Vor wenigen Wochen erschütterten die Nachrichten über Pleiten und Insolvenzen in der Solarbranche Deutschland noch. Jetzt ist es ruhiger geworden. Einige Unternehmen wie etwa Sovello sind vom Markt verschwunden, andere wie Q-Cells haben neue finanzkräftige Eigentümer, wieder andere wie Conergy scheinen sich langsam aus eigener Kraft zu erholen. Der Markt hat sich gesund geschrumpft.
Doch die Ruhe in der Branche ist trügerisch. Die großen Umbrüche stehen noch bevor. Die Entscheidung des US-Handelsministeriums Solarzellen- und module aus China mit Einfuhrzöllen zwischen 18 und 250 Prozent zu belegen, wird weitreichende Folgen auch für Europa haben.
Wen die US-Solarzölle am härtesten Treffen
Das chinesische Unternehmen Trina muss statt bisher 4,73 Prozent nun rund 16 Prozent Antidumpingzoll auf seine Waren zahlen.
Suntech, größter Hersteller von Solarmodulen, muss statt bisher 2,9 Prozent nun 15 Prozent Strafzoll entrichten.
Weitere Unternehmen, die nicht namentlich genannt wurden, müssen 15 Prozent Strafzoll bezahlen. 26 Prozent Strafzoll geht auf Produkte weiterer 59 Hersteller.
250 Prozent - dieser Höchstzoll gilt für alle weiteren Hersteller, auch solche Firmen, die vom chinesischen Staat kontrolliert werden.
Die Anti-Subventionszölle gehen auf eine Petition von sieben amerikanischen Solarunternehmen zurück, die Klage bei der US-Behörde eingereicht hatten. Zu den Unterzeichnern zählt auch die amerikanische Tochter des deutschen Solarunternehmen Solarworld. Der Kurs des Bonner Unternehmens reagierte prompt auf die Nachrichten aus den USA. Das hat der Konzern auch dringend nötig, denn hierzulande kämpft Solarworld mit tiefroten Zahlen. Die USA sind einer der wichtigsten Märkte für Hersteller von Solarzellen.
Der Chef der Solarworld-US-Tochter Gordon Brinser kommentierte den Beschluss gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg mit den Worten: „Durch die Entscheidung des Handelsministeriums hat die Industrie wieder die Chance, ihre Position gleichberechtigt zurückzuerobern.“ Ob diese Rechnung so aufgeht, bleibt abzuwarten.
China kontert mit Zöllen auf Polysilizium
Denn China geht prompt seinerseits Zöllen gegen ausländische Hersteller vor. Chinesische Produzenten haben ein entsprechendes Anti-Dumping-Verfahren gegen Polysilizium aus Europa beim Handelsministerium angestoßen. Polysilizium ist einer der wichtigsten Rohstoffe bei der Produktion von Solarmodulen.
Für deutsche Unternehmen wie Wacker Chemie eine schlechte Nachricht. Das Unternehmen macht ein Viertel seines Umsatzes mit Polysilizium für die Herstellung von Solarzellen. Der Löwenanteil geht nach Asien und dort hauptsächlich nach China. Die vier großen chinesischen Polysiliziumhersteller beschweren sich, der Import aus der EU habe in den ersten sechs Monaten um 30 Prozentpunkte zugelegt, der Preis sei aber um fast 50 Prozent gefallen - und damit weit unter den üblichen Marktwert.
Die wichtigsten Solarmärkte
2011 verkauften chinesische Hersteller in Europa Solarmodule und Bauteile im Wert von 21 Milliarden Euro. Damit ist Europa der wichtigste Exportmarkt für die chinesische Solarindustrie.
Mit exportierten Solarmodulen und Bauteilen im Wert von 2,4 Milliarden Euro sind die USA für chinesische Hersteller ebenfalls ein wichtiger, aber doch deutlich kleinerer Markt als Europa.
China gilt als einer der größten Märkte für erneuerbare Energie. Die Regierung in Peking hat kürzlich angekündigt, statt der bisher veranschlagten 15 Gigawatt Solarleistung bis 2015 rund 21 Gigawatt installieren zu wollen.
Die Chinesen führen also dieselben "Antidumping"-Argumente an wie die amerikanischen Unternehmen. Wacker nennt die Vorwürfe der chinesischen Konkurrenz "halt- und substanzlos". Der Konzern unterstützt trotz der möglichen harten Konsequenzen für das eigene Geschäft nicht die Initiative EU ProSun, die Ende Juli Klage bei der EU-Kommission eingereicht hat. Die Petition geht ebenfalls auf Solarworld zurück. Konzernchef Frank Asbeck hat es geschafft, Unternehmen, die 25 Prozent des europäischen Marktanteils präsentieren hinter sich zu bringen und gemeinsam eine Petition einzureichen - in der Hoffnung auch auf dem europäischen Markt Strafzölle gegen chinesische Importe zu erwirken.
Zieht die EU mit Zöllen nach?
Seit September prüft die Kommission nun die Eröffnung eines Antidumpingverfahrens. EU-Handelskommissar Karel De Gucht will binnen 15 Monaten entscheiden, ob Strafzölle gegen Peking erlassen werden. Die Entscheidung wird Juni 2013 erwartet. Der Industrieexperte der Grünen im EU-Parlament, Reinhard Bütikofer, warnte vor derartigen Vergeltungsmaßnahmen, sie könnten Europas Solarindustrie teuer zu stehen kommen. Außerdem dürfte Brüssel, so der Experte gegenüber dem Handelsblatt, die Chinesen nicht für die zum Teil hausgemachten Probleme der europäischen Solarbranche verantwortlich machen. Damit hat Bütikofer durchaus recht. Einige der deutschen Unternehmen gingen nicht pleite, weil chinesische Billigimporte auf den deutschen Markt strömten, sondern weil ihr Geschäftsmodell sehr auf den Erlösen aus der Solarförderung fußte, sie zu schnell zu stark expandierten oder schlicht gravierende Fehler im Management unterliefen.
"Qualität wird mehr zählen als der Preis"
Nach dem Beschluss des US-Handelsministeriums wird sich die Lage für die europäischen Firmen voraussichtlich weiter verschärfen. Chinesische Unternehmen werden nun um so mehr versuchen, ihre Waren im zollfreien Europa abzusetzen. Fast 60 Gigawatt umfasst die Produktionsleistung der chinesischen Solarzellenhersteller - aufnehmen wird der Markt nach Meinung von Experten maximal eine zugebaute Solarleistung von 28 Gigawatt. Die Überkapazitäten werden sich weltweit in weiter sinkenden Preisen für Solarmodule niederschlagen.
Die Top-Ten-Hersteller kristalliner Solarmodule
Suntech ist der weltweit zu den größte Produzent im Segment kristalliner Photovoltaikmodule.
Allein für das Jahr 2012 vermelden die Chinesen produzierte Kapazitäten im Umfang von 2430 Megawatt. Für das Jahr 2011 meldeten sie 2400 Megawatt und für 2010 1830 Megawatt.
Das Marktforschungsunternehmen IHS iSuppli errechnete für beide Jahre eine geringere Produktionszahlen - 2185 Megawatt für 2011 und 1485 Megawatt für 2010.
Das ebenfalls aus China stammende Unternehmen Trina Solar prognostiziert für das Jahr 2012 Produktionskapazitäten von 2400 Megawatt.
Das sind 500 Megawatt mehr als für 2011 und 1200 Megawatt als für 2010 prognostiziert.
Die tatsächlich gemeldete Produktion unterschreitet diese Zahlen noch. Im Jahr 2011 belief sich diese auf 1702 Megawatt, 2010 auf 912 Megawatt.
Das Unternehmen Canadian Solar, mit Sitz in Ontario, ist der weltweit drittgrößte Hersteller kristalliner Solarmodule.
Laut Unternehmensangaben wird für das Jahr 2012 eine Produktion von 2050 Megawatt erwartet. Die gleiche Schätzung wurde für das Jahr 2011 abgegeben, dürfte aber laut IHS iSuppli bei 1.426 Megawatt anzusiedeln sein.
Auch für das Jahr 2010 differieren die Zahlen stark: Canadian Solar meldete Kapazitäten von 1300 Megawatt, IHS iSuppli berechnete nur 937 Megawatt.
Auch der Hersteller Yingli Green Energy sitzt in China, genauer in der Provinz Hebei.
Die Firma erwartet für das Jahr 2012 Kapazitäten von insgesamt 2450 Megawatt. Dies wäre eine enorme Steigerung zu den Vorjahren, 2011 waren es 1700 Megawatt und 2010 1000.
In beiden Jahren berechnet IHS iSuppli die Kapazitäten geringer, 2011 sind es 1121 Megawatt und 2010 937 Megawatt.
Der japanische Elektronikkonzern Sharp ist im Bereich kristalliner Photovoltaikmodule gut aufgestellt. Die Prognosen für die beiden letzten Jahre belaufen sich auf jeweils 1295 Megawatt. 2010 waren es noch 1055 Megawatt.
Die von IHS iSuppli errechnete Kapazitäten fallen in beiden Jahren etwas geringer aus: 2011 kommen die Marktforscher bloß auf 963 Megawatt, 2010 auf 858 Megawatt.
Der chinesische Hersteller Hanwha SolarOne erwartet im Jahr 2012 die gleichen Kapazitäten wie im Vorjahr: 1500 Megawatt. 2010 beliefen sich die Erwartungen auf 900 Megawatt.
Ähnlich schätzt auch IHS iSuppli die Werte ein, 2011 errechneten sie eine Produktion von 919 Megawatt, 2010 612 Megawatt.
Ebenfalls aus dem Reich der Mitte stammt der Konzern LDK. Für die Jahre 2012 und 2011 meldete er jeweils Kapazitäten von 2600 Megawatt. Für das Jahr davor 1500 Megawatt.
Die Marktforscher von IHS iSuppli stuften die Produktion sehr viel geringer ein, sie kamen im Jahr 2011 auf 795 Megawatt, 2010 auf 610 Megawatt.
Der Jinko-Konzern prognostiziert für das Jahr 2012 1200 Megawatt an kristallinen Modulen, die gleiche Anzahl an wie Jahr zuvor. Im Jahr 2010 wurde mit 600 Megawatt knapp die Hälfte erwartet.
IHS iSuppli berechnete die Produktion für 2011 auf 749 Megawatt, 2010 auf bloß 274 Megawatt.
Das Unternehmen Jabil Circuit wurde 1966 in den USA gegründet, noch heute hat es seinen Sitz in St. Petersburg, Florida.
Für 2012 und 2011 erwartete das Unternehmen jeweils Produktionskapazitäten von 1020 Megawatt. Im Jahr 2010 waren es 740 Megawatt.
Das Marktforschungsunternehmen IHS iSuppli kalkulierte 716 Megawatt für 2011 und 584 Megawatt für 2010.
Kleinster Hersteller unter den großen ist die deutsche Firma SolarWorld.
Sie meldete für 2012 und 2011 950 Megawatt produzierte Solarmodule. Für das Jahr 2010 fiel die Angabe mit 940 Megawatt etwas geringer aus.
IHS iSuppli kam bei der Berechnung der Produktion für 2011 auf 711 Megawatt, 2010 auf 546 Megawatt.
Bis die EU-Kommission Strafzölle einführt - wenn denn überhaupt - wird die europäische Solarindustrie also weiterschrumpfen. Und zeitgleich der Zugang zu den großen Wachstumsmärkten wie China noch deutlich schwerer werden. Die Klage gegen die Polysiliziumhersteller könnte erst der Anfang sein. China denkt bereits über Schutzzölle in vielen weiteren Bereichen nach. Zuletzt drohte es mit höheren Einfuhrsteuern auf Wein aus der EU. Aktuell halten europäische Weine einen Anteil von 15 Prozent auf dem chinesischen Markt.
Sollte die EU tatsächlich Zölle auf chinesische Solarmodule erlassen, wird die Retourkutsche aus Peking nicht lange auf sich warten lassen. Ob die EU-Zölle tatsächlich den gewünschten Effekt brächten, ist zudem fraglich.
Leonard Herbig vom Zentrum für Solarmarktforschung in Berlin: “Aufgrund ihrer Kostenvorteile wären für die chinesischen Unternehmen Zölle bis zu 20 Prozent verkraftbar, ohne dass sie ihre Konkurrenzfähigkeit verlieren würden. Ohnehin sinkt die Bedeutung des Preises bei der Kaufentscheidung. Immer wichtiger wird, ob das Unternehmen die Produktgarantie über zehn Jahre und die Leistungsgarantie für bis zu 25 Jahre übernehmen kann. Dafür Gewähr zu bieten trauen immer mehr Verbraucher nur den Chinesen zu.”