Eine totale Sonnenfinsternis ist ein seltenes und darum spektakuläres Schauspiel, in Deutschland ist es erst im September 2081 wieder so weit. Dann ist über dem Gebiet des Bodensees zu bewundern, wie der Schatten des Mondes kurz die Erde verdunkelt.
Die Sonnenfinsternis in der deutschen Solarbranche ist dagegen zum Dauerphänomen geworden, das von Blaubeuren bis Brilon, von Griesheim bis Gelsenkirchen zu sehen ist.
Vor ziemlich genau einem Jahr, Mitte Dezember 2011, riss es den Berliner Solarmodulhersteller Solon als erstes prominentes Opfer in die Pleite. Danach krachten fast im Zwei-Wochen-Takt solide Mittelständler ebenso wie einstige Börsenüberflieger in sich zusammen: SolarMillenium, Scheuten, Q-Cells, Solarwatt, Sovello, Solarhybrid, Centrotherm, Soltecture oder Inventux. Einige ringen noch ums Überleben, verhandeln mit Gläubigern, suchen Investoren und feilen an Sanierungsplänen. Andere sind abgewickelt, von ausländischen Wettbewerbern geschluckt oder – auch das gibt es – vollständig saniert aus der Insolvenz entlassen.
Inventux/Berlin
„Hier wird Zukunft produziert“ lautet der Slogan des Clean Tech Business Park an der Wolfener Straße, einem Prestigeprojekt der Bezirksverwaltung Marzahn-Hellersdorf im Osten Berlins. Rund um den Solarmodulbauer Inventux wollten die Lokalpolitiker Unternehmen der erneuerbaren Energien ansiedeln und Jobs in einer Zukunftsbranche schaffen – auch für die Menschen, die nebenan in den Plattenbauten entlang der S-Bahn-Linie 7 leben. Doch die Zukunft muss noch warten, im Mai musste Inventux Insolvenzantrag stellen.
Kurz bevor die Agentur für Arbeit die Zahlung des Insolvenzgeldes an die Mitarbeiter einstellte, zog der Insolvenzverwalter Anfang August noch eine Investorengruppe aus dem Hut: zwei Unternehmen aus Chile und Argentinien, die schon Handelspartner von Inventux waren, öffentlich aber nicht genannt werden wollen.
Es handele sich dabei um energieintensive Betriebe aus der südamerikanischen Kupfer- und Goldminenindustrie, die für den Eigenverbrauch auch auf Fotovoltaik setzen, verrät Christian Plesser, einer der Inventux-Geschäftsführer, immerhin. Wegen der starken Sonneneinstrahlung in ihren Ländern seien beide besonders an den Dünnschichtmodulen interessiert, die die Berliner herstellen. Sie sind preiswerter als kristalline Module, der Leistungsverlust bei heißen Temperaturen gilt als gering.
Plesser ist einer von vier ehemaligen Schüco-Managern, die 2007 Inventux gründeten und ein Jahr später mit der Fertigung begannen. 2010, in den Spitzenzeiten der jungen Firmenhistorie, löteten, klebten und schraubten rund 300 Mitarbeiter Module mit einer Leistung von 100 Megawatt zusammen und erlösten damit mehr als 60 Millionen Euro. „Den Absatz konnten wir auch im Jahr darauf noch annähernd halten, nicht aber den Umsatz“, sagt Plesser. „Gegen den Preisverfall war kein Kraut gewachsen.“ Nur noch rund 100 Mitarbeiter fuhren die deutlich geschrumpfte Produktion der neuen Inventux im Oktober wieder hoch. Das dreiköpfige Management um Plesser hält zwölf Prozent der Anteile.
Hase-und-Igel-Spiel
Die Hoffnung der Mitarbeiter und Manager hängt nun an Projekten in den sonnenreichen Höhenlagen Chiles, für die Inventux die Module liefern soll. Eine Strategie, die abenteuerlich klingt: Zwar sind Dünnschichtmodule in solchen Regionen Südamerikas von Vorteil, und auch die Erdbebensicherheit seiner Anlagen sei erwiesen, behauptet Plesser. „Am teuren deutschen Standort für den chilenischen Markt zu produzieren ist aber kein tragfähiges Geschäftsmodell“, kritisiert Joachim Zwicky, Analyst beim Zentrum für Solarmarktforschung in Berlin.
Auch eine kleine Pressenotiz von Anfang September verheißt für Inventux wenig Gutes. Demnach eröffnet der chinesische Solarmodulriese Trina Solar eine Niederlassung in Chile, um von dort aus die lateinamerikanischen Märkte aufzurollen. „Inventux lässt sich auf dem chilenischen Markt auf ein Hase-und-Igel-Spiel ein“, fürchtet Zwicky, aber die Chinesen seien schon da.
Solarwatt/Dresden
Nicht nur dort: Auch bei Detlef Neuhaus, Chef des Mitte 2012 in die Insolvenz gerutschten Dresdner Modulherstellers Solarwatt, wird die Tonlage schärfer, wenn er über die asiatische Konkurrenz spricht. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass eine ganze Branche bereit ist, bis zu 30 Prozent unter ihren eigenen Herstellkosten zu verkaufen.“
Solarwatt, so Neuhaus, habe diesen ruinösen Preisverfall zwar schon vor zwei Jahren kommen sehen. Daraufhin wurde die Strategie radikal verändert: vom subventionsgetriebenen Massenhersteller von Modulen zum Anbieter von Systemlösungen samt Modulen, Speichertechnologie, Wechselrichtern und Software. Pech nur: „Was wir unterschätzt haben, war die Geschwindigkeit und die Brutalität, mit der sich das Zeitfenster für diese Neuausrichtung geschlossen hat.“
Der frühe Strategieschwenk hilft Solarwatt dennoch: „Es lag bereits ein Sanierungskonzept vor, auf dem wir aufbauen konnten“, sagt Andreas Ziegenhagen, beratender Restrukturierungsexperte der Wirtschaftskanzlei Salans LLP in Berlin. Zudem sei Solarwatt stets zahlungsfähig geblieben. Der Insolvenzantrag sei lediglich aufgrund der negativen Fortführungsprognose gestellt worden.
In die Hände spielt Neuhaus und Ziegenhagen dabei die im März novellierte Insolvenzordnung mit dem Schutzschirmverfahren. Es schützt betroffene Unternehmen vor einem Gläubiger-Zugriff, ohne die Geschäfte einem Insolvenzverwalter überlassen zu müssen. Das Unternehmen wird weiter vom Vorstand gelenkt, ihm wird allerdings ein Sachwalter zur Seite gestellt.
„Das Schutzschirmverfahren ist zurzeit das sanierungsfreundlichste, weil es die Fortführung des Unternehmens anstrebt“, sagt Ziegenhagen. Dennoch ermögliche es eine Entschuldung, die für die Gläubiger aber besser sein muss als eine Abwicklung im Insolvenzverfahren. Ziegenhagen: „Unser oberstes Ziel war es, schnell aus dem Verfahren herauszukommen.“
Keine Überlebensgarantie
Das ist dem Experten gelungen – zusammen mit Management, Sachwalter und dem früheren Mitgesellschafter und neuem Alleinaktionär, dem BMW-Erben Stefan Quandt. Mitte Juni stellte Solarwatt Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung. Am 1. August wurde das Verfahren eröffnet, Anfang September bestätigte die Gläubigerversammlung den Sanierungsplan, und schon Anfang Oktober war das Ziel erreicht: Das Verfahren wurde vom Amtsgericht Dresden aufgehoben.
Solarwatt-Chef Neuhaus und seine 330 von einst 430 Mitarbeitern müssen nun beweisen, dass die neue Strategie dauerhaft trägt. Vor drei Wochen stellten die Dresdner die Software Energy Manager vor, die den Solarstrom in das Energiesystem eines Hauses integriert. Das Programm erfasst und analysiert sekundengenau Daten der Solaranlage und den Energieverbrauch im Haushalt. 2013 soll dann eine Batterie das System im Haus komplettieren: Der Solarstromspeicher dürfte den Grad der Eigenversorgung mit Solarenergie deutlich erhöhen. Künftig, so Neuhaus, liegen die Beiträge der Wertschöpfung des reinen Modulgeschäfts bei Solarwatt nur noch bei 10 bis 20 Prozent.
Eine Überlebensgarantie ist der Wechsel vom Modul- zum Systemanbieter jedoch nicht. „Die Flucht ins Systemgeschäft ist naheliegend. Alle früheren Hersteller von Modulen drängen inzwischen in diesen Markt“, sagt Solaranalyst Zwicky. So etwa der angeschlagene Bonner Solarriese Solarworld, die Hamburger Centrosolar und auch die Solarsparte des Stuttgarter Technologiekonzerns Bosch. Zwicky: „Das Systemgeschäft bietet derzeit als einziges noch die Chance auf Marge.“ Neuhaus weiß das. Erstens brauche Solarwatt nicht 100 Prozent Marktanteil, und zweitens sei man schon sehr weit mit den Innovationen: „2013 wird die Branche eine neue Insolvenzwelle erleben“, prophezeit Neuhaus. „Wir werden dann wettbewerbsfähig und gewappnet sein.“
Sovello/Bitterfeld
Ähnlich schnell und erfolgreich wie Solarwatt wollte auch der Solarzellenhersteller Sovello aus Sachsen-Anhalt mit dem neu geschaffenen Instrument der Eigenverwaltung die Kurve kriegen. Doch das ging gewaltig schief. Das zuständige Amtsgericht schmetterte im August den Antrag des Managements ab, nachdem ein Gutachter Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung attestiert hatte. Stattdessen eröffnete das Gericht ein reguläres Insolvenzverfahren und tauschte den Sachwalter gegen einen Insolvenzverwalter aus.
Ein Leben nach dem Tod scheint für Sovello nun kaum noch möglich. Zwar läuft die Investorensuche, allerdings ist die Zukunft zappenduster. Aus wirtschaftlichen Gründen sei eine Fortführung des Unternehmens nicht mehr möglich, teilte der Insolvenzverwalter Ende Oktober mit.
Solon/Berlin
Asiatische Massenproduzenten hier, kleine regionale Stromdienstleister dort: So sieht auch Lars Podlowski, technischer Geschäftsführer beim Berliner Hersteller Solon, die Solarwelt von morgen.
Solon tanzt vorerst noch auf beiden Hochzeiten, stellt Module wie Systemlösungen her. Ein Alleinstellungsmerkmal fehlt den Berlinern jedoch. Die Vorteile sieht Podlowski woanders: „Als eines der wenigen Solarunternehmen haben wir keine Schulden und sind vollständig durch unsere neuen Eigentümer finanziert.“
Das Argument steht für die neue Bescheidenheit der einstigen Überflieger. 2008 stand Solon beim Umsatz noch knapp an der Milliardenschwelle. Wer eine Aktie des Unternehmens kaufte, musste fast 55 Euro berappen. Als die Berliner Mitte Dezember 2011 Insolvenzantrag stellten, war das Papier keine 25 Cent mehr wert.
Fokus auf Europa
Sofort nahm Insolvenzverwalter Rüdiger Wienberg die Suche nach Investoren auf. Ein schwieriges Unterfangen, brachen doch immer mehr Solarfirmen zusammen. Die Retter aus dem Morgenland kamen im Frühjahr: Microsol, ein von indischen Ingenieuren gegründetes Unternehmen mit Sitz im arabischen Emirat Fudschaira. Die Multi-Kulti-Truppe machte aus der börsennotierten Solon SE die Solon Energy GmbH und schrumpfte den Betrieb gesund: Lag der Umsatz 2010 noch bei 620 Millionen Euro, sind es 2011 nur noch 435 Millionen. Wie viel 2012 herauskommt, will Podlowski nicht verraten „Es wird noch mal deutlich weniger sein“, sagt Podlowski. Immerhin schafften 433 von 451 Mitarbeitern den Sprung in die neue Gesellschaft.
Bis Solon nach der Insolvenz im Markt wieder Fuß fassen konnte, dauerte es jedoch länger als vom Management zunächst gedacht. Eine Modulfabrik in Greifswald mit einer Kapazität von 180 Megawatt wird dichtgemacht. Die Module laufen nun in Fudschaira vom Band. „Es war eine Maßnahme, die wir treffen mussten, um für große Mengen wettbewerbsfähig zu bleiben. Ob es uns gefällt oder nicht“, sagt Podlowski.
Weltumspannende Aktivitäten
Vom vollständigen Exodus in die arabische Wüste will er aber nichts wissen. „Der Standort Berlin hat seine Daseinsberechtigung, auch wenn er teurer ist. Nur so können wir kurzfristig auf Kundenanfragen reagieren.“ Denn bis die Module aus dem arabischen Werk einmal um die halbe Welt verschifft sind, dauert es bis zu fünf Wochen – im Zweifelsfall viel zu lange.
Die Hoffnung der Berliner liegt nun in Indien – der Heimat der Microsol-Bosse. Auf ihre Kontakte setzt Podlowski und auf das Potenzial des sonnenreichen Landes: „Wir haben Fuß gefasst im Markt für gewerbliche Dachflächen, für die es ein Förderprogramm gibt.“ Stolz schwärmt er von den „weltumspannenden Aktivitäten“ des Mittelständlers. Zur Niederlassung in den USA sind seit der Pleite eine Tochter in Indien und vor wenigen Wochen noch ein Joint Venture mit dem israelischen Energie- und Technologiekonzern Elco hinzugekommen.
Ob der Expansionsfeldzug rund um den Globus aufgeht, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen. Vorerst bleiben der Heimatmarkt und Italien die wichtigsten Märkte; der Fokus bleibt damit zunächst auf Europa.
In Deutschland setzt Solon auf die Energiewende: „Speicherlösungen und Energiemanagement werden für uns ein sehr wichtiges Standbein“, sagt Podlowski. Umsatzrelevant seien diese Technologien aber bisher nicht. „Ich will keine rosaroten Wolken malen, die Branche ist noch immer in einer Konsolidierungsphase. Nach wie vor wird unter Preis verkauft, die Lage ist schwierig.“
Schwierig, aber vielleicht doch nicht völlig aussichtslos. Fotovoltaik habe auch in Deutschland Zukunft, verspricht jedenfalls Bundesumweltminister Peter Altmaier.