LNG für Europa Erdgas-Verband warnt vor Asiens Übermacht

Flüssigerdgastanker Karmol Quelle: Bloomberg

Europa will russisches Erdgas durch Flüssigerdgas (LNG) ersetzen. Die Terminalbetreiber arbeiten bereits am Anschlag – und bauen aus. Aber gibt es überhaupt genügend LNG? Einige Länder kaufen den Markt leer.

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Zeebrügge ist gefragt: Das LNG-Terminal des belgischen Fernleitungsbetreibers Fluxys an der Nordsee-Küste arbeitet seit Monaten unter Volllast. Das Flüssigerdgas (LNG), das per Schiff an den Anlandestellen des Hafens in Zeebrügge abgelassen wird, wird regasifiziert und weitergeleitet – nach Belgien, die Niederlande oder Deutschland. Noch nie sei so viel Erdgas von Zeebrügge aus in den weiteren Export gegangen wie im April – „der höchste jemals gemessene Monatswert“, heißt es bei Fluxys.

Der belgische Terminalbetreiber ist eins von 22 Unternehmen in Europa, die an den Küsten von Mittelmeer, Nord- und Ostsee Flüssigerdgas aufnehmen, speichern und als gasförmiges Gas via Pipeline an die Abnehmer in Europa weiterleiten. Zeebrügge arbeitet an seiner Kapazitätsgrenze – wie fast alle Betreiber in Europa. Es gibt zwar noch Kapazitäten in Griechenland, Italien und Spanien. Allerdings fehlen Pipelines, um das Gas von dort in den Norden zu schicken.

Nach dem Angriff Russlands gegen die Ukraine arbeitet die EU nun an Alternativen zum Pipeline-Gas aus Russland. Das LNG-Gas kommt per Schiff aus Ländern wie den USA, Australien oder Katar. Es wird runtergekühlt und verflüssigt als LNG transportiert und in Europa „regasifiziert“. Europaweit bauen Firmen und Regierungen zusätzliche Kapazitäten, vor allem in Holland, Deutschland, Frankreich, Polen, Griechenland und Italien. Die Länder wollen sich diversifizieren und unabhängiger machen – allen voran Deutschland. Doch Experten warnen vor dem nächsten Gau. Nicht die Infrastruktur sei das Problem, sondern das fehlende Angebot an LNG. Wenn Europa künftig mit anderen Weltregionen um Energie konkurriert, dann müsse die EU längerfristig planen und einkaufen – doch das Aufbäumen bleibt bislang aus.

Aktuell geht es um Schnelligkeit und einen Notfallplan für den kommenden Winter. Seitdem Russland den Gashahn sukzessive zudreht, gilt vor allem Deutschland als angeschlagen. Die Bundesregierung debattiert über den Streckbetrieb von Atomkraftwerken, um Sparmaßnahmen beim Gasverbrauch der Industrie und Bürger – und mehr LNG-Importe nach Deutschland. Vier schwimmende Terminals sollen LNG etwa vor Wilhelmshaven und Brunsbüttel nach Deutschland holen. Bis Ende des Jahres könnte eine erste Pipeline für den Erdgas-Weitertransport von der Küste zum 30 Kilometer entfernten Fernleitungsnetz südlich von Wilhelmshaven fertig gebaut sein – die Zeit drängt.

Bis dahin ist Deutschland auf die Versorgung aus dem Ausland angewiesen. Der Hafen in Zeebrügge pumpt das Gas über zwei Verknüpfungspunkte via Pipeline nach Deutschland. Man sei „fast am Maximum“, heißt es bei Fluxys. Im Juni dieses Jahres habe das Unternehmen 24 Terawattstunden (TWh) Gas nach Deutschland geleitet – „das entspricht mehr als zwölf Prozent des jährlichen Gasverbrauchs von Belgien“. Mehr gehe derzeit kaum.

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Die Belgier investieren sogar massiv in neue Kapazitäten. Derzeit verfügt das Terminal über eine Gasspeicher-Kapazität von 560.000 Kubikmetern. Damit gehört das LNG-Terminal bereits zu den größten in Europa. Fluxys will die Menge, die in Zukunft jeden Tag via Pipeline an die Abnehmer in Belgien, Holland und Deutschland transportiert wird, um 37 Prozent erhöhen. So wie der börsennotierte Fernleitungsbetreiber in Belgien planen zahlreiche Terminalbetreiber Erweiterungen ihrer Kapazitäten, etwa Fosmax LNG in Süd-Frankreich, Gate Terminal in Holland und LNG Croatia auf der Insel Krk.

Alternative zu russischem Gas: Wie es um die deutschen LNG-Terminals steht

Theoretisch gäbe es schon heute freie Kapazitäten in europäischen LNG-Terminals. Vor allem Spanien, Griechenland und Portugal setzen traditionell auf den Import verflüssigten Erdgases. Doch viel zu klein dimensionierte Pipelines können kein zusätzliches Gas mehr über Leitungen vom Süden in den Norden schicken. Eine Pipeline etwa von Spanien nach Frankreich gilt laut Energiekonzern RWE als „sehr klein“ und „voll ausgelastet“. Dadurch kann LNG-Gas in Spanien sogar ohne politischen Aufschrei nach Marokko exportiert werden. Technische Restriktionen gibt es auch zwischen Italien und Mitteleuropa. Auch griechische LNG-Terminals seien „nicht gut vernetzt“, heißt es beim europäischen Fernleitungsnetzwerk Gas Infrastructure Europe (GIE).

Immerhin: Europa verfolgt nun einen konsequenten Ausbau der Kapazitäten. Im kommenden Jahr würden für mehr als 60 Milliarden Kubikmeter zusätzliche Regasifizierungsanlagen gebaut – das entspricht einem Ausbau von fast einem Viertel. Bis 2030 sollen die potenziellen Importmengen von LNG um rund 70 Prozent gesteigert werden. Selbst kurzfristig sei ein nahezu vollständiger Ersatz von russischem Gas durch Import-LNG möglich. Es gebe derzeit „mehr als 20 europäische LNG-Projekte, die seit März dieses Jahres neu verkündet oder zumindest beschleunigt wurden“, sagt Roxana Caliminte, Vize-Chefin des Gasinfrastruktur-Verbands GIE. Die Projekte hätten zusammengenommen „das Potenzial, 80 Prozent der Gasimportmenge aus Russland zu ersetzen“.



Ein wesentliches Problem ist damit aber nicht gelöst. Woher soll all das LNG eigentlich kommen? „Die EU hat kein Kapazitätsproblem, sondern ein Angebotsproblem“, sagt Caliminte. Laut Plan wolle die EU künftig 155 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland durch LNG bis 2030 ersetzen – und zwar jedes Jahr. „Das bedeutet, dass sich Europa kurz- bis mittelfristig neues LNG vertraglich zusichern muss“, sagt Caliminte. Wichtig sei dazu eine gute Balance zwischen langfristigen und kurzfristigen Importverträgen. Die GIE begrüßt die Vorstöße der EU, zusätzliche LNG-Quellen zu erschließen. Es gebe neue Verträge zwischen der EU und den USA sowie Absichtserklärungen zwischen der EU und Israel sowie Ägypten.

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Allerdings warnt der GIE vor Blauäugigkeit. Würde man 155 Milliarden Kubikmeter Russland-Gas jedes Jahr durch LNG ersetzen, würde man quasi „ein Drittel“ des heutigen LNG-Marktes aufkaufen müssen. Europa könne sich das nur über langfristige Lieferverträge mit gasfördernden Ländern sichern. Und die stehen bislang noch aus. Auch Absichtserklärungen sind noch keine Verträge. Und noch ist überhaupt nicht klar, wie teuer die LNG-Importe sein werden – „und wie viel Europa bereit ist zu zahlen“, so Caliminte.

Selbst wenn die Verträge einmal unter Dach und Fach seien, könnte es Probleme geben. An den Regasifizierungsanlagen, die LNG in einen gasförmigen Zustand für den Pipeline-Transport umwandeln, werde es nicht scheitern, heißt es beim GIE. Es gebe aber derzeit nur halb so viele Anlagen, die gasförmiges Erdgas am Anfang der Wertschöpfungskette für den Schiffstransport in flüssiges LNG umwandeln könnten. Die angebotene Menge für LNG werde dadurch künstlich niedrig gehalten. Die angebotene LNG-Menge falle „unweigerlich“ niedriger aus als nötig, sagt Caliminte.

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Hinzu kommt: 2021 hätten 44 Länder LNG importiert, aber nur 19 Länder LNG exportiert. Die Zahl der Nachfrager nehme aber zu. Außerdem habe sich Asien „zum führenden LNG-Importeur“ entwickelt – mit einem globalen Marktanteil beim LNG-Import von 73 Prozent. Dadurch seien LNG-Schiffe „in der überwiegenden Zeit“ des Jahres außerhalb Europas unterwegs. Beim LNG gilt Europa inzwischen nicht als Top-Abnehmer. Das dürfte sich in Zukunft kaum ändern. Der Energiehunger der Chinesen und anderer Schwellenhändler ist gewaltig. Caliminte: „72 Prozent der Regasifizierungs-Kapazitäten, die sich derzeit in Bau befinden, werden aktuell in Asien geplant.“

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