lies Glück hat, wird in künftigen Wikipedia-Einträgen vermerkt sein: Olaf Lies, das ist doch jener Mann, der das „neue Deutschlandtempo“ erfunden hat.

Aber ungeachtet aller Begrifflichkeiten ist der Rammschlag von Wilhelmshaven an diesem Tag tatsächlich der Startschuss für die Umsetzung eines beachtlichen Plans: Erstens soll hier nun der erste Liegeplatz für ein so genanntes FSRU entstehen, eine Floating Storage and Regasification Unit, vulgo: ein schwimmendes Terminal. Diese FSRUs sind an sich nichts anderes als umgebaute Flüssigerdgas-Tanker, die in der Lage sind das flüssige Erdgas wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen, sodass es dann über Pipelines zu Verbrauchern gebracht werden kann.

Deutschland hat bisher kein festes LNG-Terminal, der Bau dauert mehrere Jahre. Deshalb behilft sich die Bundesregierung nun – und forciert das Leasing und die Anbindung der FSRUs. Verkündet hat Habeck, dass eins in Wilhelmshaven liegen soll und eins in Brunsbüttel in Schleswig-Holstein. Diese beiden bis Ende des Jahres. Bis zum nächsten Mai soll es dann zwei weitere Liegeplätze geben: Denkbar ist ein weiterer Liegeplatz in Wilhelmshaven, aber auch Stade, Rostock, Lubmin und selbst das niederländische Eemshaven sind Kandidaten. Um die genauen Standorte der FSRUs ist ein heftiger Wettbewerb entbrannt.


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