Nord Stream, Gaspreisdeckel, Atomkraft Was kommt da auf uns zu? Die 5 wichtigsten Energiefragen der Woche

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3. Blowin‘ in the wind? Wie schnell kann die Wind-Industrie uns retten?

Die Ziele sind gesteckt und sie sind hoch: Bis 2030 sollen in Deutschland 115 Gigawatt an Onshore- und 30 Gigawatt an Offshore-Leistung installiert sein. Bisher sind an Land 56 Gigawatt verfügbar, auf See gerade einmal acht. Die Erneuerbaren – allen voran Wind und Sonne – sollen uns unabhängig machen und liegen deshalb im überragenden öffentlichen Interesse. Diese Woche hat sich die Branche in Hamburg auf der Windleitmesse getroffen, die Zeichen der Industrie sind klar: Wir wollen liefern. Doch dann muss man uns auch lassen.

Die Hersteller von Windturbinen sind angeschlagen – Nordex hat im Juni das letzte deutsche Rotorblattwerk geschlossen, Siemens Gamesa erst am Donnerstag verkündet, zehn Prozent der Stellen weltweit zu streichen. Rote Zahlen sind an der Tagesordnung, dazu kommen gestiegene Materialkosten und die kriselnden Lieferketten. Und die Verfahren sind langwierig.

Dass die beschleunigt werden müssen, ist klar. Habeck heimste sich auf der WindEnergy eine Menge Applaus der Branche ein, als er auf die Bundesländer schimpfte, die nicht schnell genug seien. Jetzt sei nicht die Zeit für „business as usual“. Windparkprojektierer ärgern sich über langsame Behörden, die viel zu wenig Personal und teils auch zu wenig Fachwissen hätten. Dann kommen noch der Artenschutz, der Denkmalschutz und im schlimmsten Fall Klagen obendrauf.

Und dann sollen die Betreiber auch noch ihre „Zufallsgewinne“ abgeben. Der Chef eines Windparkentwicklers und -betreibers formulierte es so: Was er bald an Zufallsgewinnen abgeben müsse, könne er nicht in neue Projekte investieren. Die aber seien dringend notwendig, wenn die Ausbauziele erreicht werden sollen. Und für eine wirkliche Unabhängigkeit braucht es Speicher, braucht es Wasserstoff, braucht es gute Netze in Deutschland. Damit ein Paradox endlich beseitigt wird: Dass Windturbinen abgeschaltet werden, wenn der Wind zu kräftig weht, weil der Strom nicht dorthin transportiert werden kann, wo er gebraucht wird und sonst das lokale Netz überlastet wäre. How many turbines does Germany need, until it gets independent? Die Antwort an Bob Dylan würde lauten: Eine Menge. Und die Turbinen allein reichen nicht aus.

4. Atomkraft? Na gut. Was genau bedeutet Habecks Reserve jetzt?

Robert Habeck, der Wirtschaftsminister, hat sich im Lauf des Jahres eigentlich als Mann der klaren Ansprache profiliert, der klaren Worte. Tacheles. Realitätsnah. Sagen, was ist. Damit hat er sich insbesondere bei Unternehmen und Wirtschaftsverbänden viele Freunde gemacht. Aber das Desaster mit der Gasumlage hat den Blick auf Habeck schon eingetrübt, und in Sachen Atom ist der Habeck-Sprech mittlerweile sehr nebulös und sogar übersetzungsbedürftig. Wollen wir sie laufen lassen? Darauf hat Habeck noch vor Wochen geantwortet: keinesfalls. Und strecken? Nur in der größten Not. Nein, nur E.Ons Isar 2 und Neckarwestheim, das Kraftwerk von EnBW, sollten in die Reserve und bei Bedarf dann hochgefahren werden, ein Verfahren, wie es, wohlgemerkt, noch nie ausprobiert worden ist.

Die Übertragungsnetzbetreiber, die den „Stresstest“ des Stromsystems im Auftrag der Bundesregierung ausgearbeitet hatten, guckten da reichlich verwundert. Sie, die Profis, hatten empfohlen, die Atomkraftwerke in den Streckbetrieb zu schicken. Dabei geht es vor allem um den so genannten „Redispatch“, Leistung, die nötig ist, um Engpässe auszugleichen, ein fehlendes Gleichgewicht vor allem zwischen Nord- und Süddeutschland.

Da machen die Kernkraftwerke zwar nicht viel aus, lösen nicht alle Probleme. Aber sie machen eben doch etwas aus, helfen ein wenig. Knackpunkt war damals schon die Frage, wie Strom, der eigentlich aus Frankreich kommen soll, im Fall der Fälle ersetzt werden kann. Die Franzosen, stolze Vorkämpfer der Kernenergie, haben derzeit die Hälfte ihrer Kraftwerke nicht am Netz. Das schafft auch für Deutschland Probleme. Die Kritik an Habecks Reserve-Mittelweg war groß.

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Aber vergangene Woche gab es eine Lösung, wenn auch verklausuliert: Demnach ist jetzt klar, wie viel Geld die Kraftwerksbetreiber kriegen, wenn sie ihre Anlagen bis zum nächsten Frühjahr in die Reserve schicken und sie nicht benutzt werden. Vor allem aber ist klar, dass bis Anfang Dezember, also deutlich nach der Niedersachsen-Wahl, entschieden werden soll, ob E.On und EnBW die Kernkraftwerke hochfahren sollen.



Habeck hat gleichzeitig keine Zweifel daran gelassen, wie sehr ihn die Situation in Frankreich besorgt. Übersetzen lässt sich der neue Habeck-Speak also mit folgender Ansage: Es wird gestreckt, klar, auch wenn wir das jetzt vorerst als „Reserve“ bezeichnen. Die Diskussion, freilich, wird bald weitergehen, ob das alles reicht und man nicht doch ein Ausstiegs-Moratorium verhängen sollte, um die Kraftwerke zumindest noch einen Brennstab-Zyklus weiterlaufen zu lassen.

Die Betreiber werden diese Debatte kaum vorantreiben, denn sie wissen, wie politisch heikel die Debatte ist. Auch Robert Habeck weiß das. Bei der Vorstellung des „Stresstests“ hat er einen Ausstieg aus dem Ausstieg ausgeschlossen. Müsste er verlängern, wäre seine Glaubwürdigkeit dahin. Und das ließe sich verbal kaum bemänteln.

5. Kühle Tage, warme Wohnungen? Warum heizen die Deutschen gerade so viel?

Private Haushalte sind mit kleineren Gewerbekunden für gut 40 Prozent des Gasverbrauchs in Deutschland verantwortlich – große Industriekunden für die restlichen 60 Prozent. In der Industrie wird schon deutlich gespart, doch die Verbrauchsdaten der ersten wirklich kälteren Tage in Deutschland, besorgen den Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. „Ohne erhebliche Einsparungen auch im privaten Bereich wird es schwer, eine Gasmangellage im Winter zu vermeiden“, betonte er. Einsparungen müssten auch bei weiter sinkenden Temperaturen stattfinden, „und das ist kein Selbstläufer.“

Es war deutlich kälter als etwa im Vorjahr. Und dennoch hat die eigentliche Heizperiode erst zum 1. Oktober begonnen. Mit dem Gaspreisdeckel könnten falsche Anreize gesetzt werden. Denn bei einigen Verbrauchern sind die gestiegenen Preise bisher nicht oder nur in geringem Maße angekommen. Über den Waschlappen-Tipp lächeln manche nur beherzt. Und wer hat eigentlich alles seine Heizung ordnungsgemäß entlüftet, gesäubert und wirklich nichts davorgestellt? Stattdessen ordern die Deutschen elektrische Heizlüfter – einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag der Nachrichtenagentur dpa nach immerhin elf Prozent, die im schlimmsten Fall weitreichende Blackouts verursachen könnten, wenn sie alle gleichzeitig ans Netz gehen.

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In einer Umfrage der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gaben im Juli noch 65 Prozent der Befragten an, dass sie im Winter weniger heizen wollten – Pullover und Decke lautete demnach die Devise. In der Psychologie gibt es den Begriff der Attitude-Behaviour-Gap, der Kluft zwischen Sagen und Tun also. Die Verbrauchsdaten der privaten Haushalte der nächsten Wochen werden zeigen, ob die auch beim Heizen greift.

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