LNG-Terminal in Stade Alle Terminals werden gebraucht, aber Stade will „als Erstes übers Ziel“

Am Elbufer, auf dem Gelände des US-Chemiekonzerns Dow Chemical, soll das LNG-Terminal Stade gebaut werden Quelle: Florian Güßgen für WirtschaftsWoche

Flüssiggas-Terminals? Gibt es in Deutschland bislang nicht. Deshalb ist der Jubel in Stade groß, dass dort Antragsunterlagen für ein neues Terminal eingereicht worden sind, bei Unternehmen und Ministern. Jetzt, heißt es auf einem Partyschiff, muss der „Tesla-Effekt“ wirken.

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Manchmal ist es schon kurios, welche Blüten die Zeitenwende so hervorbringen kann. Wie jetzt, am Seehafen in Stade-Bützfleth, hinter dem Firmengelände der Aluminium Oxid Stade GmbH. Im Nordteil des Hafens, hinter der rostrot gefärbten Kaimauer, liegt die M/S „Schwingeflair“, ein kleines Ausflugsschiff, das man beim hiesigen „Partyservice“ in normalen Zeiten für feucht-fröhliche Schunkelfahrten auf der Elbe mieten kann. Unter Deck, auf der Anrichte in der Kombüse, stehen sogar noch Gin- und Wodkaflaschen.

Aber weil die Zeiten eben nicht fröhlich sind, sind an diesem Dienstagmittag keine Partygäste an Bord der „Schwingeflair“, sondern Unternehmer, Minister aus Niedersachsen und Journalisten mit vielen Kameras. Unter Deck klemmen sich die Unternehmer und die Politik auf einem improvisierten Podium zusammen, um einen großen Schritt in Richtung Freiheit zu verkünden – Freiheit von russischem Gas. Soeben nämlich sind die Genehmigungsanträge für ein Flüssigerdgas-Terminal Stade offiziell eingereicht worden, zum Teil 6000 Seiten dick, mit Hochdruck erarbeitet. Und diese Anträge, die wollen sie jetzt hier, vor Ort, unter Deck, einordnen, und vor allem sagen, wie es weitergeht – und wo es hingehen soll mit Deutschland in Sachen Flüssigerdgas, mit LNG.

Ein Meilenstein für Stade

„Es ist kaum in Worte zu fassen. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Meilenstein für das Projekt“, sagt etwa Johann Killinger, der geschäftsführende Gesellschafter der Betreibergesellschaft Hanseatic Energy Hub (HUB). Und Bernd Althusmann (CDU), als Wirtschaftsminister in Niedersachsen auch für Häfen zuständig, spricht von einer „nationalen Aufgabe“, die nun zu bewältigen sei, auch von „nationaler Verantwortung“. Sein SPD-Kollege Olaf Lies, der sich als Minister in der Landesregierung um Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz kümmert, verspricht die schnelle Bearbeitung der Anträge, schnelle Entscheide. Einen Begriff hat sich Lies dafür auch ausgedacht: „Wir brauchen die neue Deutschlandgeschwindigkeit“, sagt er. Wenn alles wirklich, wirklich schnell gehe, dann könne dieses Flüssiggas-Terminal hier in Stade möglicherweise schon Ende 2024 in Betrieb gehen.

Tempo um fast jeden Preis

Tempo. Tempo. Tempo. Das ist in diesen Tagen ohnehin das einzige, was zu zählen scheint. Bloß weg. Jahrzehntelang hat sich Deutschland in aller Ruhe an Russlands Energiereserven gefesselt. Aber jetzt, da sich das Land im Ukraine-Schock dieser Fesseln entwinden will, muss alles schnell gehen. Um fast jeden Preis. Jahrelang dümpelten auch die Projekte für Flüssigerdgasterminals vor sich hin. In Wilhelmshaven gab Uniper auf, nachdem sich keine Abnehmer fanden, in Brunsbüttel verschleppte die Landesregierung jeden Fortschritt trotz Koalitionsversprechen, den Grünen in der Jamaika-Koalition stand der Sinn ohnehin nicht so recht danach, und in Stade wollten sie die Unterlagen nach langer Vorbereitung auch erst im Sommer einreichen  – und rechneten mit langen Genehmigungszeiten.

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Aber jetzt ist eben alles anders. Und spätestens seit Olaf Scholz‘ Zeitenwende-Rede im Bundestag ist unter den potenziellen Terminal-Standorten sogar ein regelrechtes Rennen ausgebrochen. In Wilhelmshaven haben sie erst vergangene Woche einen Pressetermin veranstaltet, um zu erklären, wie das hier funktionieren könnte, erst mit schwimmenden Terminals, Spezialschiffen, so genannten Floating Storage and Regasification Units (FSRUs), dann mit einem festen Terminal – und wie sie die 30 Kilometer bis zum nächsten Gasnetzzugang fix bewältigen können. Und in Stade haben sie gestern verkündet, dass bei der Betreibergesellschaft HEH jetzt nicht nur Killingers Buss-Gruppe, der belgische Gasinfrastrukturbetreiber Fluxys und das Schweizer Private Equity Unternehmen Partners Group beteiligt sind. Auch der US-Chemiekonzern Dow Chemical, der hier in Stade produziert, steigt ein – auf dem Gelände des Konzerns, direkt am Elbstrand, soll das LNG-Terminal gebaut werden. Der Bau der Hafenanlage soll rund 150 bis 200 Millionen Euro kosten, der Bau von Regasifizierungsanlage und Speicher rund 800 Millionen Euro. Insgesamt dürften sich die Ausgaben auf rund eine Milliarde Euro belaufen. HEH-Chef Killinger zeigt sich auf dem Schiff stolz, dass Stade im Rennen der Standorte nun in der Pole Position zu sein scheint: „Alle Terminals werden gebraucht“, sagt er. Trotzdem spiele „sportlicher Ehrgeiz“ natürlich eine Rolle, wenn Stade jetzt „als Erstes übers Ziel“ gehe.

von Florian Güßgen, Martin Seiwert, Cornelius Welp

Liegeplatz für das Format Panamax

Das Schöne an dem Termin auf der „Schwingeflair“ ist, dass man einen Eindruck davon bekommt, um was es hier eigentlich konkret geht. Kurz bevor die Minister hier an Bord gekommen sind, hat das Boot schon mal eine kleine Tour gemacht. Aus dem Nordhafen ist es auf die Elbe gefahren, stromaufwärts, Richtung Hamburg. Mit an Bord war Manfred Schubert, 66, HEH-Mitgesellschafter und so etwas wie der Vater des Projekts hier. Vor sechs Jahren hat er angefangen, nach einem Standort für ein deutsches LNG-Terminal zu suchen, nach eineinhalb Jahren war klar: Stade wäre gut. Seither plant er, gräbt sich in Genehmigungsverfahren ein, in Gutachten.

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