Grüne Technologie Siemens hat die Weltspitze erobert

Konzernchef Peter Löscher ist es tatsächlich gelungen, bei grüner Technik weltweit den Spitzenplatz zu erobern. Das zeigt ein exklusiver Vergleichs-Check mit den wichtigsten Rivalen.

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Peter Löscher Quelle: dapd

Von wegen österreichische Bedächtigkeit: Als Siemens-Chef Peter Löscher im vergangenen November die Ergebnisse des Geschäftsjahres 2010 präsentiert, legt der 53-jährige Kärntner seine übliche Zurückhaltung ab.

 "Siemens wird weltweit als der grüne Infrastruktur-Pionier wahrgenommen", protzte Löscher. "Wir liegen bei Umwelttechnologie deutlich vor unseren Wettbewerbern." So selbstbewusst in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit gab sich die Spitze des Münchner Industriegiganten früher nicht: "Vielleicht ist es Siemens-typisch, Gutes zu tun, aber das nicht besonders herauszustellen", frotzelte Löscher Ende 2009 im Interview mit der WirtschaftsWoche gegen seine Vorgänger.

Vor den rund 8.000 in der Münchner Olympiahalle versammelten Aktionären trommelte Löscher heute laut weiter. Fragt sich bloß, wie viel Substanz das Selbstlob hat? Hat Löschers Fokus auf Nachhaltigkeit und saubere Technik Hand und Fuß, oder betreibt er nur Green Washing? Welchen Stellenwert haben Umweltschutz und Ressourcenschonung im eigenen Konzern? Und wie steht Siemens gegenüber den wichtigsten Wettbewerbern da?

Siemens deutlich vor GE

Um dies zu beantworten, hat die WirtschaftsWoche die Unternehmensberatung PA Consulting Group in Frankfurt die vier großen Anbieter sauberer Großtechnik analysieren lassen: Siemens, den US-Rivalen General Electric (GE), den Schweizer Elektronikriesen ABB und den französischen Anlagenbauer Alstom. Dabei hat PA Consulting jeweils die Strategie, die Produktpalette sowie die interne Organisation aller vier Konzerne unter dem Aspekt Umwelt bewertet. Untersucht wurde im Einzelnen, ob eine Nachhaltigkeitsstrategie klar formuliert und auch innerhalb des Unternehmens verankert ist, wie breit das Angebot umweltfreundlicher Produkte ist, wie viel CO2-Emissionen durch die Erzeugnisse bei den Kunden vermieden wurden und wie viel Energie oder Wasser die Unternehmen in der eigenen Produktion eingespart haben. Bis auf wenige Schätzungen wurden ausschließlich öffentlich verfügbare, durch die Konzerne selbst in ihren Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichten publizierte Zahlen verwendet. 

Das Ergebnis ist relativ eindeutig: Von möglichen 100 Punkten für ein idealtypisches, umweltkonformes Industrieunternehmen erreicht Siemens insgesamt 68,4 Punkte. Damit rangieren die Münchner deutlich vor GE (56), ABB (53,2) sowie Alstom (34,8). "Siemens führt die Auswertung klar an. Der Konzern aus München ist das Thema Umweltverträglichkeit früh und mit voller Kraft angegangen", sagt David Vasak, Senior Berater für die Fertigungsindustrie bei PA Consulting und verantwortlich für die Durchführung der Studie.

Komplett umgekrempelt

Das ist maßgeblich dem Vorpreschen von Peter Löscher geschuldet: Seit seinem Amtsantritt als Konzernchef Mitte 2007 hat er Siemens gleich auf mehreren Ebenen komplett umgekrempelt. Parallel zur Aufarbeitung der gigantischen Schmiergeldaffäre hat Löscher dem Konzern eine neue Struktur übergestülpt und ihm im Juni 2008 eine Vision in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit verpasst: Damals beziffert er erstmals die Größe des Umweltportfolios von Siemens – im Geschäftsjahr 2007 erzielen die Münchner mit Produkten und Dienstleistungen zum Schutz von Umwelt und Klima einen Umsatz von 17 Milliarden Euro, seinerzeit rund ein Viertel des Konzernumsatzes.

Prompt hieß es von dem einen oder anderen Kritiker, Löscher habe den Konzern vor allem grün angestrichen. Schließlich verkaufe der Konzern schon lange Züge oder Turbinen, die heute auf einmal als umweltfreundliche Technik gälten.

Eine solche Kritik lässt PA-Analyst Vasak nicht gelten: "Mit irgendeiner Definition des grünen Portfolios müssen die Unternehmen ja beginnen. Zudem ist die Erzeugung erneuerbarer Energien im Portfolio ein guter Indikator; auch dabei rangiert Siemens vorne." Darüber hinaus lassen die Münchner ihre Methodik bei der Auswahl des Umweltportfolios von unabhängiger Seite kontrollieren; zuletzt übernahm dies die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young.

Grüne Gasturbinen

Als grün bezeichnet Siemens alle Produkte und Dienstleistungen, die zur Senkung der Treibhausemissionen beitragen oder als Umwelttechnologie zur Luft- und Wasserreinhaltung dienen. Grün sind somit nicht nur Windanlagen, Solarthermie-Felder oder Energiesparlampen, sondern auch Hochgeschwindigkeitszüge oder Gasturbinen. Dabei waren die Siemensianer beileibe nicht die Ersten, die die Zugkraft der Ressourcenschonung als Verkaufsargument erkannten. Ausgerechnet Erzrivale GE vermarktet sich seit 2005 unter dem Label "Ecomagination" als grüner Industriekonzern.

Insofern besteht Löschers eigentliche Leistung darin, dass er den Schalter besonders schnell und energisch auf Umwelt umgestellt und als Strategie des Unternehmens umgesetzt hat. „Bei Siemens ist die Nachhaltigkeitsstrategie tief in der Organisation verankert“, sagt PA-Consulting-Berater Vasak. "So verfügt der Konzern mit Barbara Kux über ein für das Thema verantwortliches Vorstandsmitglied und über eine ausgewiesene Nachhaltigkeitsorganisation." Beispielsweise haben 73 Prozent aller Siemens-Standorte ein zertifiziertes Umwelt-Management-System eingeführt. "Dies ist ein Nachweis, dass Nachhaltigkeit tatsächlich gelebt wird", sagt Vasak. So weit sind die Konkurrenten noch längst nicht. Beispiel GE: "Die Ausrichtung auf Nachhaltigkeit wird mit dem Label Ecomagination zwar stark kommuniziert, aber die Abbildung in der Organisation ist nicht sichtbar", sagt Vasak.

Alstom-Fabrik in der Schweiz Quelle: REUTERS

Der Konkurrent ABB bietet ein gemischtes Bild. Zwar weisen die Schweizer bei 80 Prozent aller Produkte deren Umweltverträglichkeit transparent aus. "Daran und an organisatorischer Verankerung erkennt man, dass ABB das Thema ernst nimmt", sagt Vasak. "Allerdings ist das Unternehmen bei der externen Kommunikation noch sehr zurückhaltend."

Geradezu düsterer wirkt die Situation beim französischen Rivalen Alstom: "Alstom behandelt Umweltschutz recht stiefmütterlich und bezieht sich primär auf interne Abläufe im Unternehmen", sagt Vasak. Zudem waren die Franzosen auch auf Nachfrage nicht bereit, konkretes Zahlenmaterial etwa über ihren Ressourcenverbrauch preiszugeben.

Führend ist Siemens vor allem auch bei der Breite des grünen Produktportfolios. Nach Produktsparten erreicht Siemens in der PA-Studie 17,4 von 20 möglichen Punkten; GE rangiert mit 16,6 Punkten kurz dahinter, während Alstom und ABB deutlich unter 10 Punkten landen. Die vier Konzerne bilden zwei Gruppen – Siemens und GE mit einem breiten grünen Produktangebot, ABB und Alstom wirken dagegen eher schmal.

Wie gezielt Löscher beim Aufbau des Umweltportfolios vorgegangen ist, zeigt der Blick auf einzelne Geschäftsfelder. Beispiel Gasturbinen: Weil viele Energieunternehmen ihre Elektrizitätserzeugung von Kohle- auf effizientere Gaskraftwerke umstellen, wächst deren Markt kräftig. Löscher gelang es, den Marktanteil von Siemens zu steigern, indem er in die Entwicklung einer großen, besonders effizienten Gasturbine investierte. Das neueste Modell kommt auf einen Wirkungsgrad – das ist die Quote der in Strom umgesetzten Energie – von mehr als 60 Prozent; bisher lag er bei Mitte 50 Prozent.

Die Steigerung hat enorme Wirkung. Denn rund drei Viertel der Kosten einer Turbine sowie ihres Einsatzes entfallen auf Gas. Für einen Versorger bedeutet ein Effizienzgewinn von zwei Prozentpunkten daher Einsparungen beim Treibstoff in Höhe von geschätzt rund 50 Millionen Euro. Die Mühe lohnte sich. Wie Löscher im Oktober auf dem jährlichen Führungskräftetreffen in Berlin erklärte, hat Siemens seit Mitte 2009 in den USA 20 solcher Gasturbinen verkauft, Wettbewerber GE dagegen keine einzige.

Attacke von der Seite

Beispiel Windkraft, ebenfalls ein enormes Wachstumsgeschäft: Laut Schätzungen der Investmentbank HSBC soll der Markt für Windenergie zwischen 2009 und 2020 pro Jahr um fast sechs Prozent zulegen. Im Jahr 2005 kam Siemens nach Schätzung von Bernstein Research gerade mal auf einen Weltmarktanteil von fünf Prozent. Die Marktführer Vestas und GE schienen mit Anteilen von fast 30 Prozent und knapp 20 Prozent uneinholbar enteilt.

Doch Löscher gab nicht auf. Statt Vestas und GE frontal anzugreifen, entschieden sich die Münchner für die Attacke von der Seite. Sie konzentrierten sich auf die Entwicklung von Windturbinen speziell für den Einsatz auf hoher See, wo stärkerer Wind herrscht, es aber auch höhere Anforderungen an die Robustheit gibt. Laut HSBC wächst die Nachfrage nach dieser Technik um fast 30 Prozent pro Jahr. Inzwischen ist Siemens Marktführer bei diesen sogenannten Offshore-Windanlagen – und konnte auf diesem Umweg seinen Marktanteil auf rund acht Prozent ausbauen; das entspricht Rang fünf im Weltmarkt.

Erst Ende Dezember kündigte Siemens an, die Schlagzahl bei der Windenergie weiter zu erhöhen. So will der Konzern allein in diesem Jahr dreistellige Millionenbeträge investieren, um Fertigungsstätten für Windkraftanlagen in den wichtigen Märkten Brasilien, Indien und Russland hochzuziehen. Zudem will der Konzern sein Augenmerk nun auch stärker auf das Land-Geschäft legen und bis 2012 insgesamt unter die größten drei Anbieter auf dem Weltmarkt für Windkraft aufrücken.

Umweltportfolio nimmt 40 Prozent des Gesamtumsatzes ein

Auch insgesamt spielt das Geschäft mit erneuerbaren Energien – gewissermaßen ein Untersektor innerhalb des kompletten Umweltportfolios – eine immer größere Rolle bei Siemens. So haben die Münchner neben Windkraft auch Gezeitenkraftwerke oder Lösungen für die Wasseraufbereitung im Privathaushalt im Angebot. Ende 2009 kaufte Siemens zudem das israelische Solarthermieunternehmen Solel, das große Felder mit gewölbten Spiegeln betreibt, die zur Stromgewinnung aus Sonnenenergie dienen. Wie Löscher auf der Bilanzpressekonferenz Anfang November in München verkündete, hat die Division Erneuerbare Energien das stärkste Jahr aller 14 Siemens-Divisionen beim Auftragseingang erreicht und beim Auftragsbestand inzwischen die Zehn-Milliarden-Euro-Marke überschritten.

Kein Wunder, dass Siemens deshalb auch beim Umsatz vor den drei Wettbewerbern liegt. Im abgelaufenen Geschäftsjahr setzte Löscher mit seinem Umweltportfolio bereits 28 Milliarden Euro um – das sind fast 40 Prozent vom Gesamtumsatz. Das Wachstum lag bei drei Prozent, während der Gesamtkonzern im Geschäftsjahr 2010 leicht schrumpfte. In Zukunft sollen grüne Technologien darum einer der wichtigsten Wachstumsmotoren sein. Bis 2014 will Siemens mehr als 40 Milliarden Euro Umsatz mit seinem Umweltportfolio erzielen – das bedeutet ein jährliches Plus in jenem Segment von mehr als zehn Prozent. Weitere Übernahmen sind hier noch nicht eingerechnet.

Siemens

Bei Alstom und ABB rangieren die Anteile am Gesamtumsatz nach Schätzungen von PA Consulting in einer ähnlichen Größenordnung wie bei Siemens, aufgrund der geringen Größe sind die Umweltumsätze jedoch kleiner. Bei GE hat das grüne Portfolio zuletzt rund 18 Milliarden Dollar umgesetzt. Das sind aber nur rund 20 Prozent des Gesamtumsatzes – ohne das Finanz- und Mediengeschäft, das Siemens in der Form nicht betreibt.

Bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung kommt Siemens auf einen Umsatzanteil von fünf Prozent – ebenfalls der Spitzenwert aller vier betrachteten Konzerne. Dank dieser Investitionen dürften Löschers Manager auch in Zukunft die Innovationskraft hochhalten können. Laut Aussage des Siemens-Chefs fließt inzwischen jeder dritte Euro für Forschung und Entwicklung in grüne Technologien.

Vergleichsweise transparent

Auch intern ist Siemens in Sachen Nachhaltigkeit schon ein gutes Stück vorangekommen. Das Carbon Disclosure Projekt (CDP) – eine Non-Profit-Organisation, hinter der 534 institutionelle Investoren mit einem Anlagevolumen von mehr als 64 Billionen Dollar stecken – befragt jährlich Unternehmen rund um den Erdball nach ihren Emissionen von Treibhausgas und ihren Strategien gegen den Klimawandel. Laut CDP antworteten im vergangenen Jahr mehr als 3000 der weltgrößten Unternehmen auf die Befragung. 2010 erreichte Siemens dabei 98 von 100 möglichen Punkten – weit vor GE mit 63, Alstom mit 73 und ABB mit 54 Punkten.

Vergleichsweise transparent präsentiert sich Siemens zudem beim eigenen Ressourcenverbrauch. So gibt der Konzern in seinem jährlichen Umweltbericht auch die Einsparungen bei Energieverbrauch, der Erzeugung von Treibhausgasen oder von Wasser an. Nach Berechnungen von PA Consulting konnte Siemens zwischen 2007 und 2009 die Erzeugung von Treibhausgasen sowie den Verbrauch von Wasser reduzieren, nicht jedoch den Energieverbrauch. Hier rangiert Wettbewerber GE laut Studie vor den Münchnern; entsprechende Daten von ABB und Alstom sind nicht verfügbar.

Zulieferer mitnehmen

Trotzdem reicht es nicht aus, die eigene Nachhaltigkeit zu loben, wenn diese an den Werkstoren endet. Das gilt für Siemens wie für seine Konkurrenten. „Die Konzerne müssen noch mehr dafür sorgen, dass auch ihre Zulieferer nachhaltig wirtschaften“, sagt PA-Berater Vasak. "So stellt sich zum Beispiel die Frage, ob bei der Lieferantenauswahl ausschließlich der Preis eines Produkts oder eben auch die CO2-Bilanz für den Transport jenes Produkts oder seiner Komponenten miteinfließt."

Einen ersten Schritt in diese Richtung haben die Bayern getan. Im vergangenen September kündigte Einkaufsvorstand Barbara Kux an, künftig auch die Siemens-Zulieferer zum Energiesparen anhalten zu wollen: "Wir wollen Vorreiter beim Energiesparen werden – und dabei unsere Partner mitnehmen."

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